Schwierige Verhältnisbestimmung

In Rolf Schieders "Sind Religionen gefährlich?" kommt der Protestantismus gut weg

Von Sigrid GaisreiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sigrid Gaisreiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Rückkehr der Religionen sehen sich Politik und Gesellschaft mit Konflikten im Spannungsfeld von Glaube und Politik, Heil und Herrschaft konfrontiert - und zwar in allen Teilen der Welt. Die aktuellen religionsrechtlichen Streitfälle, so neu sie auch zu sein scheinen, spiegeln jedoch nur altbekannte Probleme wider. Rolf Schieder, der an der Humboldt-Universität Berlin Praktische Theologie lehrt, nimmt mit seiner Abhandlung zur Gefährlichkeit von Religionen an einer seit längerem laufenden Debatte teil. In seiner aus fünf Kapiteln bestehenden Arbeit plädiert er im vierten Kapitel für eine aufgeklärte Religionswahrnehmung und -politik.

Im Vorwort steckt Schieder begrifflich und sachlich das zu behandelnde Feld ab. Der erste Schritt gilt dabei der Unterscheidung von Gefahren, diesen ist man, anders als beim kalkulierbaren Risiko, hilflos ausgeliefert. Religionen, so der kurze Schluss von Schieder, seien "nicht gefährlich", sondern "riskant". Durch einen rationalen Umgang mit ihnen könne man daher auch deren Risiken minimieren und handhabbar gestalten. In aufklärerischer Absicht möchte Schieder zum angestrebten rationalen Umgang einen Beitrag leisten. Mit Hilfe des Religionskonzepts des Philosophen Marcus Terrentius Varro (116 - 27 vor Christus) sondiert der Autor das Minenfeld von Politik und Religion im Durchlauf durch drei Kapitel, das fünfte und abschließende fasst seine Ausführungen als Überblick für eilige Leser nochmals gerafft zusammen.

Es ist kein Geheimnis, dass in Religionen auch humanes Potential steckt, erst unlängst referierte der Theologe und Historiker Friedrich Wilhelm Graf in "Moses Vermächtnis" zu diesem Thema - und dass Theologen vor allem diesen Aspekt betonen, liegt, ideologiekritisch gesehen, nahe. In diesem Sinn reiht Schieder sich in diese Tradition ein und plädiert sogleich dafür, dass dieses humane Potential schutzbedürftig sei.

Im Fokus seiner Debatte stehen auch nicht Religionen, sondern im wesentlichen die drei Buchreligionen, Christentum, Judentum und Islam. Sodann kommt Schieder auf das sozialintegrative Potential von Religionen zu sprechen und auf deren Vermittlungsrolle von Sein und Sollen. Dieser Aspekt wird im Durchgang seiner Abhandlung ausführlich besprochen, zunächst jedoch beginnt er mit einer Erörterung des komplexen Zusammenhangs von Religion und Terror und unternimmt auch Ausflüge zum "religiös-weltanschaulich(en)" "deutschen Terrorismus der Siebzigerjahre".

Im zweiten Kapitel, "Gefahren verstehen", skizziert Schieder zunächst knapp das Verhältnis von Kirche und Staat und stellt in sieben Argumentationszusammenhängen Thesen vor, die in der öffentlichen Debatte zur Gefährlichkeit von Religionen verwendet werden. Die Instrumentalisierungsthese spricht von einem Missbrauch von Religionen für politische Zwecke, in der Modernisierungsthese werden Fundamentalisten als Verlierer der Moderne präsentiert. Die Frage, "Wie gefährlich ist die Rede von der Gefährlichkeit der Religionen?" ist bei der Induktionsthese im Spiel, das Ende der Zeiten wird in der Apokalyptikthese behandelt, im Zentrum der nächsten These, als "Bundestheologie" bezeichnet, steht Thomas Hobbes' "Leviathan" zur Debatte und in der letzten die "politische Theologie". Mit diesem Durchgang möchte Schieder für ein aufgeklärtes Religionsverständnis die notwendigen intellektuellen Instrumente bereitstellen und diskutiert dabei mögliche Legierungen von Religion und Politik.

Er setzt dabei eigenwillige Akzente, da der systematische Durchgang mit langen, teils nur kursorisch ausgeführten ideengeschichtlichen Ausflügen auch zu knapp auf das komplexe realgeschichtliche Verhältnis von Religion und Staat eingeht. Auch das Verhältnis von Ideen- zur Realgeschichte kommt zu kurz.

Es gelingen Schieder dabei auch interessante Einsichten. So räumt er mit der Polytheismus-These, die vom Ägyptologen Jan Assmann ausgehend, vom Soziologen Ulrich Beck und Philosophen Peter Sloterdijk aufgenommen wurde, dahingehend auf, dass polytheistische Religionen im Verhältnis zum jüdisch-christlich-islamischen Ein-Gott-Glauben die friedvollere Variante darstellten. Für manche Leser wird dieser Aspekt neu sein, nicht jedoch für Sozialwissenschaftler, die Max Weber kennen.

Interessant dagegen ist die daran anschließende Interpretation der Exodusgeschichte aus dem Alten Testament, da sie Schieder als erste Freiheitsbewegung eines Volkes ansieht. Andere Stellen freilich laden zum Widerspruch geradezu ein. So interessiert sich Schieder beim Kirchenvater Augustinus allein für dessen Unterscheidung der zwei Welten, von civitas dei und civitas terrena, nicht jedoch für dessen Thesen zum Gottesstaat. Auch gegen sein Konzept, es habe eine Herrschaft der Religion über die Politik nur "selten gegeben", lässt sich viel einwenden.

Wie stark das Religiöse das Öffentliche, Staatliche und Politische dominierte, lässt sich realgeschichtlich in René Rémonds "Religion und Gesellschaft in Europa. Von 1789 bis zur Gegenwart" nachvollziehen. Auch, so Graf in "Moses Vermächtnis", gebiete es intellektuelle Redlichkeit, dass "die wohl mächtigste religiöse Institution der Gegenwart 'ein dem Menschen von Gott durch Schöpfung und Offenbarung verbindlich vorgegebenes präspositives Recht', ihr ius divinum, allen menschlichen Rechtsetzungen als höherrangig verordnet". In den aktuellen religiösen Auseinandersetzungen jedenfalls begegnet Europa, so Graf weiter, "seiner eigenen Glaubenskonfliktgeschichte".

Als beste Prävention gegen religiös motivierte oder verbrämte Gewalt sieht Schieder "religiöse Bildung", zumal Religion als "soziale Ressource" zunehmend auch von der Politik, so jedenfalls der Autor, entdeckt werde. Dass Schieder dabei beim Protestantismus fündig wird, ehrt diesen, besagt jedoch über die Wirksamkeit dieses Antidots nichts. Es bleibt, auch vom Autor so gesehen, nach Glaube und Liebe nur die Hoffnung, dass religiöse Bildung wirke. Bisweilen gefällt sich Schieder auch darin als Rufer nach einem "theological turn" aufzutreten und von einer "Nützlichlichkeit der Religion" für den Zusammenhalt in einem politischen Gemeinwesen zu reden. Auch dieser Aspekt ist nicht neu, funktional als Sinnstift verrechnet steht Religion bei vielen Politikern seit langem hoch im Kurs. Zum interessanten Teil im Schieder'schen religiösen Kosmos gehört das vierte Kapitel über das religionspolitische Handeln aller Beteiligten. Schieders Sympathie gilt dabei dem deutschen Modell, einer Kooperation von "Staat und Religionsgemeinschaften".

Als Quintessenz dieses Buches erscheint allein 'religiöse Dummheit' als gefährlich, das 'Dumme' ist nur, dass gerade jene 'Delinquenten' die Schieder im Blick hat, kaum den Ratschlägen von Schieder folgen werden. Interessant wäre zudem gewesen, die von Max Weber getroffene Unterscheidung von Rationalisierungstypen der Weltreligionen, die in alltäglichen Verhaltenstendenzen als Weltanpassung, Weltflucht und Weltbearbeitung zum Ausdruck kommen, einer eingehenderen Analyse der signifikanten Unterschiede von Gewaltpotentialen zu unterziehen.


Titelbild

Rolf Schieder: Sind Religionen gefährlich ?
Berlin University Press, Berlin 2008.
322 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783940432315

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