Zwischen Schwarzmarkt und Hendrix

Über Georg Meiers neuen Roman "Härte 10"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem Roman "Alle waren in Woodstock - außer mir und den Beatles" legt Georg Meier nun also sein neues Werk "Härte 10" vor. Protagonist ist der Mitfünfziger Heinrich Witt, der nach einer aufregenden Lebensgeschichte im zerbombten Gießen des Jahres 1947 versucht, sich zusammen mit seinen Freunden auf dem Schwarzmarkt durchzuschlagen. Die Anfänge einer Speditionsfirma, deren erstes Betriebskapital ein übermalter Wehrmachts-LKW ist, markieren die ersten Schritte in die Richtung einer bundesrepublikanischen Normalität. Die atmosphärischen Besonderheiten des Jahres 1947 fängt Meier durch das Personal des Romans und vor allem durch die Hauptfigur Witt und die um sie gescharten Nebenfiguren ein: der Pole Stani, ehemaliger Zwangsarbeiter, Erna Duttweiler, energische Kommunistin mit Gefängniserfahrung aus der NS-Zeit, der dicke Otto, das Mädchen für alles, der zwielichtige Ganove Ziervogel und seine Freundin Jana, ehemalige KZ-Insassin.

Diese illustre Gesellschaft schlägt sich durch das zerbombte Gießen, in dem die Amerikaner zwischen Trümmern ihre Besatzungsgewalt ausüben, Kolonnen von Arbeitern und Arbeiterinnen den Schutt beseitigen und der Schwarzmarkt die einzige Möglichkeit ist, an dringend benötigte Artikel des alltäglichen Lebens zu gelangen. Ob dieses ein Ballen mit Seide ist, ob Konserven oder Alkohol - Heinrich Witt kommt zurecht. Dabei schafft es der Autor, nicht nur glaubhafte und sympathische Charaktere zu zeichnen, sondern auch einen authentischen Zeiteinblick zu gewähren. Auf der Erzählebene wird eine geschickte Überschneidetechnik genutzt, um den Protagonisten mit einer abenteuerlichen Biografie auszustatten, die im Laufe des Romans letztendlich zu einer Geschichte des Jahrhunderts wird.

In Einschüben werden die Stationen von Witts Lebensgeschichte eingeblendet: seine Jugend im Kaiserreich, seine erfolgreiche Tätigkeit als Handelsreisender für Tabakwaren in Norddeutschland und die "Flucht" in die deutschen Kolonien, in das Abenteuer "Afrika". Dort wird er kurz nach der Ankunft 1914 vom Ersten Weltkrieg überrascht. Als Angestellter einer Handelsniederlassung gelangt er durch Zufall und den Tod seines Chefs an einen Beutel mit Diamanten, die letztendlich seinen weiteren Lebensweg nicht unwesentlich beeinflussen. Das Attribut der Diamanten - "Härte 10", eine Bezeichnung für den Härtegrad eines Materials - liefert den Romantitel und gleichzeitig den metaphorischen Hintergrund für die Wechselhaftigkeit der Geschichte und das individuelle Schicksal von Heinrich Witt. Ein Flugzeugabsturz und seltsame Begegnungen mit interessanten Menschen auf dieser Odyssee bringen den Abenteurer über die Türkei wieder zurück in das Deutschland der Weimarer Republik. Im "Dritten Reich" schlägt er sich, entfremdet von seiner Frau und seinem Sohn, die beide dem Nationalsozialismus zugeneigt sind, durch. Er verliert seine Frau bei einem Bombenangriff, überlebt das Kriegsende und strandet im Gießen des Jahres 1947.

1947 ist Heinrich Witts Schwägerin schwanger. Der Vater des Kindes ist ein farbiger US-Soldat. Heinrich Witt behandelt seinen Neffen wie einen Sohn, vererbt ihm einen Teil seiner immer noch vorhandenen Diamanten und gibt damit einen großen Teil seiner Abenteuerlust und seiner Energie an seinen "Wahlenkel" Martin weiter. Der letzte Abschnitt des Romans spielt Ende der 1960er-Jahre. Martin Witt beschreibt die neue Zeit, die dann doch nicht so weit von den Aufbrüchen des Großvaters entfernt ist: "In zwei Monaten wird das Farbfernsehen eingeführt, wir werden spätestens zu Weihnachten so einen Kasten, groß wie 'ne Telefonzelle, im Wohnzimmer stehen haben, da wette ich drauf. Das Leben wird bunt. Robert Lembke, das Wort zum Sonntag, der Vietnamkrieg - alles schön in Farbe. Purple Haze is in my brain... Du nimmst LSD und gehst durch eine große, weit geöffnete Flügeltür und betrittst ein Reich, von dem sich deine Mutter nicht mal im Traum vorstellen könnte, dass es existiert. Oder Haschisch. Alle Welt spricht von Haschisch. 'Das hab ich schon im Ersten Weltkrieg geraucht', hat Heinrich gesagt, als er gelesen hatte, dass die Beatles und Bob Dylan so was nehmen."

Meier ist ein zeitkritischer, aber auch "zeitfreundlicher", rundum unterhaltsamer, spannender, die Stimmung der Nachkriegszeit treffend beschreibender Roman gelungen, der einen Blick auf das wechselhafte 20. Jahrhundert gestattet. Sehr gerne würde der Leser nach fast 400 Seiten wissen, wie es mit Martin Witt nun weitergeht! Aber das ist wohl eine andere Geschichte.


Titelbild

Georg Meier: Härte 10. Roman.
Dittrich Verlag, Berlin 2009.
383 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783937717340

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