Schweinehund und Lichtgestalt

Christoph Kucklick provoziert in seinem Buch "Das unmoralische Geschlecht" mit einer Genealogie der "Herrschaft des antimaskulinen Ressentiments"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einiger Zeit befinden sich maskulinistische Bestrebungen auf dem Vormarsch. So wird gerne behauptet, unschuldige Knäblein von zartestem Alter würden schon in Kindergärten und Schulen von Erzieher- und Lehrerinnen "massiv benachteiligt", wie der Erziehungswissenschaftler und Präsident der Freien Universität Berlin Dieter Lenzen behauptet. Dieses vermeinte "Erziehungsmatriarchat" wurde jüngst von Michael Hanfeld in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" angeprangert. Da darf man sich denn auch nicht wundern, wenn der eine oder andere dieser geplagten Schüler durchdreht und seine Klassenkameradinnen samt Lehrerinnen unter Feuer nimmt. Das insinuierte jedenfalls nicht nur Lenzen, sondern unlängst auch Hajo Schumacher in Anne Wills Talkshow über den Mörder, der in Winnenden vor allem auf Schülerinnen zielte. Auch er selbst "leide" seit dreißig Jahren "unter dem Feminismus", klagte Schumacher. Angesichts solcher und anderer Versuche maskulinistischen roll backs scheint ein Buch in die Landschaft zu passen, das gleich zu Anfang in Zastrow'scher Diktion die "Herrschaft des antimaskulinen Ressentiments" nicht nur beklagt, sondern zugleich behauptet, diese sei "seit Anbeginn in das Gewebe der Moderne geätzt", wobei Kucklick die Moderne anders als die Literatur- und Kulturwissenschaft nicht um 1900 beginnen lässt, sondern in philosophischer Tradition mit der Zeit der Spätaufklärung.

Vielleicht lässt sich Kucklick aber doch nicht so ohne weiteres in die Autorenriege des maskulinistischen Furors einreihen. Nach diesem anfänglichen Ausfall befleißigt er sich jedenfalls weder einer Stammtischrhetorik noch Stammtischargumenten. Vielmehr pflegt er einen elaborierten Code und entwickelt seine Darlegungen weithin stringent und fundiert. Anliegen seines Buches "Das unmoralische Geschlecht" ist es, erstmals den Beginn der "Negativierung des Männlichen" zu untersuchen. Dieser sei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auszumachen. Seien um 1750 "kaum Spuren einer maskulinen Defektologie zu entdecken", so sei sie um 1800 "bereits weitgehend Konsens". Anders als in den Jahrhunderten und Jahrtausenden zuvor erscheine Männlichkeit nun nicht länger als "im Prinzip gelungenes Projekt", sondern im Gegenteil als "fundamental unmoralisch". Schlimmer noch: "Der neue Diskurs charakterisiert Männer ihrer 'Natur' nach als gewalttätig, egoistisch, asozial, unmoralisch, hypersexuell, triebhaft, gefühlskalt, kommunikationsunfähig und verantwortungslos."

Anders als in der feministisch orientierten Kulturgeschichtsschreibung der Gender Studies bislang angenommen werde die "generelle Überordnung des Männlichen über das Weibliche" in der Spätaufklärung gerade nicht wissenschaftlich und philosophisch begründet, sondern vielmehr "zertrümmert" und an ihre Stelle ein "komplexes heterarchisches Geschlechtermodell" gesetzt, dessen "zentrale[r] Baustein das negative Denken über Männlichkeit" gewesen sei, wobei der Antimaskulinismus den "Ankerpunkt des modernen Geschlechterverhältnisses" gebildet habe. Einhergegangen sei damit eine "bis dato unbekannte Idealisierung von Weiblichkeit". Zwar sei schon früher von "überlegener weiblicher Sittsamkeit" gesprochen worden. "[I]n nennenswertem Maße" jedoch erst seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert. Dies lässt sich nur behaupten, wenn man Werke aus weiblicher Feder wie etwa Christine de Pizans "Buch von der Stadt der Frauen", (entstanden 1405) oder Moderata Fontes Werk "Der Verdienst der Frauen. Warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer" (1600) nicht für nennenswert hält. Und richtig, Kucklick nennt beide nicht.

In der Spätaufklärung waren es jedoch vor allem Männer, welche die überlegene Moral von Frauen priesen, worunter allerdings nicht zuletzt die 'typisch weiblichen Tugenden' wie Sittsamkeit, Sanftheit und ähnliches mehr verstanden wurden. "Das Denken der Zeit", wie er es sieht, fasst Kucklick in einem knappen Satz zusammen: "Nur in der femininen Zähmung des brutalen Mannes kann sich die bürgerliche Gesellschaft noch ihren Bestand denken." Zugleich warnt er allerdings vor dem Fehlschluss, dass Frauen darum "generell als überlegenes Geschlecht" gegolten hätten. Vielmehr arbeite die "moderne Geschlechterideologie" seit der Aufklärung "im Kern mit parallelen Abwertungen" beider damals anerkannter Geschlechter, die "je spezifisch einseitig und defekt" erschienen seien. Mit dieser Beurteilung begibt sich Kucklick nicht nur in ein eklatantes Spannungsverhältnis zur bereits erwähnten "Idealisierung von Weiblichkeit", die er in Texten der Spätaufklärung ausgemacht haben will; er übernimmt zudem ganz explizit die Erkenntnisse der Gender Studies über das pejorative Weiblichkeitsbild der Aufklärung und der Moderne. Auch erkennt er die von Judith Butler in "Gender Trouble" formulierten Einsichten als "unhintergehbar" an. Schließlich versteht er seinen Text als "kulturwissenschaftliche Gender Studie im besten Sinne des Wortes". Mithin als "Teil einer 'Verunsicherungswissenschaft', die versucht, vermeintlich Selbstverständliches seiner Selbstverständlichkeit zu berauben".

Die spätmoderne "Reflexion von Männlichkeit" besitzt Kucklick zufolge jedoch kein "Innovationsprivileg" gegenüber derjenigen der Aufklärung, sondern - und dieser Vorwurf richtet sich an die Männlichkeitsforschung - leide vielmehr an einer "Vergessenheit der Tradition, in der sie steht". Das ist zwar schmissig formuliert, vergisst jedoch selbst verschiedenes wie etwa die der Aufklärung noch unbekannten Erkenntnisse des Konstruktionscharakters von Geschlecht, die allerdings nicht den Men's Studies, sondern der feministischen Forschung im Rahmen der Gender Studies zu verdanken sind. Richtig ist jedoch, "dass eine Selbsteinordnung der kritischen Männerstudien in die Geschichte der Kritik von Männlichkeit bislang fehlte". Kucklick hat sie nun vorgelegt. Und sie kreist um die von ihm im Untertitel als "Negative Andrologie" bezeichnete Männlichkeitskritik und die Abwertung von Männlichkeit durch die Aufklärung und die gesamte Moderne. Beide "brandmark[en]" Männlichkeit "als entfremdet und sozial unzuverlässig". Dass es neben der negativen auch eine positive Andrologie gab (und gibt), die Männlichkeit "bewundert", wird von Kucklick nicht bestritten. Grundsätzlich aber habe "Männlichkeit in der Moderne von vorneherein konstitutionell [als] unsicher und brüchig" gegolten und sei stets "heftig kritisiert" worden.

Dass diese negative Andrologie nicht schon von den Gender Studies entdeckt worden sei, lastet er deren Ausrichtung auf Machtanalytik an. Denn dies habe "die Analyse der negativen Männlichkeit und den Blick auf den modernen Strukturwandel der Männlichkeit erschwert", verschwinde der "Diskurs der negativen Männlichkeit" doch "im blinden Fleck der Machtanalytik".

Anders als die feministischen Gender Studies verzichte seine Theorie einer "Semantik des Männlichen" darauf, von vorneherein zu wissen, dass sich alle Geschlechterbeziehungen und -diskurse im Modus der Dominanz vollziehen, und erlaube sich somit "überrascht zu werden und andere Beziehungsformen zu entdecken". Die "neuartige Geschlechtersemantik der Moderne (inklusive Negative Andrologie)" fasst der Autor als "Korrelat der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft" auf. Ein Zusammenhang, der sich erst einem gesellschaftstheoretischen - nicht aber einem machtanalytischen, identitätstheoretischen oder interaktionistischen - Ansatz offenbare. Obgleich auch Heterarchien "machtgetränkt" seien, empfiehlt er darum, auf Überlegungen zu "Macht, Hierarchie und Interessen zu verzichten", vor allem aber auf "Geschlechterhierarchie als privilegierten Zugang zur Sache".

Kurz, Kucklick schlägt vor, "von Macht auf Semantik um[zu]stellen". Das wäre nicht weniger als ein Paradigmenwechsel der Geschlechterforschung. Denn Kucklick versteht seine "Theorie der Verbindung von Geschlecht und Interaktion/Gesellschaft explizit als Gegenentwurf gegen machttheoretische Positionen". Schließlich will er zeigen, dass die "gesellschaftstheoretische Perspektive auf Geschlecht komplexer und strukturreicher verfahren kann" als dies einem machttheoretischen Ansatz möglich ist. Soll die von ihm vorgeschlagene Alternative, wie Kucklick das vorsieht, tatsächlich an die Stelle bisher von der Geschlechterforschung präferierten Ansätze treten, so müsste sie auch all das leisten können, was diese leisten. Dass sie dazu tatsächlich im Stande ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Eine sinnvolle und erhellende Ergänzung mag sie hingegen sehr wohl sein.

Kucklick jedenfalls sieht den "entscheidenden Vorteil" seines Paradigmenwechsels darin, dass er "engen Kontakt zur (System-)Theorie der Gesellschaft" hält. Als Ansatz ist dieser allerdings auch für die Gender Studies nicht ganz so neuartig. Denn die Systemtheorie hat in Form verschiedener Untersuchungen bereits in die Gender Studies Einzug gehalten, worauf auch der Autor selbst hinweist. Kucklicks "starke Behauptung" besagt nun, dass die modernen Geschlechterverhältnisse ohne die von ihm entworfene Negative Andrologie "nicht angemessen verstanden werden" könnten. Ermöglicht werde ihr dieser privilegierte "Zugang" zur "hyperkomplexe[n] heterarchischen Geschlechterlandschaft der Modernen" durch die soziologische Systemtheorie.

Im Laufe des 18. Jahrhunderts ging die "stratifikatorische Differenzierung" der Ständegesellschaft Kucklick zufolge in die für die Moderne typische "funktionale Differenzierung" über und wurde "unumkehrbar". Dabei habe sich eine "konzeptionelle und epistemische Revolution" vollzogen, in deren Verlauf der Begriff der Männlichkeit neu, nämlich negativ, bestimmt worden sei. "Zentraler Bezugspunkt" für das Verständnis der Geschlechterverhältnisse und vor allem der Vorstellung von Männlichkeit in der Moderne sei eben die funktionale Differenzierung der Geschlechter und die damit "korrelierende Semantik", wie sie etwa in den Geschlechterzuschreibungen ihren Ausdruck findet. Dieser "Umbruch" sei nicht etwa bewusst vollzogen worden, sondern habe vielmehr "gleichsam hinter dem Rücken der Männer und Frauen stattgefunden". Daher sei er auch keineswegs "Ausdruck ihrer Interessen". Diese letzte Schlussfolgerung ist nicht sonderlich überzeugend. Denn sie unterscheidet weder zwischen den Interessen von Männern und Frauen, noch zwischen subjektiven und objektiven Interessen. Nutznießer dieser Entwicklung waren jedenfalls die Angehörigen des männlichen Geschlechts. Und dass es auch um 1800 eine Geschlechterhierarchie gab, die Männern vieles gestattete, was sie Frauen untersagte, umgekehrt Frauen aber nur weniges (achtenswerte) gestattet war, was Männern verboten war, wird auch von Kucklick nicht bestritten, trotz seiner Rede von der Heterarchie.

"Ausgerechnet die bürgerlichen Meisterdenker" der Aufklärung seien es gewesen, "die den Männlichkeitszweifel als erste ausführlich und schonungslos formulier[t]en". Kucklick nennt neben "viele[n] weitere[n], weniger bekannte AutorInnen" klangvolle Namen: Johann Gottlieb Fichte, Wilhelm von Humboldt, Immanuel Kant und Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Es fällt zunächst auf, dass ein Name fehlt, dessen Inhaber als besonders prägend für den Geschlechterdiskurs der Aufklärung gilt: Jean-Jacques Rousseau. Der am Genfer See philosophierende Franzose kommt bei Kucklick denn auch kaum vor. Und wenn doch einmal, macht sich der Autor nur selten die Mühe, die Quellen selbst zu konsultieren, sondern zitiert ihn vornehmlich nach der Sekundärliteratur, etwa nach Sylvana Tomaselli oder Lieselotte Steinbrügge. Ähnliches gilt für Kant. Auch er wird schon mal nach der Sekundärliteratur (von Susan Meld Shell) zitiert. Sowohl Kants "Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen" und seine "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht" wie auch Rousseaus "Émile" werden kaum berücksichtigt. Das lässt vermuten, dass sich bei beiden Autoren wenig finden lässt, das Kucklicks Theorie stützen könnte. Tatsächlich bieten Kants Texte sogar einiges, das nicht ohne weiteres in Einklang mit manchen allgemeineren Darlegungen Kucklicks zu bringen ist. Wenn dieser etwa behauptet, Frauen hätten als "Virtuosinnen [...] der Moral" gegolten, dann passt das schlecht zur Auffassung des Königsberger Philosophen, dass Frauen wegen ihrer Unfähigkeit zu Grundsätzen zwar moralgemäß aber nicht aus Moral handeln können.

Andererseits wartet Kucklick mit reichlich Belegmaterial für seine Thesen und Behauptungen auf. Meist handelt es sich dabei um heute nur schwer zugängliche Schriften abgelegener Autoren. Und so ist es zweifellos ein Verdienst seiner Arbeit, dass er manches bislang übersehene geschlechtertheoretische Werk der Aufklärung ausfindig gemacht hat, wie etwa Ernst Heinrich Kosegartes Buch "Der Mann in gesellschaftlichen Verhältnissen" von 1816, Erhard Valentin Sprengels "Das andere Geschlecht das Bessere Geschlecht" (1798) oder Carl Friedrich Pockels zweibändiges Werk "Der Mann. Ein anthropologisches Charaktergemälde seines Geschlechts" (1805/1806). Letzteres zieht Kucklick besonders gerne heran. Ob diese Autoren und ihre Erzeugnisse allerdings übermäßig wirkungsmächtig waren, dürfte bezweifelt werden. Dagegen spricht zumindest, dass sie weithin vergessen sind.

Anhand der ausgewerteten Quellen kommt Kucklick im ersten Hauptabschnitt über "Die Natur der Männlichkeit" zu dem plausiblen Schluss, dass 'der Mann' in dem von ihm herangezogenen Quellenmaterial als "moralische[s] Monster" galt, da er gegenüber 'der Frau' als stärker angesehen wurde und demzufolge auch als "der Grausamere, der Gewalttätigere". Männer gelten in den Quellen als - wie man heute sagen würde - moralisch defizient, da triebgesteuert. So lautete die "einhellig[e]" Empfehlung der männlichen, wie auch der wenigen weiblichen AutorInnen an (verheiratete) Frauen denn auch, sich den Männern zu unterwerfen. Nicht etwa, weil Frauen als "unterlegen, weniger vernünftig, dümmer" angesehen worden wären, sondern, einzig weil ein eventueller Widerstand als aussichtslos galt. Denn "[d]ie Ehe ist ein offenes Gewaltverhältnis". Kucklick zufolge erschien die "viel zitierte Sanftmut der Frau" nicht so sehr "als ihr 'natürliches Charaktermerkmal', sondern als bittere Notlösung". Und sie wurde, zumal von Autorinnen, "offen als solche benannt." So behaupteten die zitierten Quellen eine "negativ konnotierte männliche Natur", ohne dass dies auch nur bei einer dazu führte, die "häusliche Herrschaft des Mannes über die Frau" in Frage zu stellen. Misogynie und negative Andrologie widerstreiten einander dem Autor zufolge im zeitgenössischen Diskurs denn auch nicht, sondern bildeten vielmehr ein "systematisches Erfordernis". Wie Kucklick anmerkt, verstand sich die Gesellschaft dabei "in jenen Tagen als im historisch einmaligem Maße gynophil".

Kucklick teilt zwar das "feministische Grundtheorem", dem zufolge weibliche Subjektivität um 1800 negiert wurde. Doch widerspricht er grundlegenden Annahmen der historischen Gender Studies zunächst in zwei Punkten. Zum einen führt er die Negation weiblicher Subjektivität nicht auf ein "patriarchalisches Herrschaftsbedürfnis" zurück, sondern auf ein allgemeines "Unbehagen an der Subjektivität selbst". Erst so werde deutlich, "dass auch (und gerade) das männliche Selbst umstritten und befehdet war". Und zum zweiten hält er die Behauptung einer "strikte[n] Polarität" für falsch, die davon ausgeht, dass Männern Subjektivität zugesprochen worden sei, Frauen hingegen nicht. An die Stelle dieser "Dichotomie" setzt er ein "Schema von Selbst- und Fremdreferenz", "das erlaubt, unterschiedliche Typen von Subjektivität und Natur zu denken." Denn der Diskurs der Spätaufklärung habe entgegen der in der Geschlechterforschung gängigen Auffassung keineswegs der Frau die Natur und dem Mann die Kultur zugesprochen, "sondern beiden unterschiedliche Naturen - und damit auch unterschiedliche Kulturen."

Im zweiten Hauptteil "Die Männlichkeit der Gesellschaft" will der Autor anhand des Quellenmaterials die These belegen, dass "moderne Männlichkeit" seit der Aufklärung "nicht nur sozial differenziert" ist, sondern "in ihrer Grundkonstitution gespalten". "Unter den Bedingungen der funktionalen Differenzierung und des soziologischen Blicks" könne sie nur als "fragmentiert und dekomponiert" betrachtet werden. Es sei dies die Bedingung, unter der "alle Männlichkeiten" der Moderne stünden. Daher benutzt er im weiteren Verlauf seiner Untersuchung nicht den Plural, sondern verwendet den Singular "die Männlichkeit".

Zugleich vertritt er in Umkehrung der bisherigen Erkenntnisse der Gender Studies die These vom "weibliche[n] Allgemeinen und männliche[n] Besonderen". Es sei jene, die auf diese differenzierend wirke. Und zwar sowohl als "Antidot gegen die wahllose Triebhaftigkeit des Mannes" wie auch als "Prägung einer Form, die anders nicht mehr zu haben ist", wie Kucklick an dieser Stelle etwas dunkel formuliert. Gemeint ist die Einpassung der Männlichkeit in eine als weiblich verstandene 'Form'.

Die "Idealisierung der Frau als Hüterin der Zivilisation und Allgemeinheit" erklärt sich Kucklick zufolge aus der "Fragmentierung des männlichen Lebens". Die Funktionen, die Weiblichkeit für Männlichkeit beziehungsweise Frauen für Männer einzunehmen haben, wirken dem Autor zufolge jedoch auf die Frauen selbst ausdifferenzierend zurück. Somit sei "ihre Allgemeinheit in der Moderne ein Produkt von Differenzierung", wie sein logisch nur schwer nachvollziehbarer Schluss lautet, besagt er doch, ihre "Ausdifferenzierung" mache sie zum Allgemeinen.

Der dritte Teil des vorliegenden Buches erklärt die Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder der Aufklärung wie auch der gesamten Moderne aus der "funktionale[n] Differenzierung" beider in der Gesellschaft. Dabei geht Kucklick auch der Frage nach, warum sich die Gesellschaft der Aufklärung zwar geradezu als philogyn verstand, "die weibliche Emanzipation" jedoch "politisch, wirtschaftlich und kulturell nicht weiter (genauer: überhaupt) betrieb", sondern "jene hinlänglich bekannte geschlechtliche 'Arbeitsteilung'" forcierte, "die Frauen Zugang zu entscheidenden gesellschaftlichen Positionen verwehrte". Als Antwort bietet er eben die genannte "funktionale Differenz" an. Nur Männer hatten die Fron der Arbeit auf sich zu nehmen, während die "zivilisatorische Leistung der Moderne" seinerzeit "geradezu mit der Freisetzung der Frau aus Arbeitszusammenhängen identifiziert" worden sei. Damit sei allerdings eine "Idealisierung der Hausfrau" einhergegangen, die den nun auf der Frau lastenden "Urzwang" verhüllt habe, "dass sie kaum etwas anderes sein darf als Hausfrau". Dieser "brutale Ausschluss von Frauen" aus Politik, Wirtschaft und Recht basiert Kucklick zufolge auf "der Supercodierung eines Strukturaspektes der Moderne, der sich bis heute durchhält".

Sowohl auf männlicher wie auch auf weiblicher Seite seien "natürlich Idealzustände vorgesehen" gewesen. "Schönheit, Anmut, Keuschheit" für die Frauen, "Selbständigkeit, Effizienz, Durchsetzungsvermögen" für die Männer. Gerade dass es so "unwahrscheinlich" sei, dass diese Eigenschaften tatsächlich geschlechtlich verteilt sind, habe es ermöglicht, sie als "Markierung einer anderen Unterscheidung" zu verwenden, und zwar der "Unterscheidung von Interaktion und Gesellschaft". Eben weil die "Kopplung" der Eigenschaften an das Geschlecht "unplausibel" sei, sei sie "signifikant" geworden.

Wie deutlich wurde, bedarf die triebhaft gesteuerte Männlichkeit den von Kucklick rekonstruierten Vorstellungen der Aufklärung gemäß Korrekturen durch weibliche Tugendhaftigkeit. Doch erfordere die negative Andrologie auch Korrekturen des gegenwärtigen Geschlechterdiskurses. Ihnen gilt der vierte Abschnitt seines Buches. Sei die negative Andrologie erst einmal - wie zuvor geschehen - "als systematischer Bestandteil der Moderne rekonstruiert" und somit "ihres Status als 'silent referent' entkleidet", ermögliche diese neue "Lesarten" der Geschlechterkonstruktionen und Diskurse der Aufklärung sowie "neue Deutungen scheinbar vertrauter Texte und Themen". Diese erprobt Kucklick an drei Beispielen: der "gewaltigen Antionaniekampagne" im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert, dem "Phänomen des 'weiblichen Blicks' um 1800" und an einem in der Geschlechterforschung besonders prominenten Abschnitt aus Johann Gottlieb Fichtes "Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre" (1796/97). Es handelt sich um den "Erste[n] Anhang des Naturrechts" mit dem Titel "Grundriss des Familienrechts", von dem Kucklick wiederum der "Erste Abschnitt. Deduction der Ehe" besonders interessiert. Nun lassen sich für eine Rezension schwerlich alle der teilweise recht abgelegenen Quellen, die Kucklick für seine Beweisführung benutzt, zur Überprüfung heranziehen. Wohl aber Fichtes leicht zugänglicher "Schlüsseltext". Darum sollen er und Kucklicks Interpretation stellvertretend etwas genauer in Augenschein genommen werden. Nicht unerwähnt bleiben soll allerdings auch, dass Kucklick in einer der von ihm offenbar sehr geliebten Umkehrungen gängiger Auffassungen der Geschlechterforschung nicht dem Mann einen die Frau "penetrierende[n] Blick" zuspricht, sondern umgekehrt der Frau einen den Mann penetrierenden.

Nun aber zu Kucklicks Auseinandersetzung mit Fichtes "Deduction der Ehe". Um es gleich vorweg zunehmen: Kucklick hält Fichte - was nach der Lektüre des Bisherigen nicht mehr wirklich überraschend kommt - nicht etwa für den "großen Misogyn", als der er gemeinhin gilt, sondern glaubt in ihm, zumindest was "seiner Behandlung von ledigen Frauen" betrifft, vielmehr "eine[n] der radikalsten Verfechter umfassender Frauenrechte seiner Zeit" zu erkennen. Ebendies versucht er anhand der "Deduction der Ehe" zu belegen. Denn Fichtes feministische KritikerInnen verallgemeinerten zu Unrecht das von dem Philosophen nur verheirateten Frauen zugedachte Schicksal der "'Entrechtung' und 'Unterordnung' der Frau".

Wenn Kucklick betont, "dass Fichte ledigen Frauen die gleichen Bürgerrechte wie den Männern zuspricht", so heißt das noch lange nicht, dass sie frei über sich selbst bestimmen können. Denn wie der Philosoph im § 34 des "Grundriss[es] des Familienrechts" ausführt, stehen sie ebenso wie unverheiratete Männer "unter der väterlichen Gewalt". Dass beide, wie Fichte an gleicher Stelle behauptet, durch ihre Verheiratung befreit würden, nimmt allerdings einen zynischen Klang an, wenn man einige Seiten zurückblättert und in § 11 liest, dass unverheiratete Frauen "nur bedingt" unter der väterlichen (beziehungsweise hier: elterlichen) Gewalt stehen, die verheiratete Frau ihrem Gatten "aber ganz unbedingt unterworfen ist". Wichtiger, weil auch Witwen und Geschiedene betreffend, ist aber noch, dass Fichte zumindest implizit den Status der ledigen, geschiedenen oder verwitweten Frau geringer als den der verheirateten achtet, falls er ersteren nicht gar für natur- und vernunftwidrig hält. Dies wird nicht nur durch eine noch vor den ersten Paragrafen geschaltete Anmerkung nahegelegt, in der er die Ehe zur "natürliche[n] und moralische[n] Gesellschaft" erklärt, sondern auch durch den § 9, der sie zu einem "durch Natur und Vernunft in ihrer Vereinigung nothwendig[en] und vollkommen bestimmte[n] Verhältniss" erklärt. Ebenfalls für "nothwendig" hält Fichte in § 34, dass Frauen "die Liebe irgend eines Mannes" wollen - und diese können sie selbstverständlich nur in der Ehe bekommen. Wie denn eine "vernünftige und tugendhafte Frau" auch "[n]ur auf ihren Mann und ihre Kinder [...] stolz seyn" kann, wofür wiederum die Ehe die Voraussetzung ist. Witwen und geschiedene Frauen können ihrerseits Fichte zufolge die Rechte, die ihnen als solche zustehen nicht einmal wahrnehmen wollen, wie auch Kucklick einräumt.

Die vermeintlich gleichen Bürgerrechte beider Geschlechter erklärt Kucklick damit, dass die "gleichgestellte ledige Frau [...] nicht für die Moralisierung des Mannes requiriert werden muss". Da fragt sich allerdings, wie denn die Männer zu ihren Gattinnen kommen. "Die 'Unterjochung' der Frau" meint der Autor weiter, scheine "nicht durch weibliche Minderwertigkeit begründet gewesen zu sein, sondern durch das Wesen der Ehe". Tatsächlich begründet sie Fichte weder mit dem einen noch mit dem anderen, sondern im ersten Teil des "Grundriss[es] des Familienrechts", der eben der "Deduction der Ehe" gewidmet ist, mit der Funktion, welche die Frau aufgrund ihrer moralischen Überlegenheit für den Mann auszuüben genötigt ist. Eine Überlegenheit, die sich ursprünglich in der verschiedenen Sexualität beider Geschlechter ausdrückt. Denn für den Mann ist diese bloße Triebbefriedigung, die Frau muss sie von Anfang an zur Liebe sublimieren. In der Ehe veredelt sie den Trieb des Mannes sodann ebenfalls zur Liebe.

Nach Fichte "besitzt allein die Frau" die "Macht zur Eheschließung" und die "Option der Scheidung" - behauptet Kucklick. Das ist schlicht unzutreffend. Nicht nur, dass Fichte in § 25 allgemein betont, "Eheleute [nicht Ehefrauen, R.L.] scheiden sich selbst mit freiem Willen, sowie sie sich mit freiem Willen verbunden haben." Auch in den konkreten Beispielen besitzen Frauen nicht die von Kucklick behauptete alleinige Verfügungsmacht über den Bestand der Ehe. Zwar kann die Frau nach vollzogenem Geschlechtsverkehr den Mann zur Ehe zwingen, doch kann er sich unmittelbar "nach der Trauung" scheiden lassen, wie Fichte in § 23 darlegt. Auch kann sie nach einem Ehebruch ihrerseits gemäß § 20 nicht den weiteren Bestand der Ehe erzwingen. Vielmehr ist die Ehe, anders als beim Ehebruch des Mannes, damit "nothwendig vernichtet". Statt dies zu betonen, erklärt Kucklick, eine andere Stelle zitierend: "Es 'steht ihr äußerlich frei' aus sinnlicher Lust, oder um eines äußeren Zwecks willen' Ehebruch zu begehen oder im Konkubinat zu leben." Ein derart tendenziöser Umgang mit Fichtes "Deduction" ist dazu geeignet, das Vertrauen darauf zu erschüttern, dass Kucklick seine anderen Quellen angemessen referiert und würdigt.

Natürlich entgeht auch Kucklick nicht, dass die Ehe nach Fichte von der Frau ihre, wie er formuliert, "totale Selbstauslöschung", ihre "Totalunterwerfung" verlangt. Kurz: ihr "Verschwinden im Willen des Mannes" und zwar als "freiwilliger Beweis ihrer moralisierenden Liebe". Umso grotesker wirkt allerdings, dass er dem Philosophen eine "fundamental antipatriarchale Ehekonzeption" bescheinigt. Man mag kaum glauben, dass dies ernst gemeint sein soll. Aber sein Wille, Fichtes Ehekonzeption in seine Theorie einer "konjungale[n] Kybernetik" zu pressen, scheint seinen Blick auf die Hierarchie der ehelichen Geschlechterverhältnisse bei Fichte zu trüben, behauptet er doch, "[e]in (möglicher) männlicher Anspruch auf Steuerhoheit" werde bei dem Philosophen "in der Zirkularität der Rückkopplungen zermahlen" und "jede patriarchale Überordnung" werde "zu einem Kreis umgebogen, in dem die Autonomie der Beteiligten sich gegenseitig einschränkt und sich in der Verschränkung von Erwartungen so aneinander justieren, dass sie am Ende ununterscheidbar 'Eins' werden".

Tatsächlich sieht Kucklick das Unterdrückungsverhältnis sehr wohl. Nur ist es für Kucklick (in diesem Zusammenhang) belanglos. Ihm geht es nicht darum, "die Forderung der 'unbegrenzte[n] Unterwerfung' der verheirateten Frau unter den Willen des Mannes' bei Fichte zu bestreiten." Doch sei der "Begründungszusammenhang [...] völlig anders" als die "feministische Interpretation" annehme. Denn der "Kern der Fichte'schen Deduktion", das heißt, der von ihm geforderten Unterwerfung der Gattin unter den Gatten, liege nicht in einer vermeintlichen Überlegenheit der männlichen Vernunft, sondern vielmehr in der "unterlegene[n] Sittlichkeit des Mannes". Und hier hat Kucklick Recht. Dem ist tatsächlich so. Die Ehe ist nicht Fichtes "Antwort auf den Herrschaftsanspruch des Mannes, sondern auf dessen Unmoral". Denn sie soll "die Eindämmungsfront gegen den egoistischen Geschlechtestrieb des Mannes, gegen seine Unsittlichkeit" bilden. Sie ist notwendig, weil der Mann seine triebhafte Unmoral "aus sich selbst heraus nicht überwinden kann, da sie in die Definition seiner Männlichkeit eingelassen ist". Genau das ist der Begründungszusammenhang bei Fichte. Doch ist dabei die Frau entgegen Kucklicks Auffassung nicht nur "vermeintlich" ein "sekundäres Werkzeug" des Mannes, sondern wird in der Ehe tatsächlich zum bloßes Mittel für den männlichen Zweck herabgewürdigt, zunächst zur Triebbefriedigung und sodann, um die Hebel der "Mechanik der Versittlichung des Maskulinen" in Bewegung zu setzen. Und das soll nicht sexistisch sein? Kucklick aber "fällt [es] schwer zu entscheiden, ob Fichtes sittlich evakuierter Patriarchalismus eher misogyn oder misandrisch zu nennen ist, ja ob solche Begriffe der Theorie überhaupt angemessen sind".

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fichtes Eherecht inklusive der "Deduction der Ehe" ebenso wie die Argumentationen all der anderen bekannten und weniger bekannten von Kucklick zitierten Herren der Aufklärung darauf hinaus läuft, dass der Mann in moralischen Dingen ein übler Schweinehund ist, die Frau hingegen eine edle Lichtgestalt. Sie bekommt darum die Aufgabe der Versittlichung des Mannes aufgebürdet. Und das ist keineswegs eine geringe Last, verlangt sie doch ihre völlige Selbstaufgabe und rückhaltlose Unterwerfung unter die Herrschaft des Mannes. Kucklicks Quellen zufolge ist es also nicht nur das Natürlichste der Welt, sondern nicht weniger als recht und billig, wenn er in allen Dingen ihr Herr und sie seine Magd ist. Diesen Begründungszusammenhang der Aufklärung, der die Vorherrschaft des Mannes nicht aus seiner höheren Vernunft, sondern aus seiner geringeren Moral herleitet, herauspräpariert zu haben, ist Kucklicks zentrale Leistung und keine geringe Sensation für die Geschlechterforschung.

Kucklick aber bringt seine eigenen Einsichten abschließend auf die griffige Formel: "Weiblichkeit rettet nicht. Was bedeutet: Männlichkeit zerstört nicht." Ein geradezu kurioser Paralogismus. Doch es sind schließlich auch nicht die Gesetze der syllogistischen Logik, die Kucklick interessieren, sondern die "Strukturlogiken". Sie nämlich seien es, "die ihren Lauf nehmen ganz unabhängig davon, welches Geschlecht jeweils einem der Vorgänge eingepasst wird". Wunderbar, dann wären die Männer ja mal wieder exkulpiert.


Titelbild

Christoph Kucklick: Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der negativen Andrologie.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
379 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783518125380

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