Es schillerten spiegelnde Schlangen

Thomas Grob versammelt in "Der Sonnentempel" erstmals Reiseprosa von Iwan Bunin in deutscher Sprache

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Iwan Bunin (1870-1953), der 1933 als erster Russe den Nobelpreis für Literatur erhielt, war 1953 krank und verarmt in Paris gestorben. 1920 war Bunin in das französische Exil geflohen. Die russische Revolution hatte er mit leidenschaftlichem Argwohn beobachtet und seine Eindrücke in seinem Revolutionstagebuch "Verfluchte Tage" aufgezeichnet. Im Abstand der Jahrzehnte tritt die Hellsichtigkeit seiner Einschätzungen immer deutlicher zutage und erlebt nach erheblicher Verspätung den angemessenen Ruhm auch im eigenen Lande.

Auch in den literarischen Reisebildern wartet Iwan Bunin mit einer lohnenden Lektüre auf. In den Jahren zwischen 1897 und 1924 entstanden, liegen sie erstmals zusammengefasst in deutscher Sprache vor. Obwohl Bunin aus altehrwürdigem Hause stammte, war seine Kindheit nicht von der kulturellen Überladenheit eines adeligen Lebens in der Metropole geprägt. Bunin wuchs vielmehr in einer für die russische Provinz typischen Monotonie auf. Sehnsucht nach der Welt stellte sich früh ein und eine gewisse Unrast wich ihm ein Leben lang nicht mehr von der Seite.

Als dem jungen Mann Gelegenheit gegeben war, die gewohnten Grenzen zu überschreiten, dankte er mit einer überwachen Aufmerksamkeit in der Wahrnehmung. Diese Doppelung, das bewusste Erleben und eine ausgeprägte Sensibilität, bildet einen grundständigen Rahmen in Bunins Reisenotizen.

Es sind dutzende Länder und Städte, die der junge Bunin immer wieder bereist. Zumeist von Odessa aus stach er in See und steuerte den Nahen Osten an. Bunin lernte den heutigen Libanon kennen, Syrien - aber auch Länder wie Palästina und Ägypten. Seine ausgedehntesten Reisen führten ihn nach Indien und Ceylon. Allein dreizehn Mal soll er die Hauptstadt des osmanischen Reiches, Konstantinopel, aufgesucht haben. Bereits vom Schiff aus bewunderte er "die fliedergraue Silhouette von Stambul". Bunin bereiste aber auch Europa und natürlich immer wieder den von ihm so geschätzten Süden, die Ostukraine, den Kaukasus und die Insel Krim.

Die vorliegende Sammlung lässt den Leser an Bunins Exkursionen und vor allem an seinen ungewöhnlichen Wahrnehmungen teilhaben. Seine Beschreibungen fallen nicht in traditioneller Langatmigkeit aus, sondern werden treffend formuliert. Bunins messerscharfer Beobachtungsgabe gelingen betörende poetische Notizen, wenn er zum Beispiel auf dem Schiff feststellt: "Beim Frühstück waren in der Messe alle Bullaugen geöffnet. An der niedrigen weißen Decke schillerten spiegelnde Schlangen, die Wasser und Sonne von Backbord reflektierten".

Die Strecke von Alexandria nach Kairo legt Bunin zum Teil im Zug zurück: "Ich ging auf die Plattform hinaus - und wurde geblendet vom weißen Glanz. Er lodert, als stünde man neben einem riesigen Feuer, erstickt einen mit gelbem Staub... Ich sehe durch den Staub, wie unter Rädern eine Brücke rattert, und wie heißes Glas glitzert unten ein Fluß mit seinen schlammigen Ufern. Das ist schon der Nil."

Der Blick auf die Natur entschädigt Bunin für alle Kraftaufwendungen der Zivilisation. In knappen Worten gelingen ihm eindrucksvolle Skizzen über die Färbung der Wolken ebenso, wie über einen belebten Marktplatz. Aus den bunten und schwirrenden Eindrücken scheint Bunin Bilder geradezu anzusaugen. Man spürt die physische Lust, die Bunin inmitten des exotischen Gewimmels empfindet und sich bei ihm in Sprachkraft umsetzt.

Bunin verabscheute die leninistische Diktatur, die mit der Oktoberrevolution in seinem Land errichtet worden war. 1920 verließ er seine russische Heimat und lebte bis zu seinem Tod im französischen Exil. Paradoxerweise waren seit seiner Zeit im freien Europa Reisen kaum mehr möglich. Die Fahrt nach Oslo, um den Nobelpreis entgegenzunehmen bildete eine der wenigen Ausnahmen, und Iwan Bunin bedauerte dies in einem Interview: "Ich möchte so schnell wie möglich das Vergnügen einer solchen Reise erleben. Bei meiner Rechtlosigkeit als Emigrant, bei all den Schwierigkeiten, unter denen wir Emigranten unsere Visa erkämpfen müssen, bin ich seit dreizehn Jahren nicht mehr ins Ausland gereist, bis auf ein einziges Mal nach England. Für mich, der ich früher endlos in der ganzen Welt herumgereist bin, gehört das zu den größten Entbehrungen".

Hervorzuheben ist neben der vorzüglichen Übersetzung von Dorothea Trottenberg auch die Aufmachung dieses mittlererweile dritten Bandes einer Bunin-Werkausgabe. Neben einem Porträtfoto Bunins und einem sorgfältigen Anmerkungsapparat der Übersetzerin findet sich zudem ein kundiges Nachwort des Konstanzer Slavisten Thomas Grob. Dem Leser werden in diesem Band bislang übersehene Meisterstücke des großen russischen Dichters vorgelegt.


Titelbild

Iwan Bunin: Der Sonnentempel. Literarische Reisebilder.
Herausgegeben von Thomas Grob.
Übersetzt aus dem Russischem von Dorothea Trottenberg.
Dörlemann Verlag, Zürich 2008.
416 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783908777472

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