Familienstreitigkeiten

Ottavio Cappellani erzählt in „Habe die Ehre!“ von mafiösen Götterdämmerungen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die österreichische Krone ist jahrhundertelang gut mit einer Strategie gefahren, sich nicht auf heillose Kriege mit anderen Staaten einzulassen, sondern, so oft das möglich war, Konflikte mittels Heiratspolitik zu lösen – was ihr am Ende zwar nichts genutzt hat, aber endgültig ist eben nun einmal nichts, und schon gar nicht im wirklichen Leben. Wo allerdings Staaten, Königshäuser oder auch nur Familien so viel Vernunft nicht aufbringen können, muss an die Stelle der strategischen Hochzeit die Liebe zweier junger Menschen treten, um etwa die Erbstreitigkeiten zweier Familien schlichten zu können. Dass das schief gehen kann, ist seit dem grandiosen Fehlschlag, den eine gewisse Julia und ein gewisser Romeo mit solch einem Projekt in der Literatur hatten, durchaus bekannt. Aus der Kunst und ihre Geschichten lässt sich aber bekanntlich auch lernen (wenn man denn will), und so sind auch Familienstreitigkeiten krimineller Art mit dem Muster Romeo/Julia ganz gut beizulegen. Zumindest eignet sich William Shakespeares Erfolgsstück bestens als Begleitmusik zu einer grandiosen Klamotte um die beiden Mafiabosse Turrisi und Pirrotta.

Die können sich naheliegend nicht leiden und neiden einander gegenseitig Einfluss, Macht und Geld. Der eine kokettiert bis heute mit seinem Ruf als Betonmischer-Pirrotta (man ahnt, was seine Spezialität ist), während der andere sich als Freund englischer Lebensart stilisiert (was ihn still und leise spätestens dann vor sich hinfluchen lässt, wenn er sich in seinen englischen Anzügen niedersetzen soll, sitzen ist anscheinend bei englischen Schneiderwaren nicht vorgesehen).

Die beiden geraten denkwürdiger Weise aneinander, als ein verkrachter Avantgarde-Theaterregisseur auf die Idee kommt, Shakespeares „Romeo und Julia“ mit Dialektschauspielern aufzuführen (nein, nicht im Dialekt, nur mit Dialektschauspielern). Auch Sizilien macht heute auf Lebensart und Kulturförderung, und so verlagert sich ein Teil der Verteilungskämpfe, an denen die Mafia – wie man hört – immer schon teilgenommen hat, auch auf den Kulturbetrieb. Und wenn nun ein Kulturreferent aus dem Turrisi-Lager einen Coup landet – indem er die Shakespeare-Inszenierung an Land zieht und auf Kosten eines Kulturreferenten aus dem Pirrotta-Lager, dann kann man sich das so einfach nicht gefallen lassen. Klar, was dann passieren muss. Irgendjemand muss daran glauben.

Weil aber heute alles nicht so einfach ist wie früher (die guten alten Zeiten, als Pirrotta noch mit dem eigenen Betonmischer durch die Gegend fuhr: rein in den Beton und weg), muss die Angelegenheit zwar bereinigt werden, der Weg dazu ist aber denkbar kompliziert. So kompliziert, dass keiner der Kombattanten damit wirklich zufrieden sein kann – und das Ganze ohnehin nicht mehr wirklich kontrolliert. Überforderte Mafia-Bosse, in die Jahre gekommen, was können die alles anrichten.

Nun kommt hinzu, dass Pirrotta seine lebenslustige Tochter Betty gern mit Turrisi verheiraten würde, was zum einen das Gerangel mit Turrisi nicht einfacher macht. Der Schwiegervater meuchelt die Lagergenossen des Schwiegersohns und umgekehrt? Was für ein Schlamassel. Zum anderen ist das Projekt nicht ganz einfach umzusetzen, weil Betty deutlich jünger als Turrisi ist (wir erinnern uns, die Familie hatte mit Julia ähnliche Pläne). Betty hat zudem ihren eigenen Kopf, und macht damit die Verwirrung um die Shakespeare’sche Inszenierung komplett.

Das alles geschieht nun eingebettet in die Hautevolee sizilianischer Provenienz, deren Hauptaufgabe anscheinend darin besteht, das Leben in ihrer Umgebung möglichst kompliziert und unattraktiv zu machen. Das aber ist die quasi natürliche Basis der Komödie, die Capellani hier inszeniert.

Seinen Höhepunkt erreicht die Szenerie, als genau in dem Moment, in dem der Schauspieler, der den Romeo gibt (als beinahe Sechzigjähriger zumindest verfremdet besetzt), sich an einer zweideutigen Textstelle ans Gemächt fasst und der Kulturreferent Falsaperla erschossen zu Boden sinkt. Das lässt für den Erfolg der Inszenierung nicht das Beste hoffen, auch wenn sich die Beteiligten flugs daran machen, einen neuen Anlauf für die Aufführung zu machen. Kultur weicht immerhin nicht so einfach vor der Gewalt, es sei denn – wie das bekannte Bonmot zu Lasten der Sozialdemokratie sagt – es regnete.

Aber so heldenmütig sich die Theaterleute (die es ja nicht getroffen hat) auch an die nächste Aufführung machen, ein wenig mulmig wird auch ihnen, als just im selben Moment auf den einen der nächste Mord folgt, diesmal am Referenten der anderen Seite, Intelisano. Shakespeare hat es in sich, aber dass er gleich solche Folgen hat, wer hätte das gedacht. Und damit ist die Geschichte immer noch nicht zuende.

Capellani zieht in seiner komödiantischen Inszenierung alle Register, lässt sich dabei alle Zeit der Welt, nicht zuletzt um sein Komödienpersonal in aller Ruhe zur Entfaltung zu bringen. Das ist für einen Kriminalroman ungewöhnlich, freilich unabhängig davon ein großes Lesevergnügen.

Titelbild

Ottavio Cappellani: Habe die Ehre! Eine Mafia-Komödie.
Übersetzt aus dem Italienischen von Annette Kopetzki.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009.
400 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498009373

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