Uni-Sex

Gender Studies auf dem Campus und in der Literatur

Von Sabine KyoraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Kyora

Geschlechterdifferenzen sind historisch definiert: Wenn wir etwas von den Gender Studies gelernt haben, dann diese Diagnose. So sind wir inzwischen daran gewöhnt, die Männer- und Frauenbilder und das Verständnis von Sexualität etwa im 19. Jahrhundert nicht mehr als aktuell relevant zu betrachten. Und hoffen dann auch, dass damit das traditionelle Modell der Geschlechterpolarität historisch geworden ist: hier die Frauen – gefühlsbetont, natürlich, mütterlich –, da die Männer – rational, intellektuell, öffentlich wirkend – und dazwischen der große Graben. Gehen wir doch einmal davon aus, dass diese Polarität der Vergangenheit angehört und heute tatsächlich so etwas wie die Annäherung der Eigenschaften, die den Geschlechtern zugeschrieben werden, stattfindet, dass es tatsächlich eine Entwicklung gibt, die in Richtung des Titels meines Aufsatzes geht, in Richtung „unisex“. Der Duden erklärt dieses Wort folgendermaßen: Unisex, der: Annäherung der Geschlechter durch Auflösung typisch männlicher oder weiblicher Attribute.

Ich möchte diese Hypothese auf einem Gebiet verfolgen, das die allermeisten von uns gut kennen, nämlich auf dem Campus, der – wie Dietrich Schwanitz es auch in seinem Roman versichert – natürlich in jedem der folgenden Fälle frei erfunden ist. Campus-Romane unterscheiden sich von anderen Romanformen nicht nur durch den Ort, an dem sie spielen, sondern auch dadurch, dass in den meisten Fällen intellektuelle Theorien das Romangeschehen beeinflussen. Campus-Romane können natürlich auch noch einem anderen Genre angehören, also etwa Liebes- oder Kriminalromane sein, trotzdem sind Handlung und Ton meist geprägt von den theoretischen Einsichten, denen ihre Figuren folgen. Und natürlich lässt sich durch den Gegensatz zwischen den Anforderungen des praktischen Lebens und dem Elfenbeinturms Universität auch für den Roman Kapital schlagen.

Wenn man sich also Campus-Romane anschaut, kann man darin meistens die gerade modernen, auch modischen Theorien der jeweiligen Wissenschaften und der sie vertretenden Wissenschaftler entdecken. Das heißt aber natürlich auch, dass die Gender Studies, und ebenso feministische Ansätze in den Kulturwissenschaften, in den allermeisten Fällen verkörpert durch eine Wissenschaftlerin, in den Campus-Romanen immer schon auf der Ebene der Handlung eine wichtige Rolle spielen. Und genau an diesen Stellen wird auch das Geschlechterverhältnis diskutiert: Hier wäre also die Frage zu stellen, gibt es eine Annäherung der Geschlechter, eine Auflösung typisch männlicher oder weiblicher Attribute?

Ich will im folgenden anhand von vier Campus-Romanen, die alle in den 1980er- und 1990er-Jahren spielen und geschrieben wurden, die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern darstellen: anhand von David Lodges Roman „Small World“ (in der deutschen Übersetzung: „Schnitzeljagd“) von 1984, von Antonia S. Byatt  „Posession“ (in der deutschen Übersetzung: „Besessen“) von 1990, anhand des Romans von Dietrich Schwanitz „Der Campus“ von 1995 und von Thomas Meineckes Roman „Tomboy“ von 1998. Mit Ausnahme von Thomas Meinecke, der Schriftsteller und Discjockey ist, sind alle anderen Autoren abtrünnige Literaturwissenschaftler, also entsprechend gut informiert.

Zunächst einmal gibt es bei den weiblichen Figuren, also den Wissenschaftlerinnen, die die Gender Studies vertreten, offensichtlich ein Klischee, das in den Romanen so nicht mehr bedient werden soll, nämlich der Typus der verbiesterten und vor allem unattraktiven Feministin. In Dietrich Schwanitz’ Roman „Der Campus“ ist also die „Zentralfrauenbeauftragte“, die „Linguistin Professor Dr. Ursula Wagner. Schlank, blond, gutaussehend und chic“ – und entspricht damit „so gar nicht dem Klischee verunsicherter Machos von der kompensatorischen Funktion femininistischen Eiferertums.“ Im Gegensatz zu anderen wissenschaftlichen Theorie-Richtungen konnte man einer Feministin also ansehen, dass sie eine ist. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein: Die Zentralfrauenbeauftragte, die Schwanitz in seinem Roman schildert, sieht nicht mehr wie eine Feministin aus, was es aber zumindest bei Schwanitz nicht unbedingt besser macht, denn durch die Attraktivität des Äußeren besteht die Gefahr, sie mit einer sexuell anziehenden Frau zu verwechseln. Dieser Gefahr auf der eher privaten Ebene entspricht dann noch ein Zuwachs an institutioneller Macht, selbst der Präsident der Universität kuscht angeblich vor der Frauenbeauftragten.

Was an Schwanitz’ Formulierung aber auch deutlich wird, ist, dass Geschlechterdifferenzen an diesem Punkt offensichtlich neu ausgehandelt werden: Feministinnen waren solange nicht gefährlich, wie sie eindeutig zu identifizieren und von „richtigen Frauen“ zu unterscheiden waren. Das Klischee, dass Frauen sich nur dann für Frauen interessieren, wenn Männer sich nicht für sie interessieren, haben jedoch nur noch „verunsicherte Machos“ im Kopf, das heißt ja wohl auch, dass „richtige“ Männer dieses Klischee nicht nötig haben. Allerdings haben diese Männer – das zeigt der Roman sehr deutlich – es nun wirklich schwer, weil sie nie wissen, ob sich ihr weibliches Gegenüber nicht doch wieder als Feministin entpuppt. Aus männlicher Perspektive scheinen Frauen also schwerer einzuschätzen zu sein, weil die eindeutig weiblichen Attribute – „schlank, blond, gutaussehend und chic“ – täuschen können. Wenn also nicht klar ist, ob Frauen sich als „sexuell interessante“ Frauen quasi nur verkleiden, aber in Wirklichkeit Feministinnen sind, dann werden die Geschlechterverhältnisse, zumindest aus männlicher Perspektive, schwerer durchschaubar, das heißt aber auch, dass die polarisierenden Klischees, was Männer und was Frauen sind oder tun, nicht mehr gültig sind.

Alle vier Romane beschäftigen sich also mit den sich verändernden Geschlechterverhältnissen, und zwar theoretisch wie praktisch. Die Frage, die sie dabei auf die eine oder andere Weise umtreibt, ist die, wie mit der Uneindeutigkeit des Geschlechterverhältnisses umgegangen werden kann, wobei die Haltungen zu diesem Phänomen weit auseinander gehen: Das Spektrum reicht vom Wunsch nach Eindeutigkeit bis zum Spiel mit den Möglichkeiten, die diese Uneindeutigkeit eröffnet.

I. Uni-Sex: die Annäherung der Geschlechter

Nähern wir uns der Frage, wie die Geschlechterverhältnisse auf dem Campus dargestellt werden, doch einmal mit einem fundamentalen Missverständnis. Man kann Uni-Sex und die Annäherung der Geschlechter auch so verstehen: „Als die noch kleine Vivian von ihrer kessen Mutter Gerlinde zum ersten Mal das Wort Unisex gehört hatte, dachte sie zuerst, es handelte sich dabei um sexuelle Praktiken am Campus.“ Vivian ist die Hauptfigur in Thomas Meineckes Roman „Tomboy“, und es ist kein Wunder, dass sie ihre Mutter auf diese Art missversteht. Diese gehört nämlich der Generation an, die für die sexuelle Befreiung in den 1960er- und 1970er-Jahren steht.

Für Vivian dagegen ist die theoretische Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis von zentraler Bedeutung. Denn Meineckes Roman spielt hauptsächlich in Heidelberg und unter Studierenden der dortigen Universität, die sich alle mit den Gender Studies beschäftigen. Vivian etwa schreibt an einer Magisterarbeit zu Otto Weiniger und seiner Schrift „Geschlecht und Charakter“, in der sie seine frauenfeindliche Argumentation entlarven will. Die Handlung des Romans ist gegenüber der theoretischen Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen weitgehend zurückgenommen: Vivian trifft ihren Professor und ihre Freundinnen, die sich ebenfalls in ihren Doktor- und Magisterarbeiten mit Themen aus den Gender Studies auseinandersetzen, geht tanzen und spazieren; eine Art Höhepunkt bildet die gemeinsame Fahrt nach München, um an der dortigen Universität Judith Butler sprechen zu hören. Was der Roman anstelle einer Handlung nachzeichnet, ist die Entstehung von Vivians Magisterarbeit und die Diskussionen um die gesellschaftliche Normierung von Sexualität und die Festschreibung von Geschlechterrollen. Als Ziel der Gender Studies wird hier die Auflösung der Normierung verstanden, die zur Annäherung der Geschlechter führt, weil sich dann die eindeutig männlichen und weiblichen Attribute auflösen. Die „sexuellen Praktiken am Campus“ spielen dabei eine vergleichsweise geringe Rolle. Wenn sie geschildert werden, dann gewissermaßen sine ira et studio, der Geschlechterkampf jedenfalls findet nicht mehr statt. Mit diesem Blick auf die Geschlechterverhältnisse steht Meineckes Roman an einem Ende der Skala, während Schwanitz und sein Roman „Der Campus“ sich am anderen Ende befinden.

Im „Campus“ nämlich geht es hauptsächlich um die sexuellen Praktiken am Campus: Das auslösende Moment der Handlung ist die Affäre zwischen Hanno Hackmann, Professor der Soziologie, und der Studentin Barbara Gladitz, die bei ihm ihre Abschlussarbeit schreiben will: „Sie wollte über Christiane de Pizan schreiben. Diese französisch gewordene Venezianerin aus dem frühen 15. Jahrhundert war zur Schutzheiligen der Feministinnen geworden, und ihr Buch ,Stadt der Frauen‘ stand in den Buchläden direkt neben den Rubriken ,Hexen‘ und ,Lesben‘. Hanno hatte versucht, Babsi von dem Thema abzubringen, weil es sie in die feministische Irre führen würde.“

Babsi ist also auch feministisch interessiert und außerdem diejenige, die Hackmann verführt. Als die Affäre schließlich publik wird, wird Hackmann zum Spielball divergierender Interessen, vor allem aber zum Opfer feministischer Antidiskriminierungspolitik. Denn in Schwanitz’ Roman „Der Campus“ tobt der Geschlechterkampf auch universitär. Dabei zeigt sich, dass die Frauen vor allem deswegen gefährlich sind, weil sie den Feminismus einsetzen wie andere sogenannte weibliche Waffen auch. Und weil sie dabei auch noch gut aussehen. So sind die Männer alle auf die eine oder andere Art Opfer weiblicher Intrigen und Interessen. Dadurch, dass der Feminismus inzwischen institutionalisiert ist, ist er auch eine politische Macht, die entscheidet, welche Regeln gelten. Die „political correctness“, die angeblich an der Universität herrschen soll, macht es möglich, dass die Frauen fast unangreifbar werden – behauptet jedenfalls der Erzähler im „Campus“. So gibt es im „Campus“ zwar sexuelle Annäherungen, aber keine Annäherung zwischen den Geschlechtern. Die Frauen sind genauso, wie Frauen schon immer geschildert worden sind: unberechenbar, irrational, verführerisch – und dadurch, dass sie jetzt auch noch Macht haben, ist der Graben zwischen den Geschlechtern nur noch breiter geworden. Hier haben Männer keine Chance (mehr). Während bei Meinecke die sexuelle Annäherung der Geschlechter auf die theoretische Ebene verschoben ist, stellt Schwanitz sie dar, ohne dass dabei die Geschlechterpolarität aufgehoben wird.

Der Literaturwissenschaftler Morris Zapp hat im zweiten Band von David Lodges Campus-Trilogie „Small World“ aus dem Zustand der Geschlechterbeziehungen bereits die Konsequenz gezogen: Er hält es für besser, enthaltsam zu leben, wenn man durch seine Arbeit an der Universität eine Machtposition erreichen will. Seine Begründung ist einigermaßen eigenwillig: „Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß Sex eine Sublimation des Arbeitsinstinkts ist. […] Es ist offensichtlich, daß sie [er meint seine Kollegen] viel lieber arbeiten würden, aber sie genieren sich, es zuzugeben.“

Allerdings führt diese Diagnose keineswegs dazu, dass Lodges Roman „Small World“ sich nicht hauptsächlich um Sex dreht. Nicht umsonst heißt er im Untertitel „An academic romance“ und führt dann auch zahlreiche Versuche vor, den Arbeitsinstinkt zu „sublimieren“. Auf den unterschiedlichen literaturwissenschaftlichen Konferenzen treffen sich immer wieder dieselben Leute – Lodge schildert ausführlich all die modischen literaturwissenschaftlichen Theorien der 1980er Jahre –, viele von ihnen treibt nicht nur der berufliche Ehrgeiz, sie sind auch privat auf der Suche. Morris Zapp ist eins der bereits arrivierten Mitglieder der scientific community, eine andere Figur ist Persse McGarrigle, der nach der Frau seines Lebens sucht.

Aber auch die Gender Studies sind längst Teil von Lodges „kleiner“ akademischer Welt, also literaturfähig geworden. Da hält eine ehrgeizige junge Literaturwissenschaftlerin mit Interesse an den Gender Studies auf einer großen Konferenz einen Vortrag, in dem sie behauptet: „Epos und Tragödie bewegen sich unaufhörlich auf ein Ziel zu, das wir nicht zufällig – den ,Höhepunkt‘ nennen – und es ist im Sinne der sexuellen Metapher ein essentiell männlicher Höhepunkt, eine einzige explosive Entladung akkumulierter Spannung.“

Lodge nimmt hier eine Debatte aufs Korn, die es tatsächlich in den Gender Studies gegeben hat, nämlich die um Genre und Gender, also die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Geschlechterdifferenz und Genre-Wahl bei Dichterinnen und Dichtern, liest diese Fragestellung aber natürlich gegen den Strich, indem er seine fiktive Literaturwissenschaftlerin behaupten lässt, Epos und Tragödie seien sexuell als männliche Gattungen zu verstehen. Trotzdem spiegelt diese Kopplung von Geschlechterkonstruktion und literarischer Gattung die Debatten in den 1980er-Jahren wieder, die zwar durch die programmatische Trennung von Sex und Gender, also biologischem und sozialem Geschlecht, gekennzeichnet waren, die aber an bestimmten Punkten – der Argumentation von Lodges Literaturwissenschaftlerin gar nicht unähnlich – den Rekurs auf körperliche, biologische Muster dann doch wieder benutzen. In den 1990er-Jahren wird dann gerade das Konzept eines eindeutig codierten geschlechtlichen Körpers problematisch (und damit auch eine solche Form der Übertragung wie die, über die Lodge sich hier lustig macht). Lodge zeichnet literaturwissenschaftliche Positionen in den Gender Studies nach, benutzt sie aber nicht zur Auflösung der Geschlechterdifferenzen, sondern zur Charakteristik seiner Figuren. Die sexuellen Beziehungen bleiben von den theoretischen Debatten im großen und ganzen unberührt, sogar Morris Zapp wird zum Schluss seiner Devise untreu.

Dass theoretische Positionen der Gender Studies wiederum der Annäherung der Geschlechter eher im Wege stehen, ist in Antonia Byatts Roman „Besessen“ genauso der Fall wie in Schwanitz’ Campus-Roman, hat bei Byatt aber ganz andere Gründe. Wie bei Logde besteht das gesamte Personal des Romans aus Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlern, auch der Titel bezieht sich tatsächlich auf deren Treiben: „Kein Wissenschaftler ist ganz normal“, sagt Maud Bailey, die in einem Archiv für Frauenliteratur arbeitet, „Obsessionen sind nun mal gefährlich […]. “Die Obsession, um die es in Byatts Roman geht, ist die literaturwissenschaftliche Forschung, vor allem die, die sich mit einem einzelnen Autor befasst. Maud Bailey interessiert sich besonders für eine Autorin des 19. Jahrhunderts, bei ihren Recherchen trifft sie auf einen jungen Mann, der wiederum einen Autor aus derselben Zeit erforscht. In der gemeinsamen Rekonstruktion der Biografien ihrer Forschungsobjekte stellen sie nicht nur fest, dass die beiden eine Liebesaffäre miteinander hatten, sondern verlieben sich auch selbst ineinander.

Auch hier ist es so, dass zunächst einmal die Geschlechterklischees ebenso wie die Klischees, die den Gender Studies anhaften, referiert werden: Eine der Wissenschaftlerinnen entdeckt in jeder Landschaft die entsprechenden sexuellen Elemente. Wenn es um eine Schriftstellerin geht, dann findet sich ihre weibliche Sexualität in ihren Landschaftsdarstellungen wieder. Und besonders interessant sind natürlich lesbische Schriftstellerinnen, weil die sich nicht in den Grenzen der Sexualität bewegen, die Frauen vom Patriarchat zugestanden wird, und weil deren von der Norm abweichende Sexualität – so zumindest die These – dann auch in ihrer Dichtung erkennbar wird.

Byatts Roman aber nimmt diese Klischees, die gleichermaßen theoretische Positionen betreffen wie den Glauben daran, man wüsste letztendlich doch, was weibliche und was männliche Attribute sind, Schritt für Schritt auseinander: Die Schriftstellerin, die das bevorzugte Objekt der feministischen Wissenschaft ist und auch im Zentrum von Maud Baileys Interesse steht, weil sie schon im 19. Jahrhundert mit einer Frau zusammengelebt hat, erweist sich – wie schrecklich –als heterosexuell, was vielleicht gerade noch zu tolerieren wäre, wenn sie den Mann nicht auch noch geliebt hätte. Und auch Maud Bailey arbeitet mit ihrem Kollegen, Roland Michell, zusammen, der solide hermeneutische Literaturwissenschaft betreibt, und verliebt sich in ihn. Von der scientific community wird das folgendermaßen kommentiert: „,Ich kann Maud nicht verstehen […]. Vielleicht ist Ihr Roland Michell der typische herrische Macho. Ich kann aus dem Ganzen nicht schlau werden.‘ ,Ein Macho ist der nicht. Er kann sich nicht durchsetzen, daß ist sein größte Schwäche.‘ ,Dann muß es echte Liebe sein.‘“

Er ist kein Macho, und sie ist eine Feministin, die den Klischees von feministischen Literaturwissenschaftlerinnen nicht entspricht. Sie ist nicht nur schön und klug, sondern auch noch schüchtern. Das Verhalten der beiden, das eben nicht den gängigen Klischees folgt, führt dann dazu, dass ihre Annäherung gerade deshalb kompliziert wird: Er verhält sich nicht wie der Eroberer, was ihn für sie besonders interessant macht, aber auch zur Folge hat, dass er nicht die Initiative ergreift; sie wirkt kühl und souverän, hat aber Angst verletzt zu werden.

Wenn die alten Bilder der Geschlechter nicht mehr taugen, auch theoretisch als überholt angesehen werden, kann das zwar theoretisch reflektiert werden, auf der theoretischen Ebene können diese Bilder auch relativ schnell erweitert und ergänzt werden. In der Praxis führt die Auflösung der Bilder jedoch erst einmal zu Unsicherheit und Sprachlosigkeit: „Sie waren Kinder einer Zeit und einer Kultur, die der Liebe mißtraute, der Verliebtheit, der romantischen Liebe, überhaupt aller Romantik, und sich im Gegenzug geradezu überschwenglich einer sexualisierten Sprache bedient, linguistischer Sexualität, die Analyse, Zerlegung, Dekonstruktion und Offenlegung der Sexualität zelebrierte. […]. Sie suchten Zuflucht im Schweigen. Sie berührten sich wortlos und wie unbeabsichtigt – eine Hand, die auf einer Hand lag; ein bekleideter Arm, der auf einem Arm ruhte; ein Knöchel, der sich über einen Knöchel legte, wenn sie am Strand saßen, und liegenblieb.“

Während die „linguistische Sexualität“ sprachlich alles möglich macht, ist auf der Ebene realer Sexualität ein Zustand eingetreten, den man beinahe mit dem altmodischen Wort „Keuschheit“ bezeichnen könnte. So etwas wie der Versuch, sexuelle Unschuld, allerdings reflektiert, wieder herzustellen und die Annäherung der Geschlechter – jetzt ohne Festschreibung männlicher oder weiblicher Rollen – beginnen zu lassen.

Während bei Byatt dieses Stadium der „sexuellen Unschuld“ nur vorübergehend ist und mit der bekannten, untheoretischen Annäherung der Geschlechter endet, haben theoretische Positionen der Gender Studies in Thomas Meineckes Roman „Tomboy“ noch weitergehende Konsequenzen: „Korinna, fünfte Tochter eines hohen Karlsruher Richters, war schon immer ein bißchen sonderbar gewesen. Vor einigen Jahren hatte sie sich, zwar vorübergehend, aber über einen längeren Zeitraum hinweg, in übertriebener Anlehnung an Michel Foucault, der geäußert hatte, daß Sex ein gemeines, fiktives Herrschaftsinstrument sei, das dem derzeitigen Regime gegenüber keinerlei kritische Kraft entwickeln könne, erst gar nicht in irgend jemanden verliebt.“

Das Wissen um die Einbindung der Sexualität in die gesellschaftliche Ordnung führt bei Meinecke gelegentlich zur Enthaltsamkeit – soweit man das bei Figuren so bezeichnen kann, die sagen: „Ich sollte endlich mal wieder meine Zwangsheterosexualität unter Beweis stellen“, wenn sie finden, es wäre an der Zeit, mal wieder mit einem Mann auszugehen. Die Methodik, die Vivian für ihre Magisterarbeit ebenso benutzt wie für die Interpretation der Alltagswelt, stammt wie die ihrer Kolleginnen aus den Gender Studies der 1990er-Jahre, vor allem aus den Arbeiten von Judith Butler. So spricht Vivian deshalb von ihrer Zwangsheterosexualität, weil Judith Butler das gesellschaftlich gewünschte Geschlechterverhältnis so bezeichnet. Der „Zwang“ an der Heterosexualität ist die gesellschaftliche Norm, die nicht nur versucht, Menschen mit eindeutiger geschlechtlicher Identität zu formen, sondern auch schon den Partner im jeweils anderen Geschlecht vorgibt. Immerhin ist sich Vivien ihrer „Zwangsheterosexualität“ sicher und leistet den Avancen ihrer lesbischen Freundin Frauke Stöver entschieden Widerstand.

Die Annäherung der Geschlechter findet hier nicht über die Darstellung von Sexualität statt, sondern nur noch über das Reden darüber und nur theoretisch; das heißt: Inspiriert von der Theorie Butlers wird überlegt, ob der Geschlechtsunterschied eine Bedeutung hat, solange er nicht sprachlich artikuliert wird – Antwort: nein –, ob die sprachliche Bezeichnung der Geschlechter und ihrer spezifischen Eigenschaften unserer individuellen Existenz vorgängig ist und uns immer schon vorgibt, wie wir unseren Körper und den der anderen / des anderen verstehen – Antwort: ja – und ob man dann nicht, spaßeshalber, seinen Körper auch umdefinieren kann, wenn darüber zumindest in der Gruppe Konsens herrscht.

Und so kann dann tatsächlich die biologische Definition, was ein Mann sei, aufgehoben werden: Angela, ein Mitglied der Gruppe, sieht sich selber als Frau, ist aber biologisch ein Mann; weil wiederum Frauke Stöver mit ihr zusammen ist und diese Beziehung als lesbische definiert, gilt Angelo als Angela und außerdem als gesellschaftlich fortschrittlich, weil sie sich den gesellschaftlichen Normen wiedersetzt, die sagen, dass man das Geschlecht hat, mit dem man biologisch – als weiblich oder männlich – geboren wird.

In allen vier Romanen geht es zwar um die Annäherung der Geschlechter, sexuell oder theoretisch; die theoretische Annäherung der Geschlechter führt allerdings dazu, dass die sexuelle Annäherung nicht mehr den vertrauten Mustern folgt. Wird dagegen wie bei Schwanitz das Geschlechterverhältnis als polar vorausgesetzt, werden feministische Versuche, das Geschlechterverhältnis anders zu bestimmen, dieser Polarität untergeordnet, und Feminismus gehört wie das ,chice‘ Auftreten der Frauenbeauftragten zu den weiblichen Waffen. „Sexuelle Praktiken am Campus“ sind dann zwar möglich, die Auflösung männlicher und weiblicher Attribute jedoch weniger.

II. Unisex: Mode und Geschlechterverhältnis

Unisex könnte, laut der Definition des Dudens, auch als eine oberflächliche Annäherung verstanden werden, die die tatsächlichen Attribute von Männlichkeit und Weiblichkeit nicht erreicht. Wenn aber wie bei Meinecke die Geschlechtszugehörigkeit nicht mehr durch den Rekurs auf die Sexualität und damit mehr oder weniger durch den Bezug zur Biologie geklärt werden kann, dann spielt die Inszenierung des Körpers eine entscheidende Rolle, das heißt – und das sieht man nicht nur bei Meinecke sehr deutlich – vor allem Kleidung wird wichtig.

Die Codierung von Kleidung hat aber innerhalb der Darstellung des Geschlechterverhältnisses natürlich immer schon eine wichtige Rolle gespielt: Schließlich geht es auch hier darum, wer die Hosen anhat. Die Entwicklung, die zumindest das 20. Jahrhundert auszeichnet, ist eine, die den weiblichen Kleidungsstil eher dem männlichen annähert, das heißt, Frauen können inzwischen alles tragen, was Männer auch tragen. Das führt zu einer „optischen Annäherung der Geschlechter“ durch die mögliche Auflösung weiblicher Attribute in der Mode, eine Auflösung, die besonders für den beruflichen Bereich gilt. Darüber schrieb auch schon Marianne Schuller in ihrem Essay „Erfolg ohne Glück? Über den Widerspruch von Weiblichkeitsrolle und Karriere“ aus dem Jahr 1979: Zunächst einmal erscheint die Wissenschaftlerin im „gediegenen Jackenkleid“, das sie als „notgedrungen modisch indifferente Wissenschaftlerin bevorzugt“. Sie ist sich immer bewusst, dass sie „[….] in das von Männern beherrschte Terrain selber ein[bricht]. In diesem Sinne ist sie Conquistadorin auf dem männlichen Kontinent. Aber sie erobert ihn nicht in der romantischen Maskerade einer Frau in Männerkleidern, die die hierarchische Geschlechterdifferenz in ein lustvoll listiges Vexierspiel verwandelt; vielmehr ist das Gesetz ihres Handelns das einer eher unglücklichen Mimikri: sie muß ein männliches Subjekt werden, sie muß ihren Status als Frau verleugnen, preisgeben.“ Ist sie dann wieder zu Hause, muss sie in der Beziehung mit einem Mann „[e]ntweder […] symbolisch ihren Beruf an den Nagel hängen und im Negligé der Weiblichkeit erscheinen; oder aber sie nimmt innerhalb der Beziehung den Kampf um die Anerkennung ihrer intellektuellen Arbeit auf.“

Die berufliche Kleidung, die eher „unisex“ ist, dient der Karriere und der Angleichung an das männliche Auftreten im Beruf – nicht männliche und weibliche Attribute werden aufgelöst, sondern die weiblichen, um als Frau nicht aufzufallen. Zuhause dagegen müssen die weiblichen Attribute natürlich beibehalten werden, da hüllt sich die Frau ins „Negligé der Weiblichkeit“, will sie nicht gleich wieder in den Kampf ziehen. Männliche Attribute werden dagegen im allgemeinen nicht aufgelöst oder den weiblichen angeglichen, denn „kein Mann hatte jemals im Hosenrock, geschweige denn im Hemdblusenkleid, Karriere gemacht“, stellt Vivian in ihrer Magisterarbeit fest.

Darüber hinaus konnte im Bereich der Universität, das behaupten zumindest die Romane, die theoretische Einstellung der Wissenschaftlerin zu einem bestimmten Kleidungsstil führen: Feministinnen waren einmal auch an ihrer Kleidung erkennbar, sind es aber nun nicht mehr länger, sie können sich – so ist es zumindest bei Schwanitz – auch als Frau verkleiden, sich das Negligé der Weiblichkeit anziehen. Die Verwendung von als weiblich definierten modischen Attributen lässt aber keine Schlussfolgerungen auf das Verhalten ihrer Trägerin mehr zu, natürlich auch nicht auf deren theoretische Ausrichtung. So kommt es im Bereich der Kleidung und ihrer geschlechtsspezifischen Codierung zunehmend auf die feinen Unterschiede an: „Schau dir meine Blue Jeans an, hatte Gerlinde Atkinson erklärt und eine albern aufreizende Pose eingenommen, Blue Jeans sind Unisex. Aber Vivian hatte längst bemerkt, daß der Hosenschlitz ihrer Mutter nach links wies, derjenige Rodney Atkinsons dagegen nach rechts, und die Granny aus Cincinati trug im Familienalbum sogar Jeans, deren Schlitz völlig unnütz, seitlich an der Hüfte angebracht war“, heißt es bei Meinecke.

Die Jeans, die alle tragen, nähern also die Geschlechter modisch einander an, allerdings geschieht das Vivians Meinung nach nur scheinbar. Denn die „feinen“ Unterschiede bleiben bestehen, so wie der Reißverschluss der Jeans jeweils unterschiedlich eingenäht wird, auch wenn alle Jeans tragen.

„Unisex, kam Vivian damals mit sich überein, kann dies alles noch nicht sein; genauso wenig wie diese Röcke für Männer, welche alle paar Jahre durch die Illustrierten gingen, steife, kegelförmige Wickel, wie aus billigen italienischen Gladiatorenfilmen. Nein, die humanistische Gilde der Modeschöpfer hatte zu allen Zeiten darauf geachtet, den noch so kleinen Unterschied einseitig, dichotomisch repressiv, hochleben zu lassen; kein Mann hatte jemals im Hosenrock, geschweige denn im Hemdblusenkleid, Karriere gemacht.“

Die „Aufrechterhaltung des noch so kleinen Unterschieds“ ist also die Aufgabe der Mode-Industrie, während die Frauen, wie Vivians Mutter, dazu neigen, durch Mode den Geschlechterunterschied eher zu verwischen – oder ihre weiblichen Attribute herausstellen, deren sexuell anziehenden Charakter aber verleugnen, sich also als „Frau“ bloß verkleiden.

Der Zusammenhang zwischen Feminismus und Mode stammt aus den 1960er-Jahren, aus der Generation von Vivians Mutter. Bestimmte Kleidungsstücke wurden abgelehnt, weil sie die Unterdrückung der Frau und ihrer Sexualität verkörperten, gesellschaftliche Progressivität oder der Stand der Emanzipation waren also an der Kleidung erkennbar. In der Generation, die Meineckes Roman hauptsächlich zeigt, hat Mode zwar ebenfalls eine große Bedeutung, es gibt aber keine feste Regeln mehr, was „gesellschaftlich progressiv“ ist, vielmehr scheint es durchaus schick zu sein, ein Strassdirndl von Versace zu tragen.

Im „Campus“ zeigt sich eine ähnliche Perspektive auf den Zusammenhang von Kleidung und Feminismus, die allerdings anders bewertet wird: Zwar ist die Frauenbeauftragte, die „Linguistin Professor Dr. Ursula Wagner“,  wie schon zitiert, „schlank, blond, gutaussehend und chic“, trägt also wohl nicht ein „gediegenes Jackenkleid“, diese Aufmachung ist aber eine Falle, so wie auch Babsi für Hackmann eine Falle ist, eine Falle deswegen, weil die Frauen so vortäuschen, an Männern interessiert zu sein, es ist ihnen tatsächlich aber nur an ihren eigenen Vorteilen gelegen. Babsi hüllt sich also, wie Schuller formulieren würde, ins „Negligé der Weiblichkeit“, um Hackmann zu verführen und von sich abhängig zu machen.

„Er hatte sich die Szene vorgestellt. Babsi betrat sein Büro und ließ sich wie immer auf dem Sofa nieder. Wahrscheinlich warf sie die Schuhe weg und zog die Beine hoch. Wenn sie wieder eins dieser lockeren Kleider trug, die sie in letzter Zeit bevorzugte, konnte daraus leicht eine Katastrophe entstehen. Sollte er sich vielleicht hinter dem Schreibtisch und ihr den Besucherstuhl anbieten? Nein, verklemmt wirken wollte er auch nicht.“

Als sie dann tatsächlich eins dieser Kleider trägt, wirkt „sie wie eine indische Göttin, und Hanno hätte sich nicht gewundert, wenn ihr sechs Arme gewachsen wären.“ Nicht nur dass die Frauen, feministisch bewandert oder verwirrt, in die Domäne der Männer einbrechen, sie bringen den bisher den Männern vorbehaltenen Bereich dadurch durcheinander, dass sie unpassend gekleidet sind: So werden sie wieder zur indischen Göttin, gleichermaßen verlockend und bedrohlich.

Auch bei David Logde sind die alten Muster gut erkennbar, nur werden sie durch einen Schuss Ironie in der Schwebe gehalten. Die junge Literaturwissenschaftlerin, die die Theorien über den Zusammenhang von Genre und Gender vorträgt, bietet natürlich „das Bild strenger Gelehrsamkeit […] – breitrandige dunkle Brille, das Haar straff zum Knoten zurückgenommen, von der Kleidung sah man nur die taillierte Jacke und eine weiße Bluse“. Als der jugendliche Held, Persse McGarrigle, der sie auf allen literaturwissenschaftlichen Konferenzen dieser Welt gesucht hat, ihr endlich seine Liebe gesteht, hat sie sich allerdings nach ihrem Vortrag umgezogen: „[…] sie trug jetzt ein Kleid aus fließender roter Seide, das frisch gewaschene Haar fiel ihr locker und glänzend um die Schultern“. Auch hier ist es wieder, das „Negligé der Weiblichkeit“, und die Annäherung der Geschlechter geht dann auch entsprechend rasant von statten. Die Pointe ist aber nicht die, dass Wissenschaftlerinnen dem „unisex“ huldigen und sich erst in eine Frau zurückverwandeln müssen, wenn sie an meinem Mann interessiert sind, sondern eine ganz andere: die Frau, mit der Persse schließlich geschlafen hat und die er für die Literaturwissenschaftlerin hält, ist nur die Zwillingsschwester seiner Angebeteten und von Beruf Callgirl. Die Geschlechtercodes bleiben hier so deutlich wie die Kleidercodes, schwarz-weiß sind die Farben der Wissenschaft, rot ist die Farbe der Sünde und der Weiblichkeit, die weiße Bluse auf der einen Seite und das fließende Seidenkleid auf der anderen. Nur macht das Callgirl Persse deutlich, dass er nicht etwa auf sie, sondern auf seine eigenen Projektion hereingefallen ist. Weil er die „wirkliche“ Frau hinter seinen Wunschträumen überhaupt nicht wahrnimmt, kann er dann auch die eine Schwester nicht von der anderen unterscheiden.

Dieser enge Zusammenhang zwischen Codierung des Geschlechts und Kleidercode fängt in Byatts Roman „Possession“ an sich zu lösen. Maud Baileys Kleidungsstil entspricht nicht mehr den Klischees. „Sie war kaum zu übersehen, auch wenn sie schwer einzuordnen war. Sie war groß […], viel größer als Roland. Für einen Akademiker war sie erstaunlich elegant gekleidet, dachte Roland, der diverse andere Begriffe verwarf, um die hochgewachsene, grünweiße Gestalt zu beschreiben – das lange, tiefgrüne Gewand über dem tiefgrünen Rock, das weiße Seidenhemd unter dem Gewand und die langen, weißbestrumpften Beine, die in grünglänzenden Schuhen steckten. Durch die Strümpfe schimmerte rosiggoldene Haut. Ihr Haar war von einem Seidenturban mit Pfauenaugenmuster verdeckt, der das Gesicht umrahmte. Augen und Wimpern waren blond, das konnte er sehen. Sie hatte eine klare, weiße Haut, ungeschminkte Lippen, regelmäßige, großzügige Gesichtszüge.“

Im Original steht statt „erstaunlich elegant“ „unusual coherence“, was auch auf die farbliche Beschränkung auf die Farben grün und weiß bezogen werden kann. Maud Bailey ist konsequent und durchdacht, also mit Überlegung angezogen, ohne dass dieses als aufreizend geschildert wird, die Kleidung entspricht weder dem gängigen Klischee, wie Wissenschaftlerinnen aussehen, noch dem der lockenden Weiblichkeit. Sie ist modisch gekleidet, fast exzentrisch, aber „schwer einzuordnen“. Diese Offenheit im Kleidercode entspricht ihrer Rolle in „Besessen“, sie versucht ihren Körper nicht einzusetzen, um Roland zu manipulieren oder gar in die Falle zu locken, wie Babsi es bei Hackmann tut, sie ist aber als Figur auch schwerer in der Balance zu halten, weil sie gleichermaßen als Wissenschaftlerin wie als Frau begehrenswert erscheinen soll, ohne auf beiden Seiten ins Klischee abzurutschen; Byatt versucht also eindeutige Kleidercodes genauso zu vermeiden wie Geschlechterklischees.

Diese Unterschiede in der Darstellung des Kleidercodes zwischen Byatt und den anderen beiden Romanen haben sicher etwas mit den satirischen Schreibweisen von Schwanitz und Lodge zu tun, die die Klischees brauchen, um die sozialen Typen zu karrikieren, während „Besessen“ nicht nur die Geschichte einer literaturwissenschaftlichen Obsession, sondern auch eine Liebesgeschichte ist. Andererseits zeigt sich hier doch eine Tendenz, die interessant ist, und die eher versucht, den Kleidercode zu neutralisieren, also tatsächlich so etwas wie „unisex“ herbeizuführen, aber nicht wie bei Schuller beschrieben, als Angleichung an den männlichen Kleidercode, sondern als Versuch eines anderen Umgangs mit Mode, eines Umgangs, der Meineckes Verfahren näher ist.

Denn bei Meinecke ist die Mode eher das „lustvoll listige […] Vexierspiel“, das sie ja nach Schuller auch sein könnte. Dieses Vexierspiel ist einerseits auf der Ebene der Figuren angesiedelt, die immer bereit sind, aus irgendeinem Kleiderschrank, meist ist es gar nicht der eigene, etwas auszugraben oder zu borgen, das der Erzähler dann wiederum minutiös beschreibt, da ist dann die Rede von „einem plissierten Cheerleader-Minirock in Weiß“ und dazu einem „königsblauen Oberteil, gewirkt aus nichts als durchsichtiger Spitze“, vom einem „tief dekolletierten, gleichzeitig nabelfreien Top aus blutrot schillernden Pailletten“ zu „Combat-Hose“ und „Springerstiefeln“. Und der letzte Satz des Buches lautet nicht zufällig: „Was sollen wir tragen?“ Das alles hat nichts mit Oberflächlichkeit zu tun, sondern damit, dass hier wieder Lebensstil und intellektueller Horizont miteinander korrespondieren, allerdings nicht auf eindeutige Art, wie das bei den Feministinnen angeblich der Fall war, sondern in der Art eines Vexierspieles, das auch der Text mitspielt. So wie Frauke Stöver das „tief dekolletierte Top“ zu „Combat-Hose“ und „Springerstiefeln“ trägt und damit männliche und weibliche Attribute vermischt, ohne das allerdings „unisex“ dabei herauskommt, so verwischt auch der Text die Grenzen zwischen Codierungen, die eindeutig männlich oder weiblich sind: „Was hatten dagegen die schicken, auf Damenfiguren geschneiderten Herrenanzüge zu bedeuten, mit denen dreißigjährige Frauen durch die Chefetagen diverser Betriebe kreuzten? War der Globus damit männlicher oder weiblicher geworden? Kein Herr würde in so einen Damenanzug passen, bemerkte Vivians Professor spitzfindig, und wie herum seien die Dinger überhaupt geknöpft? Er selber trüge seit 1982 nur noch helle toskanische Sommeranzüge.“

Die rhetorischen Fragen, die als stilistisches Merkmal von Butler übernommen sind, sind hier so gestellt, dass sie konsequent abschweifen. Kann man die ersten beiden noch ideologiekritisch lesen, als Frage nach der (möglicherweise erzwungenen) Angleichung von Frauenkleidung an Männeranzüge, so landet die Frage des Professors ganz woanders und ist in diesem Kontext nicht mehr zu beantworten. Schließlich ist die Auskunft, er selbst trüge seit 1982 nur noch helle toskanische Sommeranzüge, überhaupt nicht mehr in den ideologiekritischen Kontext einzuordnen. Zugleich erscheint innerhalb des Textabschnittes aber ein Zusammenhang, der gerade durch das Reden über Mode entsteht, der aber nicht in der Polarität weibliche Mode hier – männliche Mode dort aufgeht, weil der Professor weitere Differenzen einführt: hell, toskanisch, die nicht als weibliche oder männliche Attribute verstanden werden können. Auf der Figurenebene wie auf der Ebene der Stilistik des Textes ist also der Versuch sichtbar, die Geschlechterpolarität hinter sich zu lassen, und zwar auch modisch.

Die Annäherung der Geschlechter, die Aufgabe polarer Zuschreibungen ist also in unseren Beispielen sehr wohl erkennbar. Unisex ist das – um Vivian zu paraphrasieren – aber natürlich alles nicht, denn das Ziel ist nicht die Vereinheitlichung, sondern die Vervielfältigung, nicht die Annäherung der weiblichen Mode an die männliche (oder der männlichen an die weibliche), sondern die Vervielfältigung der Codierung, die die Polarität männlich-weiblich nicht mehr zulässt. Und da diese Vervielfältigung nicht nur die Codierung von Mode betrifft, sondern auch die Codierung der Geschlechtsidentität, können dann schon mal die einfachen Sätze schwierig werden, etwa der Satz „Ich bin eine Frau“: „Ich bin eine Frau, das läßt sich tatsächlich so nicht sagen, sagte Vivian. Du bist keine Frau, ergänzte Frauke und überreichte der Brünetten einen fetten Blumenstrauß, aber du tust eine Frau sein. Mann, war das kompliziert.“