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Mit „Rot gegen Rot“ liegen Joseph Breitbachs gesammelte Erzählungen nun kommentiert vor

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Joseph Breitbach ist heute vor allem als Stifter des gleichnamigen Literaturpreises bekannt, der mit einem Preisgeld von 50.000 Euro zu den höchstdotierten Auszeichnungen für deutschsprachige Schriftsteller zählt. Seine Werke werden kaum mehr gelesen, was nicht zuletzt daran liegen mag, dass sie so gut wie gar nicht in neueren Ausgaben vorliegen und mithin im Buchhandel nahezu inexistent sind. Diesem bedauerlichen Zustand schafft nun die umfassend kommentierte Werkausgabe in Einzelausgaben Abhilfe, die im Wallstein Verlag in ansehnlicher Aufmachung erscheint. Deren Band 7 versammelt alle Erzählungen Breitbachs, die von 1924 bis 1973 publiziert wurden und hier inklusive der späten Überarbeitungen der frühesten Erzählungen mitsamt einem materialreichen bio-bibliografischen Nachwort sorgsam ediert wiederveröffentlicht werden.

Breitbach führte ein ereignisreiches Leben, das ihn nach dem Schulabbruch und einer Buchhändlertätigkeit in einem Warenhaus bald als Kunstsammler und Autor in einen großen Kreis von bedeutenden Intellektuellen führt. Seine frühen Erzählungen und sein erster Roman „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf“ gewannen in der späten Weimarer Republik einige Aufmerksamkeit und wurden als Milieustudien aus dem Leben der kleinen Leute begrüßt. Schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten lebte der aus Koblenz stammende Autor seit 1929 überwiegend in Paris, das ihm während des NS-Regimes (welches seine Werke umgehend verbot) wohl mehr zur Wahlheimat als zum bloßen Exil wurde.

In Frankreich erwarb Breitbach als Geschäftsmann ein großes Vermögen. Dies ermöglichte ihm, zu einem der bedeutenden Mäzene der Künste und der Nachkriegsliteratur zu werden. Etwas von diesem umfassend interessierten, weltoffenen und engagierten Leben findet sich auch in der überraschenden Themenvielfalt seiner Erzählungen, die von den zwei frühen, erfahrungssatten Kaufhausnovellen über verdichtete Lebensskizzen aus dem Strichermilieu bis zur allegorischen Tiergeschichte reichen. Ein gemeinsamer Nenner seiner narrativ verarbeiteten faits divers liegt wohl in Breitbachs Sensibilität für moralische Abgründe, für Szenen des Verrats, der Gewalt und für Konflikte zwischen divergierenden Ansprüchen, denen sich seine Protagonisten regelmäßig stellen müssen.

Noch eindrücklicher als die frühen etwa 40-90 Seiten langen Kaufhauserzählungen, die von den amourösen und gewerkschaftlichen Verwicklungen handelten, die Breitbach aus eigener Milieukenntnis entwickelt, wirken die sehr verknappten, nahezu klassischen Kurzgeschichten, die auf gerade einmal 10 Seiten eine Figur in einer markanten Situation schildern. Unter dem an Gustav Flauberts großen Desillusionsroman anknüpfenden Titel „Education Sentimentale“ bietet Breitbach eine lakonisch knappe Erzählung von einem schönen jungen Mann, der sich in der Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg erst als Zuhälter und dann als männliche Mätresse für Besatzungsoffiziere in der Manier eines unmoralischen Pikaro durchschlägt. Noch kürzer, auf nur 4 Seiten, erzählt ‚Ein Schuß im Tiergarten’ vom harten Leben und traurigen Ende eines Berliner Strichjungen. Ein gutes Auge für soziale Unterschiede und ihre Auswirkungen auf das Selbstbewußtsein der Personen kennzeichnet auch die Kurzgeschichte „Ein Lotteriegewinn“, in der ein Autoschlosser erst ein (damals für kleine Leute ganz unerschwingliches) Automobil gewinnt und dann auch noch ein großbürgerliches Mädchen dazu, dem er lange nicht zu gestehen wagte, dass er kein Ingenieur sei, wie ein solches Auto vermuten ließe, sondern ‚nur‘ ein Handwerker.

Immer wieder verwendet der Erzähler dabei den Darstellungsmodus erlebter Rede, in dem die Gedanken und Gefühle der Beteiligten dem Leser sehr anschaulich vermittelt werden. Breitbachs Erzählkunst lebt von der Vermittlung seines reichen Erfahrungs-, Menschen- und Lebenswissens in solch plastischen Darstellungsweisen.

Die späte Erzählung „Lärm“, 1973 verfasst, spielt in Frankreich im Milieu kommunistischer Kader und in Stadtvierteln, wo die Polizei in ein Gewirr komplexer Rücksichtnahmen auf kommunistische Abgeordnete und Parteiführer (die damals ja landesweit über 20% der Stimmen bekamen und lokal durchaus auch Bürgermeister stellten) verwickelt ist. Breitbach, der in jungen Jahren selber der KPD angehörte, nimmt hier ein Thema wieder auf, das ihn knapp 50 Jahre zuvor in seinen ersten Erzählungen schon beschäftigte: Die hohen moralisch-politischen Ansprüche der kommunistischen Aktivisten, denen ihre Verstrickung in Kompromisse mit dem Klassengegner oder auch individuelle (meist erotische) Bedürfnisse in die Quere kommen.

Die späten Überarbeitungen der frühen Erzählungen, die ebenfalls in den 1970er- Jahren spielen, verstärken Breitbachs skeptische Sicht auf die kommunistischen Weltverbesserer. Das kenntnisreiche Nachwort bemerkt nicht nur die Tendenz dieser Überarbeitungen (die im übrigen durch den kompletten Abdruck auch dieser späten Fassungen dem gründlichen Leser nachvollziehbar gemacht wird), es weist auch darauf hin, dass der Autor, Geschäftsmann und Mäzen Breitbach offenbar ebenso souverän mit hohen Polizeifunktionären verkehrte und befreundet war, wie mit jungen ‘68er-Aktivisten wie den Herausgebern der (zeitweise wohl aus Ostdeutschland finanzierten) Literaturzeitschrift ‚Kürbiskern‘.

Ein erzählerischer Höhepunkt unter den 12 Erzählungen – von denen 4 als etwas ausgreifendere Novellen gelten können und 8 als pointierte Kurzgeschichten – ist „Brief des Pharisäers“. Hier wird in der Form eines anklagenden Briefes, mithin weitgehend in der seltenen Du-Form, vom Leben und Sterben einer (aus Armenien stammenden) Jüdin im besetzten Paris erzählt, die trotz aller Gefahren ihrer Obsession für stiefeltragende deutsche Besatzungssoldaten nachgeht. Breitbach gelingt es hier, in der raffinierten Erzählperspektive des ehemaligen Arbeitgebers der Jüdin, der diese wegen ihrer überragenden Kenntnis vieler Sprachen sehr zu schätzen wusste, einen intensiven und dichten Text über Begehren und Gewalt, über Moral, Feigheit und Verrat zu stricken.

Während die längeren, stark milieugebundenen Erzählungen über die Angestelltenwelt der Kaufhäuser in den 1920er-Jahren oder über die merkwürdigen Korruptions- oder Sozialpartnerschaftsverhältnisse im kommunistisch geprägten Frankreich der 1970er-Jahre gelegentlich etwas fremd und datiert erscheinen, bestechen Breitbachs nüchtern und überaus kompakt vorgetragenen Kurzerzählungen auch heute noch. In seiner neuen Ausgabe macht der Wallstein Verlag diese Texte, dankenswerterweise wieder zugänglich und erschließt sie zugleich durch die beigegebenen Auszüge aus Breitbachs-Briefen. Diese offenbaren übrigens, dass Breitbach mit fast allen der bedeutenden Autoren der Nachkriegszeit in Kontakt stand, und so gewissermaßen die Rolle eines exzentrischen Insiders oder eines Zaungastes des literarischen Lebens spielte.

Titelbild

Joseph Breitbach: Rot gegen Rot. Sämtliche Erzählungen.
Herausgegeben von Wolfgang Mettmann und Alexandra Plettenberg-Serban.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
510 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783835302624

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