Die Fortsetzung der Fortsetzung

Klaus Deterding bringt seine E.T.A.-Hoffmann-Einführung zum vorläufigen Abschluss

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten bemüht sich Klaus Deterding mit nachgerade missionarischem Eifer um die publizistische Würdigung seines Lieblingsautors Ernst Theodor Amadeus Hoffmann. Nachdem er bereits in vier Bänden, einschließlich seiner Dissertation von 1991, in großer Ausführlichkeit „E.T.A. Hoffmanns Dichtung und Weltbild“ vorgestellt hat, liegt nunmehr der bereits dritte Band seiner sogenannten Einführung in Hoffmanns Leben und Werk vor. Deterdings Ansporn, „das Gesamtwerk E.T.A. Hoffmanns so bekannt zu machen, wie dieser große deutsche und europäische Dichter und Künstler es verdient“, ist mithin ebenso unerschöpflich wie anachronistisch: Nachdem Hoffmann im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in schlechtem Ruf stand, ist er längst allerorten als einer der bedeutendsten Autoren der Romantik anerkannt. An Biographien und Überblicksdarstellungen zu Hoffmanns Werk besteht jedenfalls kein Mangel.

Der erste Band der Einführung widmete sich den berühmtesten Erzähltexten Hoffmanns wie „Der goldene Topf“, „Der Sandmann“ oder „Das Fräulein von Scuderi“, die Deterding als ganz besonders „hoffmannesk“ erachtete und deren Beachtung in einer Einführung keiner Rechtfertigung bedarf. Der zweite Band hebt bereits entschuldigend an, dass doch noch Wesentliches nachgeholt werden müsse, schließlich seien die „großen Erzählungen“ „Meister Floh“ und „Prinzessin Brambilla“ ebenso wie der Roman „Lebens-Ansichten des Katers Murr“ der Einsicht zum Opfer gefallen, dass die Einführung sonst zu umfangreich ausgefallen wäre. Zur Auswahl des „Kater Murr“ zuungunsten der „Elixiere des Teufels“ erklärte Deterding, dieser sei schließlich der bedeutendere Roman. In diesem Urteil mag man ihm zustimmen, doch es hat einen merkwürdigen Beigeschmack, wenn der nun vorliegende, eigentlich nicht mehr vorgesehene dritte Band der Einführung seine Existenzberechtigung darin sieht, dass schließlich „vor allem der Roman Die Elixiere des Teufels noch fehlte“. Was zuvor ästhetisch abgewertet wurde, ist nun der Grund, ein weiteres Buch zu präsentieren.

Neben den „Elixieren“ werden „Die Jesuiterkirche in G.“ aus den „Nachtstücken“ sowie die drei den „Serapionsbrüdern“ entnommenen Erzählungen „Meister Martin der Küfner und seine Gesellen“, „Die Brautwahl“ und „Signor Formica“ behandelt. All diese Texte werden verräterisch nichtssagend als „einige weitere, ebenfalls wichtige Werke“ bezeichnet. Nachdem bereits die Ausgangslage der Fortsetzung der Fortsetzung zu Zweifeln hinsichtlich der Notwendigkeit dieses Buches Anlass gab, werden diese durch die Textauswahl noch verstärkt. Was etwa an der „Jesuiterkirche“ derart bedeutend ist, dass eine Einführung ins Werk Hoffmanns nicht ohne diese Erzählung auskommen kann, wird nicht ersichtlich. Es bleibt weit gehend im Dunklen, wieso die hier vorgestellten Texte vermeintlich wichtiger, gelungener oder repräsentativer sind als etwa „Klein Zaches genannt Zinnober“, „Der Magnetiseur“, „Das öde Haus“, „Die Bergwerke zu Falun“ oder „Nußknacker und Mausekönig“, die in keinem der drei Bände Beachtung fanden.

Der Aufbau des Buches folgt seinen Vorgängern: einer Inhaltsangabe, die oft der Versuchung erliegt, die Spannung von Hoffmanns Texten zu reproduzieren und dramatische Effekte zu erzielen, folgen Informationen über Entstehungsumstände, biografische Hintergründe oder Hoffmanns Quellen. Die weitschweifigen Nacherzählungen des Inhalts wirken enervierend und kontraproduktiv. Wenn es das Ziel dieser mehrbändigen Einführung sein soll, Hoffmann neue Leser zu verschaffen, leuchtet nicht ein, wieso die Flucht vor den Primärtexten durch allzu detaillierte Schilderungen des Inhalts begünstigt wird. Auch die Hintergrundinformationen geraten zu ausführlich. Es wirkt geradezu erschütternd ehrlich, wenn Deterding im Bewusstsein der „Ausdehnung“ der eigenen Darstellung in einer Anmerkung den Wunsch seines Verlegers nach Kürzungen ins Spiel bringt. Der Leser indes wünschte sich nicht nur die Einsicht in diesen Umstand, sondern auch Konsequenzen, mithin eine knappere, präzisere Präsentation.

Überhaupt handelt es sich weniger um eine Einführung als um einen Kommentar zu den ausgewählten Texten. Zu diesem Zweck wird manches Mal schlicht der Kommentar der Ausgabe aus dem Klassiker-Verlag reproduziert, dann wird bald mit eben diesem Kommentar gewetteifert. Deterding trägt eine Privatfehde mit den Herausgebern der vorzüglichen Klassiker-Ausgabe aus, wenn er vor allem anlässlich der „Elixiere“ in ermüdender Weise immer wieder auf deren vermeintliche Fehler zu sprechen kommt. Weder können seine Argumente überzeugen noch ist der publizistische Ort dafür glücklich gewählt, da einmal mehr der eigene Anspruch, dem verehrten Dichter zum verdienten Ruhm zu verhelfen, verfehlt wird, wenn einem interpretatorischen Scharmützel das nächste folgt. Eine Abrechnung mit den Editoren der maßgeblichen Ausgabe indes wäre etwa im E.T.A.-Hoffmann-Jahrbuch besser aufgehoben. Wie durch kleinkrämerische Debatten, die zudem nicht das Reflexionsniveau moderner Literaturwissenschaft aufweisen, die Lust auf Hoffmanns Texte geweckt werden soll, bleibt Deterdings Geheimnis. Den Texten jedenfalls sucht der Autor ihre Geheimnisse gründlich auszutreiben, indem er alles auf eine eindeutige Lesart und eine konkrete Aussage zurückzuführen bestrebt ist, ohne die Widerhaken und die Strategie der Verunsicherung, die im Zentrum von Hoffmanns Schreibweise stehen, ernst zu nehmen. Die Deutung verbleibt meist weitaus undifferenzierter als die gedeuteten Texte.

Deterding ist zweifellos ein intimer Kenner des Hoffmann’schen Werks. Gleiches lässt sich leider nicht hinsichtlich seiner Kenntnisse der Forschungslage zu diesem Werk sagen. Wie in seinen früheren Büchern stützt er sich vor allem auf ältere Forschungsbeiträge, was seiner Darstellung nicht zum Vorteil gereicht. Wenn neuere Deutungsansätze wahrgenommen werden, wie im Falle des erwähnten Kommentars der Klassiker-Ausgabe, versucht Deterding diese kategorisch abzuwerten, so dass der Eindruck entsteht, hier sehne sich ein Liebhaber in eine Zeit zurück, die noch weit von den methodischen Standards der modernen Literaturwissenschaft entfernt war. Aus all dem ergibt sich, dass dieses Buch für Studierende als Einführung weit weniger zu empfehlen ist als etwa die kompakteren und konziseren Überblicksdarstellungen von Detlef Kremer (einem der wichtigsten Hoffmann-Forscher der letzten Jahre, den Deterding erst gar nicht wahrnimmt) oder Hartmut Steinecke. Zumindest dem Vorwurf der Weitschweifigkeit will Deterding in naher Zukunft begegnen: Eine Kurzfassung der drei Einführungsbände ist schon angekündigt und soll dann den endgültigen Abschluss der Hoffmann-Gesamtdarstellung bilden.

Titelbild

Klaus Deterding: E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane, 2 /Einführung in Leben und Werk, Band 3.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2008.
228 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783826039393

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