Vom Gleichmut einer Spätberufenen

Maria Beig blickt in ihrer Autobiografie „Ein Lebensweg“ zurück

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Gleich geblieben ist meine Unfähigkeit, hohle Stunden zu ertragen, so habe ich wieder angefangen zu schreiben“, lautet das Fazit und die nachgeschobene Begründung, wenn es denn einer bedarf, für Maria Beigs neues Buch „Ein Lebensweg“. Lakonie und Gleichmut sind typisch für das 15 Bände umfassende Werk der spätberufenen, mittlerweile bald 89-jährigen Autorin.

Es war 1981 kein Geringerer als Martin Walser, „der Seelsorger der Seinen“, der erstmals für eine breitere Öffentlichkeit auf die in der Nähe des oberschwäbischen Meckenbeuren bei Friedrichshafen am Bodensee als sechstes von 14 Kindern auf einem Bauernhof geborene Maria Beig in der ihm eigenen Art in „allmende“ aufmerksam machte. In seiner „Ersten Notiz über Maria Beig“, 1982 als Nachwort in ihrem Erstling „Rabenkrächzen“ wiederabgedruckt, umschreibt Walser die scheinbare Kunstlosigkeit des Beigschen Schreibens so: „Nichts auf der Welt scheint zwei Sätze wert zu sein. Aber einen Satz ist alles wert. Nichts ist so gering, daß es nicht gesagt werden kann. Aber so gesagt, ist es nicht mehr gering. (…) Gleichmut ist die größte Tugend dieser Autorin. Gleichmütig sagt sie das Größte und das Kleinste, das Entsetzlichste und das Lieblichste her.“ Und in der „Dritte(n) Notiz über Maria Beig“, bemerkt Walser über die (autobiografische) Erzählerin ebenso lakonisch: „Durch Erzählen überlebt sie.“

Und in der Tat, Schreiben als Überlebenshilfe, als Autotherapie, ist die wohl alles entscheidende Bedingung, der sich die Texte der frühpensonierten Handarbeitslehrerin Maria Beig verdanken. Ob im fulminanten Erstling „Rabenkrächzen“, in „Hochzeitslose“, in „Hermine. Ein Tierleben“ oder wie jetzt in der Rückschau „Ein Lebensweg“: Maria Beig thematisiert die Bedingungen ihres Schreibens stets mit.

In fünf Kapitel ist „Ein Lebensweg“ eingeteilt: „Die Kindheit“, „Der Beruf“, „Der Umweg“, „Der Weg“ und „Das Ziel“. Und am Ziel scheint Maria Beig mit diesem bewegenden und wahrhaftigen Buch angekommen zu sein, nämlich mit Gleichmut die Beschwernisse des Alters zu ertragen: „Endlich – es ging bald gegen Morgen zu – wußte ich das rechte Wort: Gleichmut. Dieses ist nicht einfach zu beschreiben, in einen Satz zu fassen. Es kam mir aber vor, als sei dies nun der Leitfaden für mich“, resümiert sie gegen Ende ihrer autobiografischen Rückschau. Bis zu diesem Gleichmut war es jedoch ein langer Weg, den die Autorin zu gehen hatte. Denn schließlich „ist Haß die erste Gefühlsregung“, deren sich die Erzählerin erinnert. Sie gilt „des Vaters Mutter“, die „jeden Tag von nebenan zu uns kam“ und die das Kind zum Schlafen legt, ihm die Helligkeit nimmt. Das Kind rächt sich hin und wieder, indem sie das von der Großmutter mit zerriebenem Würfelzucker bestreute Butterbrot „den Hennen“ hinwirft.

Maria Beig beschönigt nichts, beschreibt keine Idylle auf dem Bauernhof zwischen den Weltkriegen. Im Gegenteil, so wie sie die Leserinnen und Leser seit „Rabenkrächzen“ und der „Tier-Scheherazade“ kennen und wie Walser „Hermine. Ein Tierleben“ genannt hat: Unprätentiös und lakonisch, herb und poetisch zugleich schildert sie ihren „Lebensweg“. Wichtige Wegmarken sind dabei des Vaters „böser Blick“, sein „Rappeln“, wenn er zu wenig oder zu viel Alkohol getrunken hatte, die Mühen der Ausbildung als Lehrerin in der Nazizeit, die Überforderung als ledige, junge Mutter, die der nachgeborenen Schwester den frühverstorbenen Halbbruder verschweigt, und schließlich das Scheitern im Beruf, bis sie sich entschließt, in Rente zu gehen, nicht „unzeitig, frühzeitig, vorzeitig“, sondern „rechtzeitig“. Die sich in den letzten Berufsjahren einstellenden „Depressionen“ bändigt Beig – respektive „Hermine“ – schließlich durch Schreiben, was ihr Erfolg und Anerkennung in Form von wichtigen Literaturpreisen, aber auch neuen Ärger einbringt. Am „Ziel“ sind es schließlich die Gebrechen des Alters, die den „Lebensweg“ einer Autorin markieren, die mit ihrer Autobiografie die „Kunst der scheinbaren Kunstlosigkeit“, wie Peter Blickle ihre Ästhetik treffend charakterisiert, meisterhaft fortschreibt. Dabei ist bei aller Härte, bei allen Verlusten und Verletzungen, die diese spät zur Literatur gekommene Erzählerin zur Sprache bringt, dank des Gleichmuts und der Wahrhaftigkeit auch ein versöhnliches und tröstendes Buch entstanden: ein Werk als Summe eines Œuvre, dessen Wurzeln darin zu suchen sind, dass sich das Unglück, das nach einem Wort von Arnold Stadler ja als Glück gedacht war, schreibend zurückverwandeln lässt.

Titelbild

Maria Beig: Ein Lebensweg.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2009.
164 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-13: 9783940086297

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