Gegen das Patchwork

Graham Ward macht sich auf eine historisch-literarische Spurensuche nach der „wahren Religion“

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Religion gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Säkularisierungsthese, also die Behauptung, Religion verliere als Orientierungssystem seit dem 18. Jahrhundert zunehmend an Relevanz und werde sich mit dem rasanten wissenschaftlichen Forschritt und der wirtschaftlichen Entwicklung von selbst erledigen, hat sich als falsch herausgestellt. Die prognostizierte asymmetrische Entwicklung der Weltbevölkerung wird ferner dazu beitragen, dass die Zahl der Anhänger von Christentum und Islam in Amerika, Afrika und Asien überproportional wächst, die absolute Zahl der Atheisten, vornehmlich in den Industrienationen des Nordens und Westens dagegen sinkt, auch wenn ihr Anteil innerhalb der europäischen Gesellschaften steigt.

Zugleich ist zunehmend unklar, was Religion genau bedeutet. Die Zugehörigkeit von Menschen zur organisierten und institutionalisierten Religion („Kirchlichkeit“) kann kaum noch als Hinweis auf die geistliche Situation der Zeit aufgefasst werden, schon gar nicht als alleiniges Kriterium für die Verbreitung von Glauben und Spiritualität. Hinzu kommen neue Synkretismen („Patchwork-Religiositäten“), die den Rahmen der einzelnen Religionen sprengen und die bisher gültige Zuordnung von Menschen zu einem religiös und kulturell geschlossenen Raum in Frage stellen. Kurz: Es ist wieder offen, was Religion eigentlich ist.

Diese Offenheit führt dazu, dass man alles „Religion“ nennt, was der einzelne als solche erfährt. Der einzelne Mensch fällt die Entscheidung über den religiösen Charakter von Erfahrungen. Dass in diesem Umfeld die Rede von „wahrer Religion“ problematisch ist, erschließt sich ohne weiteres. Dass „Wahrheit“ dennoch eine Kategorie des Religiösen bleiben muss, erscheint ebenso klar, geht es hierbei doch um die Beziehung zum Absoluten, zu den letzten Dingen, zum „großen Ganzen“, für deren Gestaltung man sich nichts sehnlicher wünscht als wahre, tröstliche und beruhigende Orientierung, auch wenn damit „nur“ noch die Suche, nicht mehr der Zustand einer Religion gemeint ist. Diesen Umstand nahmen die Übersetzer von Graham Wards Buch „True Religion“ zum Anlass, den Titel im Deutschen mit „Auf der Suche nach der wahren Religion“ wiederzugeben. Ward, Professor für kontextuelle Theologie und Ethik an der Universität Manchester und durch seine Beiträge zu Diskursen postmoderner Theologie (unter anderem. „Cities of God“, 2000; „Christ and Culture“, 2005) sowie als Herausgeber des „Blackwell Companion to Postmodern Theology“ einschlägig ausgewiesen, erläutert in seinem Manifest, unter welchen historischen Bedingungen sich eine Religion als die „wahre“ herausbilden konnte.

Es zeigt sich rasch, dass es machtpolitische Bedingungen sind, die eine bestimmte Religion „überlegen“ sein lassen, was in der Folge dazu führt, ihren Wahrheitsanspruch gegen konkurrierende Religionen de facto durchzusetzen. Eine solche machtpolitische Bedingung lag für das Christentum im Jahre 1492 vor, als die Spanier ihre Reconquista im eigenen Land abgeschlossen und Christoph Kolumbus im Auftrag der spanischen Krone Amerika ,entdeckt‘ hatte. Religion wird unter diesen Umständen zu einer „Benennung für etwas Universales, als Konstituierung einer Gattung, die verschiedene Arten enthält, unter denen das Christentum den wahren und idealen kultischen Ausdruck darstellt.“

Ward bleibt bei seiner Analyse der Genealogie der Suche nach der wahren Religion jedoch nicht auf die Geschichte der westlichen Welt beschränkt, sondern bezieht ihre Literatur mit ein. Dabei tritt Erstaunliches zu Tage: Theaterstücke wie „Romeo und Julia“ und Romane wie „Robinson Cruise“ verweisen in ihren zentralen Aussagen auf Bestimmungsgrößen der wahren Religion, wie sie sich in der biblischen Offenbarung und der kirchengeschichtlichen Tradition finden lassen. Motive religiöser Wahrheit (der Glaube an Gott, das Finden von Trost, das Versorgtsein mit Sinn et cetera) zeigen sich in den Befindlichkeiten ihrer Protagonisten. Schließlich macht Ward auf die Varianten dieser Suche im Wechselspiel mit den Entwicklungen des Säkularismus‘, des Liberalismus und des Kapitalismus („Religion und Konsum“) aufmerksam, denn: „Wenn sich das Verständnis von Religion wandelt, dann wandelt sich damit auch das Verständnis der mit ihr verbundenen Konzepte, besonders das Verständnis des Säkularen.“

Aus dem folgert er, dass Religion ein „Definitionsmerkmal der Postmoderne“ ist, das als Antwort auf die Implosion von Säkularismus und Liberalismus eine „Wiederverzauberung der Welt“ vornimmt, bei dem alle Werte und Objekte „fetischisiert“ und mit „der Anziehungskraft einer billigen Transzendenz“ ausgestattet werden (Ward nennt diesen Vorgang „Taufe“), um schließlich – vom Markt zu konsumierbaren „Lifestyles“ gebündelt – einen „Neo-Tribalismus“ zu befördern, der den Gemeinschaftssinn überformt. Dagegen gebe es nur ein Reaktion: die Rückkehr zur Tradition. In diesem Zusammenhang billigt er der Theologie eine Schlüsselrolle zu. Sie allein könne verhindern, dass „die Gesellschaft in die Kultur und das Soziale in das Neo-Tribale hinein kollabieren“. Damit sei allerdings eine Zunahme an Spannungen zwischen unterschiedlichen theologischen Traditionen (im Sinne von „echten“ Religionen) verbunden, die nur dann nicht (wieder) in gewaltsame Auseinandersetzung (Glaubenskriege) münden, „wenn jede theologische Tradition dem Drang widersteht, ihren Glauben zum Fetisch zu machen“.

Graham Ward gelingt mit seinem kreativen (kultur-)historischen Zugang eine überzeugende Analyse eines hochaktuellen Phänomens. Der Text ist sauber gegliedert und für eine flüssige Lektüre geschrieben; das hilfreiche Namen- und Sachregister erleichtert zudem die Arbeit. Wer sich über die Bedeutung von Religion (und der Theologie) in der heutigen Zeit (noch) nicht klar ist, kann dazu aus Wards kenntnisreichem und unterhaltsamem Buch fundierte Einsichten gewinnen.

Titelbild

Graham Ward: Auf der Suche nach der wahren Religion.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2009.
168 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783170200692

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