Wie sind Sie als Frau denn dazu gekommen?

Karin Ballauff, Helga Gartner, Roswitha Hofmann und Doris Nußbaumer stellen Texte vor, die sich um den Lise-Meitner-Preis bewarben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Ansicht, Frauen stünden, gar von Natur aus, auf schlechtem Fuß mit der Technik und den sogenannten exakten Wissenschaften, wurde schon längst als Irrtum entlarvt und auf dem Misthaufen interessengeleiteter Voreingenommenheiten entsorgt. So sollte man zumindest meinen. Tatsächlich aber ist dem keineswegs so, wie die Karrieren von Anhängern dieses Vorurteils zeigen, die es schon mal an die Spitze einer amerikanischen Eliteuniversität oder in die Regierungsmannschaft des seit langem beliebtesten US-Präsidenten schaffen. Dem geschlechtertheoretischen Dinosaurier Lawrence Summers ist bekanntlich beides gelungen.

Angesichts solcher Laufbahnen ist es denn auch keineswegs obsolet, einen Preis auszuschreiben, der literarische Texte prämiert, die sich mit der Perspektive von Frauen auf die Geschichte von Technik und Naturwissenschaften sowie mit ihren Erfahrungen in einschlägigen Studiengängen und Berufen befassen. Seit 2003 wird ein solcher Preis alle zwei Jahre vergeben. Er trägt den Namen einer Wissenschaftlerin, der von einigen Herren in Stockholm der wohlverdiente Nobelpreis versagt wurde: Lise Meitner.

Nun haben Karin Ballauff, Helga Gartner, Roswitha Hofmann und Doris Nußbaumer die vier bislang preisgekrönten Texte (vier, da der Preis 2007 geteilt wurde) gemeinsam mit elf weiteren der eingereichten Kurzgeschichten in der Hoffnung veröffentlicht, somit „das Bewusstsein für gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schärfen, für Diskriminierungen, denen Frauen in männlich dominierten Arbeitskontexten täglich ausgesetzt sind“ und „für die daraus resultierende[n] Zustände, gegen die Frauen täglich angehen müssen“. Zugleich sollen die Geschichten natürlich auch gefallen, „dem Lesegenuss dienen“, wie die Herausgeberinnen formulieren.

Selbstverständlich wird in den Texten weit mehr verhandelt als das Verhältnis von Frauen zu Naturwissenschaft und Technik. So geht es etwa auch um die speziellen Probleme Jungendlicher mit dem anderen Geschlecht oder um den (all-)gemeinen Geschlechterkrieg. Dabei sind die Geschichten in der Gegenwart, der näheren Zukunft oder auch schon mal tief im Brunnen der Vergangenheit angesiedelt.

Oft erweisen sich die Autorinnen als ebenso originell wie humoristisch. Darauf, die Unart, mit vollem Mund zu reden, als „Multitasking“ zu loben, muss man erst einmal kommen. Angelika Unterholzner hatte diesen lustigen Einfall. Elisabeth R. Hager weist nicht weniger originell gleich einen ganzen „Forschungszirkel“ in eine „geschlossene Heilanstalt“ ein. Und Petra Öllinger erzählt die um noch einiges skurrilere Geschichte eines Freundinnenpaares, das darüber in Streit gerät, ob industriell hergestellte Körperteile biologisch erzeugten Produkten vorzuziehen sind.

Christina Diel weiß hingegen von einem „Quantencomputer“ zu berichten, der im Handumdrehen jeden noch so raffinierten Code knackt. Wichtiger als ihr „beruflicher Erfolg“ ist der bedeutenden Programmiererin des neuartigen Geräts jedoch „ihr Triumph als Mutter“. Eine nicht ganz unbedenkliche Botschaft, die jedoch dadurch abgemildert wird, dass dieser Triumph darin besteht, das Interesse der Tochter an ihren Forschungen geweckt zu haben.

Mechthild Curtius erinnert an das sogenannte „Marburger Lenchen“, allerdings ohne den richtigen Namen der unglücklichen Lene Tritop zunennen. Ende des 19. Jahrhunderts war die junge Magd von einem Medizinstudenten geschwängert und sodann wegen des Standesunterschiedes im Stich gelassen worden. Als die Wehen einsetzten, sah sie keinen anderen Ausweg mehr, als sich in der Lahn zu ertränken. Ihre Eltern verweigerten ihr die Bestattung und vermachten den Leichnam der Marburger Anatomie. Ungeachtet aller Proteste zeigt das Marburger Museum Anatomicum in zwei Glasbehältern noch heute ihre durch Sagitalschnitte geteilte Leiche mitsamt dem im Geburtskanal befindlichen Fötus.

Anita Augustin-Huber erzählt in ihrem 2005 ausgezeichneten Text über die „Nummer 483“ die vergnügliche Geschichte eines grimmigen Großreinemachens – „hinterher“, wie sie betont. Zwei Jahre zuvor wurde Lisa Mandelartz zur ersten Preisträgerin gekürt. Sie lässt die Lesenden am Alltag einer „Kesselwärterin“ teilhaben, die in einem Museum für „hafenbezogene Technik und Artefakte“ tätig ist. Als „[V]erantwortlich[e] für die Technik an Bord“ beheizt die Protagonistin den Kessel, hält die Maschinen instand und führt sie vor. Vor allem aber beantwortet sie die oft ahnungslosen, gelegentlich aber auch mal kenntnisreichen Fragen der erwachsenen BesucherInnen und der begeisterungsfähigen Kinder. All dies zwar meist, doch nicht immer voller Freude. So leidet man mit ihr an der ewigen Wiederkehr des Immergleichen in Form einer bestimmten, mal bewusst, mal unbewusst misogynen Frage. Mandelartz schildert die sicher nicht ganz frei erfundenen Gespräche und Begegnungen ihrer Geschichte ausgesprochen humorvoll, kommt dabei aber ganz ohne mäßige Witzchen aus.

Dass nicht alle der fünfzehn Texte gleich originell sind und der eine oder andere schwächer ausfällt, versteht sich. Meist sind sie jedoch zumindest unterhaltend und gelegentlich sogar anregend.

Titelbild

Karin Ballauff / Helga Gartner / Roswitha Hofmann / Doris Nußbaumer: Female Science Faction Reloaded. Ausgewählte Erzählungen.
Promedia Verlag, Wien 2008.
208 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783853712962

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