Zurück zu den Anfängen

Das neue „treibhaus“ beschäftigt sich mit dem ersten Jahrzehnt der DDR-Literatur und Hans Mayer

Von Jens PriwitzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Priwitzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Ausstellung „60 Jahre. 60 Werke. Kunstwerke aus der Bundesrepublik Deutschland“, die bis Mitte Juni in Berlin zu besichtigen war, sorgte zu Beginn für etwas Aufregung. Die Schau vor allem von Werken der Bildenenden Kunst erhob den Anspruch, eine repräsentative Schau der letzten 60 Jahre deutscher Kunstentwicklung zu sein und zugleich die Erfolgsgeschichte der deutschen Demokratie zu erzählen. Kritiker warfen den Ausstellungsmachern jedoch frühzeitig vor, sich allein auf die westdeutsche (Kunst-)Geschichte zu konzentrieren. Ihr Vorgehen legitimierten die Kuratoren im Gegenzug mit Hinweisen auf die weitgehende Epigonalität der DDR-Kunst, die Verstrickungen vieler ostdeutscher Künstler in die SED-Diktatur und der Überzeugung, dass erst die Kombination aus ästhetischer und politischer Freiheit die Erfolgsgeschichte BRD und ihrer Kunst ermöglicht hätte.

Vor einer Vereinfachung auf westliche Freiheit und östlichen Zwang hatte schon der Germanist und Kulturwissenschaftler Hans Mayer in seinem Essay über die „Einheit der deutschen Literatur“ (1967) gewarnt. Eine derartige Simplifizierung verstelle, so seine Sorge, den genauen Blick auf die gegenwärtigen Zustände bei der Verfertigung von Kunst. Da dieser Rat auch heutzutage noch gilt, empfiehlt sich für die Betrachtung von Kunstwerken aus der DDR, gerade aber auch für die DDR-Literatur, die Berücksichtigung der sich rasch wandelnden Phasen von starrer Vereisung und vorübergehenden Tauwettern. In der aktuellen Ausgabe des „treibhauses“, die sich den „Anfängen der DDR-Literatur“ widmet, versammeln die Herausgeber Günter Häntzschel, Sven Hanuschek und Ulrike Leuschner eine Reihe von Aufsätzen, die sich der künstlerischen Produktion zwischen den Polen „Parteidoktrin und kreativer Freiheit“ widmen.

Die Kontaktzonen von Partei- und Eigensinn werden erst durch den unvoreingenommenen Blick als umkämpftes Gebiet sichbar. Loreto Vilar und Claude D. Conter erklären, wie selbst verdiente Autoren wie Anna Seghers und Bruno Apitz, die ihre umfangreiche literarische Tätigkeit in den Dienst des sozialistischen Aufbaus gestellt hatten, schnell in Konflikt mit den wechselnden Direktiven der Partei geraten konnten. Nach 1949 wurde im Kulturbereich mit aller Härte die neue politische Linie durchgesetzt. Ernst Grabovszki legt anschaulich dar, wie der „Sonntag“, die Wochenzeitung des von Johannes R. Becher ins Leben gerufenen „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ im Zuge der Staatsgründung die zuvor tolerierte Offenheit für Themen und Berichterstattung aus dem Westen einbüßte. Härter wurde ebenso der Umgang mit jungen Talenten, die sich den starren Vorgaben nicht anpassen wollten. Der erste Schriftstellerlehrgang in Bad Saarow im Jahr 1950 entwickelte sich zu einer Repräsentation der Unbarmherzigkeit der Staatsmacht. Mithilfe von Archivmaterial und Erinnerungen hat Michael Haase die hochspannende Geschichte dieses Treffens geschildert, auf dem die ‚jungen Wilden‘ Horst Bienek, Günter Kunert, Heiner Müller und Erich Loest aufgrund von Übermut das erste Mal von Literaturfunktionären kalt abgekanzelt wurden.

Der Konflikt zwischen Parteidoktrin und kreativer Freiheit flammte nicht nur zwischen unterschiedlichen Gruppen auf, mancher musste ihn in der eigenen Brust austragen. Franz Fühmann ist einer dieser widersprüchlichen Autoren. Anfangs ein Apologet der neuen Ordnung, für die er Lobeshymnen wie die „Fahrt nach Stalingrad“ schrieb, ließ sich Fühmann bald nicht mehr auf den treu-naiven Befürworter festlegen. Besonders empfohlen sei hier die Studie von Swantje Rehfeld, die den Schreibprozess Fühmanns und sein Ringen um die Vollendung der Novelle „Kameraden“ plastisch vor Augen führt. Gerade die poetologischen Fragen, die Rehfeld dabei anschneidet, zeigen Fühmanns wachsende Distanz zu den ästhetischen Normen des sozialistischen Realimus und den Gewissheiten seiner früheren Tage als Kulturfunktionär.

Der zweite Teil des Jahrbuchs versammelt eine Reihe von Beiträgen zum Werk und zur Wirkung von Hans Mayer. Zwar droht dadurch ein thematisches Ungleichgewicht zu entstehen, da etliche Artikel den zeitlichen Rahmen verlassen und auf Mayers spätere Arbeiten zur Musik oder für den Rundfunk eingehen. Doch finden sich auch einige luzide Beiträge zu Mayers Leipziger Zeit. Diese Periode, in der Mayer das erste Mal eine breite Öffentlichkeit erreichte und zu polarisieren wusste, wird in der gebotenen Kürze von Bernd Leistner skizziert. Er folgt Mayers Weg von der Berufung auf einen Lehrstuhl für Kultursoziologie und ausländische Gegenwartsphilosophie 1948 über die Stelle als Literaturprofessor seit 1956 bis zur erneuten Emigration nach Westdeutschland im Jahr 1963. Hoch motiviert durch den Neuanfang nach dem Exil in der Schweiz und einem kurzen Intermezzo als politischer Redakteur beim amerikanischen Rundfunk, zeigte sich der Redner und Autor Mayer sehr variabel in der Wahl von Themen und Anlässen für Auftritte. So sprach er nicht nur auf Fachtagungen und Gedenkveranstaltungen für literarische Klassiker, sondern füllte auch die Säle bei Friedenskundgebungen. Publizistische Arbeiten vor allem zu literarischen Themen in Zeitungen und Zeitschriften begleiteten seine Auftritte. Ebenso entdeckte er das Radio als Medium der Literatur- und Kunstvermittlung für sich. Sein Geschick, öffentlich reden zu können und das Publikum an der Entwicklung seiner Gedanken teilhaben zu lassen, kam ihm dabei sicherlich zupass.

Während seiner Leipziger Jahre wurde Mayer nicht nur thematisch zunehmend zum Grenzgänger. Ebenso wie er die Grenzen von Philosophie, Literatur und historischer Betrachtung überwand, bewegte sich Mayer geschickt, das zeigt der lesenswerte Beitrag von Hans Altenheim, über die innerdeutsche Grenze hinweg. Schon als Hochschullehrer im Osten knüpfte er ein Netz aus Bekanntschaften und Verbindungen im Westen und begann, sowohl in der DDR als auch der BRD seine Bücher zu publizieren. Mayer entpuppte sich als begabter Selbstvermarkter, der die Edition und Veröffentlichung seiner Bücher in Ost wie West gleichermaßen zu befördern vermochte.

Mayers zunehmende Distanz zum System, in dem er lebte, und seine wachsende Opposition als Lehrender gegen die vorherrschenden Doktrinen ließen ihn bald schon die Grenzen seines Sonderstatus und seiner Freiheiten erkennen. Spätestens 1956 zeigte sich ihm das kalte Gesicht der Zensur, als seine Rede „Zur Gegenwartslage unserer Literatur“, die er für den ostdeutschen Deutschlandsender erarbeitet und bereits auf Band gesprochen hatte, nicht gesendet wurde. In dem Beitrag hatte er ein vernichtendes Urteil über die Literatur der fünfziger Jahre gesprochen, ihre ästhetische Altbackenheit und ihren abgegriffenen Realismusbegriff kritisiert. Zur Steigerung des ästhetischen Niveaus empfahl er eine Orientierung an der ästhetischen Moderne der Zwanziger Jahre. Die Analyse blieb ungesendet, aber die Anfeindungen und scharfen Polemiken seiner Gegner wurden in die Presse getragen. Im selben Jahre setzte dann auch die geheimdienstliche Überwachung ein. Eine ähnliche Hetze zwischen 1962 und 1963, die sich an Mayers freundlicher Diskussion von Peter Hacks’ inkriminiertem Stück „Die Sorgen und die Macht“ entzündete und bald persönliche Angriffe aus dem eigenen Institut nach sich zog, bewirkte Mayers Ausreise in den Westen.

Wie die Beiträge des Jahrbuchs deutlich machen, lässt sich das Verhältnis von „Parteidoktrin und kreativer Freiheit“ in der DDR-Literatur nur schwer bestimmen. Nicht nur unangepasste Künstler konnten in Konflikt mit dem Staat kommen, denn jeder Umschwung der politischen Meinung konnte auch zuvor umworbene Künstler treffen. Etliche Künstler reagierten darauf mit Anbiederung und Opportunismus. Die daraus folgende künstlerische Banalität war wohl zwangsläufig. Die Beiträge des „treibhauses“ dokumentieren, dass eine pauschale Abwertung von „DDR-Kunst“ und „DDR-Literatur“ taub macht für die Zwischentöne des ostdeutschen Kunst- und Kulturlebens. Im besten Fall ging es den Schriftstellern um eine poetische Wahrheit, die es gegen den politischen Willen zu verteidigen galt. Mitunter auch gegen die eigenen politischen Überzeugungen, wie der Fall Hacks zeigt.  Die Rekonstruktion des poetischen Ringens um Wahrheit und Wahrhaftigkeit durch die Autoren des Jahrbuchs ist dabei sehr verdienstvoll.

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Günter Häntzschel / Sven Hanuschek / Ulrike Leuschner (Hg.): Treibhaus. Band 4/2008 Die Anfänge der DDR-Literatur mit Audio CD.
edition text & kritik, München 2009.
372 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783883779980

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