Füße in Schuhen

Die große Fred Vargas schreibt einen Vampirroman

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Es gibt Autoren, die dürfen so ziemlich alles. Fred Vargas gehört dazu. Wer sich einen Ausrufer auf einem Platz in Paris ausdenkt, ein Haus, in dem drei der vier Apostel leben, historische Studien treiben, einen Kommissar, der auf den Namen Adamsberg hört und sich selbst kaum Namen merken kann – der darf so ziemlich alles schreiben. Fred Vargas darf auch einen Vampirroman verfassen. Und wir werden ihn mit der gewohnten Mischung aus Vergnügen und Faszination lesen. Ein Glück, dass diese französische Autorin nicht nur produktiv ist, sondern dass ihre Romane auch noch zügig ins Deutsche übersetzt werden.

Kommissar Adamsberg kann Hemden bügeln und er hilft kleinen Katzen auf die Welt. Er reist mit seinen Kollegen Danglard und Estalère nach London auf eine Konferenz, wobei man sich fragt, wer denn auf diese schräge Idee gekommen ist. Und mit welcher schrägen Idee wir in diesem Fall konfrontiert werden.

Nun, sie hat es in sich. Adamsberg und Danglard werden von einem englischen Kollegen ausgeführt, und wie es der Zufall will (von wegen Zufall), treffen sie einen merkwürdigen Lord namens Clyde-Fox, der sie darauf aufmerksam macht, dass vor den Türen des Friedhofs Highgate einige Schuhe stehen, die dringend in den Friedhof hineinwollen, wobei diese Schuhe (unterschiedlichen Alters und Qualität) auszeichnet, dass sich die dazugehörigen Füße noch in ihnen befinden. Abgeschnitten worden sind sie, wie sich herausstellen wird, immerhin erst, nachdem die Fuß- und Schuhträger verstorben waren.

Nun beginnt Adamsberg nicht mit seinen Ermittlungen, schlichtweg, weil das Ganze in London stattfindet und er nun einmal französischer Polizist ist und sich mit französischen Mordfällen herumschlagen muss.

Der nächste wartet denn auch gleich, kaum sind Adamsberg und Kollegen wieder zurück: Ein ehemaliger Journalist ist ermordet worden, mehr noch, er wurde getötet, und danach wurde sein Körper geradezu zerstäubt und zerhämmert. Mit einer Inbrunst und Systematik, die an ein Ritualverbrechen erinnert. Die Szenerie ist einigermaßen gräuslich, Leser können sich zum Glück etwas auf Distanz halten. Als ein zweiter Fall dazukommt, dieses Mal in Österreich, eine dritte Bedrohte in Köln bekannt wird, fängt Adamsberg an, nachzudenken, was man bei ihm unter nachdenken versteht.

Immerhin bringt ihn ins Grübeln, dass einer seiner Adjutanten beginnt, gegen ihn zu arbeiten. Außerdem scheint es, als ob jemand im Polizeiapparat versucht, ihm die Schuld an den diversen Fehlschlägen bei den Ermittlungen zuzuschustern, ihn möglicherweise sogar für die Morde selbst verantwortlich zu machen. Adamsberg muss also an zwei Fronten zugleich aufmerksam sein, zumal irgendwann der Hauptverdächtige, ein junger Mann, bei ihm zuhause eindringt und behauptet, sein Sohn zu sein.

Blutrünstige Morde, Schuhe mit Füßen vor Friedhöfen, ein Verdächtiger als Sohn, eine Katze, die Maulsperre hat und nicht säugen kann und ein gewalttätiger Gärtner des Opfers, der zum Haupterben wird – Vargas braut eine Mixtur zusammen, die je länger, desto verworrener zu lesen ist und dennoch immer weiter größtes Vergnügen macht. Als Adamsberg schließlich nach Serbien reist, um dort an den Ursprung des Geschehens zu kommen, kann auch endlich die Vampirgeschichte beginnen, die in der Tat einige Jahrhunderte zurückreicht und auch bis zu Londons Highgate reicht.

Dabei taucht Adamsberg in absurde Abgründe der Kulturgeschichte des Balkans ab, in denen es von Untoten, Blutsaugern, verängstigten Dorfbewohnern, Bannsprüchen und Exhumierungen wimmelt. Da werden merkwürdigen Leichen Holzpflöcke ins Herz getrieben, ihre Füße werden abgetrennt und das, was von ihnen übrigbleibt, wird in alle vier Winde verstreut oder an einen abgelegenen Ort gebracht. Wer einmal in die Fänge des Vampirs geraten ist, kann ihm nicht mehr entkommen.

Außer vielleicht Adamsberg, der sich in dem merkwürdigen kleinen Ort Kiseljevo fast so wohl fühlt wie in Pau, woher er stammt. Es sind auch hier merkwürdige, verschlossene Menschen, denen zugleich eine Herzlichkeit zu Eigen ist, die es sonst nicht mehr gibt.

Und vielleicht ist das das entscheidende Plus der Romane von Fred Vargas, was sie auch von nahezu allen anderen Krimis, auch aus Frankreich, unterscheidet: die Atmosphäre von Herzlichkeit, am Ende Freundlichkeit, die in ihnen mitschwingt. Vargas neuer Roman ist – selbstverständlich – auch als Hörbuch erhältlich.

Titelbild

Fred Vargas: Der verbotene Ort. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Waltraud Schwarze.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2009.
480 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351032562

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