Freiburger Hetzjagden

Oliver Bottinis „Jäger in der Nacht“ demonstriert die Qualität des deutschsprachigen Kriminalromans

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Vergleich zum englischen, amerikanischen und französischen Kriminalroman schneidet der deutsche Krimi immer noch schlecht ab. Ihm haftet etwas piefiges an, was zwar ungerecht ist. Aber alte und erprobte Vorurteile soll man auch nicht zu schnell über Bord werfen, sonst steht man am Ende da und muss sich ein eigenes Urteil bilden. Und das kann ganz schön aufwändig werden.

Oliver Bottini freilich macht einem das Urteilen leicht und könnte in jedem Fall so etwas wie die Ehrenrettung des deutschen Krimis sein, wenn er es denn faktisch so etwas nötig hätte (hat er nicht, trotz „Der Alte“, „Der Kommissar“ und trotz misslungener Politkrimis en masse). „Jäger in der Nacht“ ist jedenfalls ein ungemein intelligent gemachter, unterhaltsam geschriebener Krimi, der seine Leser nicht so einfach von der Leine lässt. Dass er zudem im sonnigen Südwesten der Republik spielt, wo die Leute merkwürdig reden, häufig rote Nasen haben und ungemein gut kochen (und damit auch essen), kommt hinzu. Was will man mehr? Gutes Ambiente und guter Krimi in einem?

Merkwürdige Dinge ereignen sich im in dieser Gegend. Ein Junge wird im Rhein ertränkt aufgefunden und eine junge Frau aus gutem Hause verschwindet spurlos. Keine Erpressung, keine Drohungen, keine Leiche – sie ist einfach weg. Zunächst scheint es zwischen den beiden Fällen keine Verbindung zu geben, nur die Ermittlerin Louise Boni, deren vierten Fall wir hier miterleben, sieht einen Zusammenhang. Als sie auf der Suche nach der jungen Frau, Nadine, auf zwei ältere Damen stößt, die die Polizistin je eher je besser vom Hof haben wollen, ahnt sie den Grund: Anscheinend hängt einer ihrer Kollegen in der Sache drin. Und die älteren Damen, bei denen sich Nadine versteckt zu halten scheint, wollen deshalb die Polizei aus der Sache raus halten.

Boni muss also nicht nur die Damen, die sich einer vergewaltigten, verletzten, verängstigten jungen Frau angenommen haben, davon überzeugen, dass sie in der Sache wirklich ermitteln und nicht das Opfer beiseite schaffen will („eine Krähe hackt der anderen…“). Sie muss zudem gegen einen ihrer Kollegen ermitteln, möglicherweise sogar gegen einen der Kollegen, die in der schnell zusammengestellten Sonderkommission auf der Suche nach Opfer und Täter sind. So etwas ist in allen hordenähnlichen Gruppen ungemein schwierig und kann dazu führen, dass die Horde den Nestbeschmutzer selbst zum Opfer macht. In Polizisten-Krimis ist das jedenfalls ein gebräuchliches Motiv.

Hinzu kommt, dass Boni eh unter ihren Kollegen keinen leichten Stand hat: Inkommunikativ, eigensinnig, nicht teamfähig, immer auf Alleingängen, also für den Polizeidienst nicht geeignet. Wenn sie nun auch noch einen Polizisten aufs Korn nimmt, kann das böse enden.

Allerdings eskaliert die Geschichte schnell, jedoch in eine andere Richtung. Es geschieht ein Mord an einem Arzt, der irgendwie mit dem Fall der verschwundenen Nadine zusammen zu hängen scheint. Auch wenn das lange unklar bleibt, die Möglichkeit, dass es Zusammenhänge gibt, macht es für Boni nicht einfach, zu ermitteln. Sie muss Vertraute im Apparat finden, die ein Geheimnis für sich behalten können, sie braucht Kollegen, die Gefallen einlösen, sie braucht Unterstützung von Vorgesetzten, die sie ihren Weg unbehelligt gehen lassen. Dabei geht sie auch über die Grenze nach Frankreich, wo sie – auf dem informellen Dienstweg – den einen oder anderen Kombattanten einbinden muss.

Bottini gelingt es mit „Jäger in der Nacht“ eben nicht nur, die Standards des Krimis einzuhalten, der sich mit Missbrauch und Vergewaltigung, mit Macht und Sexualität beschäftigt. Er modifiziert zugleich die Standardelemente so, dass die Entwicklung der Geschehnisse zwar im Groben erwartbar ist, es aber dann doch zu überraschenden Wendungen kommt. Das betrifft vor allem das Opfer selbst, das auffallend sorgfältig behandelt wird. Normalerweise hat mans mit jungen Frauen zu tun, deren dramaturgische Funktion darin besteht, Opfer zu sein, Angst zu haben und am Ende – nach vielleicht qualvollem Leiden – tot zu sein. Nicht aber hier.

Auch die Eltern des ertränkten Jungen, die anfangs als gefühlloser und gewalttätiger white trash daher kommen, erhalten ein eigenes, deutlich differenzierteres Profil als sonst üblich. Letztlich wendet Bottini diesen Zugriff sogar auf die Tat selbst an, die keinen dämonischen Mächten, keinen von Kindesbeinen an auf die Tat zulaufenden Gewohnheitstätern zugeschrieben wird, sondern die aus einer vollkommen unauffälligen Situation entwickelt wird und in der Situation, Disposition, Möglichkeit und gegenseitigen Beobachtung zu einem fatalen Ende führen.

Titelbild

Oliver Bottini: Jäger in der Nacht. Kriminalroman.
Scherz Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
330 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783502110187

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