Das Symbol – historische Grundlagentexte?

Frauke Berndt und Heinz-Joachim Drügh haben einen Band mit Grundlagentexten zum Begriff des „Symbols“ herausgegeben

Von Evelyne von BeymeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelyne von Beyme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Rahmen der Reihe ‚suhrkamp taschenbuch wissenschaft‘ ist jüngst ein neuer Sammelband erschienen, der sich mittels einer umfassenden Anzahl historischer Texte aus den Bereichen der Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft dem Symbol anzunähern sucht. Als Ausgangsbasis nutzen die Herausgeber Frauke Berndt und Heinz Drügh die Symbol-Definition des Sprachphilosophen Ernst Cassirer aus dem Aufsatz „Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften“, demgemäß das Symbol als sinnliches ‚Zeichen‘ und ‚Bild‘ eine Auseinandersetzung mit seinem sinnlichen Datum, seiner Verarbeitung, seiner Bedeutung sowie seines ethischen Fundaments verlangt. Damit richten sich die Herausgeber gegen das aristotelische Verständnis des Symbols als eines arbiträren sprachlichen Zeichens, dessen Funktionsfähigkeit nicht auf einem natürlichen Zusammenhang basiert, sondern von der gegenseitigen Übereinkunft einer Sprachgemeinschaft abhängt. Vielmehr seien Symbole „sinnliche ‚Zeichen‘ und ‚Bilder‘, die eine körperliche Form haben, wahrgenommen werden, etwas bedeuten und ein ethisches Fundament voraussetzen.“

Aus Cassirers Symbol-Definition leiten Berndt und Drügh vier zentrale Aspekte ab, die für das Symbol von Relevanz seien: den kognitiv-mentalen, den materiellen, den semantischen und den ethischen. Damit ordnen sie die historischen Texte über das Symbol den vier Lemmata ‚Seele‘, ‚Körper‘, ‚Sinn‘ und ‚Kultur‘ zu. Die Auswahl richtet sich nach solchen Texten, die sich an der empirischen Psychologie des 18. Jahrhunderts orientieren und an der Formulierung einer modernen Ästhetik partizipieren. Dabei ist der Symbol-Begriff nicht in allen vorgestellten Texten anzutreffen. Beispielsweise ist dies bei Karl Philip Moritz und Johann Joachim Winckelmann der Fall, deren Schriften jedoch aufgrund ihrer ästhetischen Impulsgebung gegenüber klassischen Symbolkonzepten von Bedeutung sind.

Die einem rhetorischen Ordnungsmodell folgende Unterteilung in vier Lemmata diene insbesondere dazu, die diskursiven Austragungsorte, in denen das Symbol verhandelt wird, aufzudecken. Entsprechend folgen die Herausgeber einem interdisziplinären Ansatz – mit dem intendierten Ziel, den Symbol-Begriff gegenüber den Kulturwissenschaften zu öffnen. Das Symbol könne zwar, es müsse aber nicht ausschließlich mit der Kunst in Verbindung stehen. Vielmehr werde man beim Symbol mit einem erkenntnistheoretischen Problemzusammenhang konfrontiert.

Während das Lemma ‚Seele‘ Textauszüge aus den Schriften Alexander Gottlieb Baumgartens, Immanuel Kants, Johann Wolfgang von Goethes, Siegmund Freuds, Aby Warburgs und Ernst Cassirers vereint und die Aufmerksamkeit auf die „Medialität der Erkenntnis“ lenkt, beinhaltet das Lemma ‚Körper‘ Texte von Platon über Friedrich Nietzsche bis hin zu Theodor Vischer und Hugo von Hofmannsthal. Es richtet die Perspektive auf den physischen Aspekt des Symbols. Dieses wird in der Einleitung dazu als ein materielles Substrat aufgefasst, das heißt als eine körperliche Reserve, „die selbst nicht repräsentierbar ist, weil sie sich in jeder Repräsentation sowohl erneuert als auch entzieht.“ Entsprechend würden sich Zeichenmodelle als unzureichend für eine Beschreibung des Symbols erweisen, vielmehr seien ästhetisch-phänomenologische Modelle erforderlich. Die Debatte um den Körper des Symbols selbst sei allerdings historisch. Dem dritten Lemma ‚Sinn‘ zugeordnet sind acht historische Texte über das Symbol von Goethe, Friedrich Wilhelm Schelling, Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Walter Benjamin, Hans Gadamer, Paul de Man und Umberto Eco, die zur Erhellung des Verhältnisses von Allegorie und Symbol beitragen sollen. Die Texte seien als ein Ausdruck des Protestes zu werten gegenüber den im 18. Jahrhundert verbreiteten Modellen, welche von einer konventionellen Bedeutungsregelung von sinnlichen ‚Zeichen‘ und ‚Bildern‘ ausgingen. Im vierten und zugleich letzten Lemma ‚Kultur‘ befinden sich unter anderem Texte Johann Gottfried Herders, George Herbert Meads, Niklas Luhmanns, Schlegels, Georg Simmels sowie Roland Barthes. In diesem Lemma steht die These im Vordergrund, dass Symbole zum Vermittler ethischer, sozialer, politischer und ästhetischer Ordnungen geraten. Dabei folgen die in dem Lemma ‚Kultur‘ vereinten Texte zwei thematischen Schwerpunkten: der eine liegt auf demjenigen der Institution, während der zweite die Mythologie fokussiert.

Als besondere Leistung hervorzuheben ist der Einbezug von Aby Warburgs Fragmenten zum „Symbolismus aufgefaßt als primäre Umfangsbestimmung“, bei dem es sich um eine Erstveröffentlichung handelt. Wie Cassirer verfolgt Warburg, dessen Bibliothek für Cassirers Hauptwerk der „Symbolischen Formen“ als kulturwissenschaftliche Begegnungsstätte eine ‚Fundgrube‘ darstellte, einem anthropologischen Ansatz.

Zu den wesentlichen Publikationen über den Symbol-Begriff, die in den letzten Jahren beziehungsweise Jahrzehnten innerhalb der Linguistik und Literaturwissenschaft erschienen sind, zählen Tzvetan Todorovs „Théories du symbole“ (1977) sowie Eckard Rolfs „Symboltheorien“ (2006). Sowohl an Todorovs als auch Rolfs Monografie kritisieren Berndt und Drügh die willkürliche Auswahl der behandelten Texte. Doch wird bereits bei Todorov, dessen Studie vornehmlich einer literaturwissenschaftlichen Perspektive folgt, ein Großteil der essentiellen Texte über das Symbol abgedeckt (Aristoteles mit inbegriffen) und die Semiotik in diesen Bereich mit integriert.

Auch Rolfs linguistisch-sprachphilosophisch orientierte Untersuchung „Symboltheorien“, die den Untertitel „Der Symbolbegriff im Theoriekontext“ trägt, kann eine „willkürliche“ Auswahl keineswegs vorgeworfen werden. Dies beweist bereits die logisch-systematische Gliederung der sechs Kapitel, die eine Untersuchung des Symbolbegriffs im sprach-, erkenntnis-, kunst-, zeichen-, bewusstseins- und im gesellschaftstheoretischen Kontext vorsieht. Bei einer Gegenüberstellung mit dem Symbol-Sammelband von Berndt und Drügh, der eine Kategorisierung gemäß der vier Lemmata ‚Seele‘, ‚Körper‘, ‚Sinn‘ und ‚Kultur‘ vornimmt, erscheint letzteres zuweilen der Logik zu entbehren. So stellen die Herausgeber die Zuordnung der einzelnen Texte zu den entsprechenden Lemmata bereits in der Einführung mittels der Anmerkung in Frage, dass die Texte auch einem anderen Lemma hätten unterstellt werden können. Die Zuordnung ist für den Leser nicht immer eindeutig nachvollziehbar – dies insbesondere in dem Lemma ‚Kultur‘, wo bereits die implizite Subkategorisierung in ‚Institution‘ und ‚Mythos‘ Fragen aufwirft.

Sobald man in dem Sammelband auf die psychologischen und poststrukturalistischen Texte stößt, ist man geneigt, sich zu fragen, weswegen denn nicht diejenigen Jacques Lacans und Julia Kristevas, bei denen der Symbol-Begriff gerade eine Rolle spielt, in die Auswahl historischer Grundlagentexte miteingeflossen ist. Dieses Problem ist auf die starre, allzu systematisch von Cassirers Symbolbegriff abgeleitete Gliederung zurückzuführen, die dem historischen Aspekt zu wenig Beachtung schenkt.

Es bleibt fraglich, ob man – und hiermit unterscheidet sich der besprochene Band von den Monografien Todorovs und Rolfs im Negativen – diejenigen Symboltheorien, die einem zeichentheoretischen Ansatz folgen, aus einem Sammelband mit historischen Grundlagentexten wirklich ausgrenzen darf. Gerade semiotische Texte wie diejenigen von Charles Sanders Peirce, Charles Kay Ogden und Ivor Armstrong Richards sowie Karl Bühlers dürften in einem Kompendium so genannter historischer Grundlagentexte, das einen repräsentativen Überblick über Symbolkonzepte verschaffen möchte, keineswegs fehlen. Doch ist ein derartiger Status der Vollständigkeit in diesem Fall schon allein deswegen nicht zu erfüllen, da der „Symbol“-Band systematisch einer kulturwissenschaftlichen Linie folgt und gerade deswegen umso willkürlicher agiert.

Ein Sammelband mit einer repräsentativen Auswahl von Texten über das Symbol ist ein Unternehmen, das sich nicht in einem Buch von knapp 460 Seiten verwirklichen lässt. Vermutlich wären es drei Bände, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachbereichen realisiert werden müssten – ein Projekt, das für die Zukunft wünschenswert erscheint.

Der Ansatz, eine Auswahl von Grundlagentexten über das Symbol zu erstellen, ist lobenswert. Es bleiben jedoch zu viele relevante Symboltexte ausgespart, als dass man den Sammelband einem Studenten zur Einführung in die Symbol-Problematik empfehlen könnte.

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Frauke Berndt / Heinz-Joachim Drügh (Hg.): Symbol. Grundlagentexte aus Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
462 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783518294956

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