Editorische Perle

Der von Joachim Kersten herausgegebene Band „Eines Dichters letzte Reise“ erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln von den letzten Tagen Herman Bangs

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Leser hält mit „Eines Dichters letzte Reise“ ein feines Buch in der Hand. Früher hätte man es als Oktavbändchen bezeichnet, ungefähr einhundertfünfzig Seiten stark. Es enthält alles zum Thema „Eines Dichters letzte Reise“. Mit diesem durchaus doppeldeutig zu verstehenden Buchtitel hat der Herausgeber Joachim Kersten dem dänischen Dichter Hermann Bang (1857-1912) ein Denkmal gesetzt. Dabei ist es keines, unter dem man den Dichter begraben kann, sondern eher eines, das auf Fortsetzung der Lektüre angelegt ist.

Den Anfang macht eine Einleitung des Herausgebers zu den nachfolgenden drei Texten und zum „biographischen“ Kontext der Erzählungen. Dabei gelingt Kersten eine sensible Einführung in Leben und Werk Bangs und eine treffende Beschreibung der poetischen Kunst des Dänen: „Was so leicht sich liest, entsteht durch kunstvolles Feilen an den Texten, ständiges Um- und Überarbeiten bis zur Perfektion der Schwerelosigkeit. Er bezieht politische Position, seine Berichte sind weder Revolution noch Reaktion verpflichtet – sie berichten Tatsachen. Mitleid ist sein ‚einzige Tendenz‘.“ Darüber hinaus gibt der Herausgeber noch einen kurzen Werküberblick, und der Leser sieht sich in die glückliche Lage versetzt, einem weiteren Lektürebedürfnis gezielt nachkommen zu können.

Alle drei folgenden Texte beschäftigen sich mit der „letzten Reise“ von Herman Bang und mit seinem Tod während dieser Unternehmung. Die „Trilogie“ beginnt mit Bangs Erzählung „Der große Kahn“. Darin wird die Entstehung einer Erzählung zum literarischen Text stilisiert. Bangs letzter Text ist ein leichtes Bravourstück, dass zusammenfasst, was seine Prosa ausmacht. Er beschreibt darin die Überfahrt mit einem Schiff von Cuxhaven nach New York. Der Text schließt mit einem schweren, bedrohlichen Unwetter auf See: „Der Ozean ist böse.“ Zwei Menschen sitzen verloren nebeneinander in der Kajüte unter Deck: „Und wir sitzen auf dem zitternden Sofa, schweigend, nebeneinander, vor dem großen Spiegel – vor unseren eigenen zitternden Bildern.“

Der Autor „überlebt“ die Schiffsüberfahrt. „Bang erreicht New York. Dies ist der Ausgangspunkt der Geschichte von Klaus Mann: ‚Reise ans Ende der Nacht‘.“ Klaus Mann beschreibt darin die letzten Tage Herman Bangs. Die Ankunft, den Beginn seiner Vortagsreihe in Amerika und die imposante Vorstellung, die er dem Publikum bietet, wird anschaulich und empathisch von Mann beschrieben – ebenso Bangs Tod im Schlafwagenabteil im Zug Richtung Westen. Bang, der Ich-Erzähler, stellt erschüttert fest: „Ich… muß… einsam sterben… einsam“.

In der Edition findet der Leser nach dem Text von Klaus Mann noch einen kleinen Einschub: Bangs finanziellen Hilferuf an seinen Verleger Samuel Fischer vom 25. Januar 1912, kurz vor seinem Tod. Den Abschluss des Textteils bildet die Erzählung „Der Tod eines Dichters“ von Friedrich Sieburg aus. Was vorher Klaus Mann schon erzählt hat, wird hier noch einmal aus der Perspektive des Zugbegleiters geschildert: „Der Fremde, der kein Englisch kann, sieht sehr müde aus. Er ist ein Däne, also kein Deutscher. Sein Land ist sehr klein und liegt da oben irgendwo über Deutschland, da irgendwo überm Kieler Kanal.“ Diese neue Perspektive auf die Ereignisse zeigt dem Leser einen „weiteren“ Herman Bang.

Den Abschluss des Bandes macht „Herman Bangs letzter Brief an Betty Nansen“ aus, der dem Autor unversehens zu einer kleinen „Poetik des Herman Bang“ geraten ist. Dazu kommt noch eine kenntnisreiche Nachbemerkung, die den Leser über den editorischen Kontext informiert. Kurz: Ein rundum gelungener Band, mit Fingerspitzengefühl und Liebe am Detail komponiert.

Titelbild

Herman Bang: Eines Dichters letzte Reise. Drei Erzählungen von Herman Bang, Klaus Mann und Friedrich Sieburg.
Herausgegeben von Joachim Kersten.
Arche Verlag, Hamburg 2009.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783716026090

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch