Die großen Liebesgeschichten sind vorbei

Verena Roßbacher lässt in ihrem Debütroman „Verlangen nach Drachen“ einen Reigen unzulänglicher Männer an ihrer Heldin und am Leser vorbeidefilieren

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Heldin in Verena Roßbachers imponierendem Romanerstling heißt Hanna. Hanna Roth. Oder Grün, wie der Leser auf den ersten Seiten erstaunt erfährt. Denn ihr von Hannas Mutter getrennt lebender Vater, bei dem die junge Frau noch wohnt, wechselt seine Namen wie das Chamäleon die Farben. Als Gschaftlhuber, der er ist, will ihm nichts so recht gelingen, was er anfasst. Als da zum Beispiel wären: eine groß angelegte Eberzucht, um den Paarungsduftstoff der Tiere für die Anwendung am Menschen zu isolieren, die Suche nach dem so genannten Ergänzungston bei verstimmten Klavieren, um sie wieder in Einklang mit den Schöpfungsharmonien zu bringen, oder die Behandlung von Schwingungsproblemen bei Stradivaris mit Hilfe eines aggressiven Spaltpilzes, der die Holzdichte vermindert. Und weil das alles ganz gewaltig nach hinten losgeht – die Geigen zum Beispiel werden von dem agilen Pilz vollständig zersetzt, allein die Saiten sind zum Schluss noch da –, muss sich Ludwig Roth alias Grün alias Prohaska stets und ständig in neue Identitäten flüchten bis zum nächsten Fiasko.

Der Vater ist der erste Mann im Leben jeder Frau. Er setzt die Maßstäbe, an ihm übt die Tochter ihren Umgang mit dem anderen Geschlecht, seine Vorbildfunktion soll nach neueren Forschungsergebnissen sogar Auswirkungen darauf haben, wie frau sich später im Berufsleben verhält, bissig oder zahm. In Roßbachers Roman legt Ludwig Grün die Latte für all jene, die ihm im Herzen seiner Tochter folgen wollen, nicht allzu hoch. Vier Herren überspringen seine Vorgabe denn auch ziemlich mühelos. Allein, wie es vorauszusehen war: Es will mit keinem aus dem Quartett so richtig klappen. Aus der Verbindung mit dem fünften geht dann schließlich eine Tochter hervor. Aber aus wehmütigen Briefen erfährt man bald, dass auch diese Allianz nicht hält und Klara als Verlassene enden wird, nachdem sie es bis dahin immer war, die gegangen ist.

„Verlangen nach Drachen“ ist ein Liebesroman. Seine Autorin checkt die Chancen ihrer jungen Protagonistin ab, im Hier und Heute eine erfüllende Beziehung zu führen. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Die großen Liebesgeschichten sind vorbei.“ Nach Valentin Kron, der nicht einmal merkt, dass er im Begriff war, Vater zu werden, scheitern auch der Cellist David Stanjic, der leicht meschuggene Erfinder-Botaniker Alexander Lenau und schließlich Konrad Wurlich, Barpianist mit höheren Ambitionen. Dem Vater, immer auf der Flucht vor seiner jeweiligen Gegenwart und auf der Suche nach einem das ultimative Glück versprechenden neuen Leben, kann’s nur recht sein. Er verfolgt sowieso alle Aspiranten, die sein Kind umschwärmen, mit Misstrauen, Eifersucht und übler Nachrede.

Am interessantesten an Roßbachers Romandebüt – die mit diesem nicht gerade schmalen Buch, das raffiniert komponiert ist und nur wenige Längen aufweist, ihr Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig beendete – ist die Perspektive. Denn Klara, um die es eigentlich geht, kommt kaum je selbst zu Wort. Stattdessen werden all jene nacheinander scheiternden Affären aus Sicht der Männer geschildert. Und die haben natürlich nicht die geringste Ahnung, warum ihnen jetzt schon wieder eine Beziehung mit der Lizenz zur Ewigkeit in die Binsen gegangen ist. Das ist frech, herrlich entlarvend und in der neueren Literatur, soweit ich sehe, ohne Beispiel.

So ganz ohne Vorbilder ist eine erst am Anfang stehende Autorin – Wir sind gespannt, wie das weitergehen wird, was mit „Verlangen nach Drachen“ so vielversprechend beginnt! – auch nicht denkbar. Während Robert Walser und Marcel Proust als intertextuelle Referenzen namentlich im Roman auftauchen, schwingen in Ton und Arrangement Heimito von Doderer, Friedrich Torberg – dessen Werk das Wirtshaus Neugröschl entnommen wurde, welches den unterschiedlichen Helden des Romans ein gemeinsames Dach überm Kopf spendet –, Arthur Schnitzlers „Reigen“, Elias Canetti und Ödön von Horváth mit, um nur die wichtigsten intellektuellen und stilistischen Ansprechpartner einer belesenen Debütantin aufzuzählen.

In seinem Geschichtenreichtum, den wunderbar verqueren Dialogen, in die seine Leser immer wieder verstrickt werden, und all jenen kauzig-verrückten Gestalten, die da paradieren zwischen Wahn und Wirklichkeit, Genialität und Irrsinn, Licht und Dunkel, tut dieses Buch fast ein wenig des Guten zuviel. Seine Autorin, dieser Eindruck drängt sich einem während der Lektüre immer wieder auf, gebietet über ein Füllhorn an Erzählbarem – und sie müht sich, es auszuschütten bis zum letzten Tropfen. Und wenn der versickert ist: einfach weitermachen, nicht zur Ruhe kommen, erzählen, erzählen, erzählen!

Wenn sich dann im vorletzten Kapitel – die Titel deklinieren all jene Männer, an denen Klaras Liebeswunsch letztendlich scheitern musste, durch – der Jahrhundertsturm Kyrill erhebt und noch einmal sämtliche Themen, Figuren und Motive des Buches hernimmt und umeinanderbläst, variiert und miteinander verknüpft, spielt erstmalig auch die zeitliche Dimension eine Rolle. Denn mit Kyrill, keinem „Gast im üblichen Sinne“, sind wir im Januar 2007 angekommen. Bis dahin freilich können Jahre oder Jahrzehnte vergangen sein, Roßbacher lässt das ganz bewusst im Unklaren. Die Suche nämlich, auf der sich ihre Heldin befindet, hat wohl zu allen Zeiten stattgefunden und wird auch nach dem neuerlichen Scheitern weitergehen. Eben weil das Verlangen nach Drachen nie endet.

Titelbild

Verena Rossbacher: Verlangen nach Drachen. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009.
442 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783462040975

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