Architektur des Lebens

Anna Gavaldas Roman „Alles Glück kommt nie“, gelesen von Nina Petri und Stephan Schad

Von Sandra RührRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Rühr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anna Gavalda, die über sich selbst sagt, dass sie tagsüber Vollzeitmutter und nachts Schriftstellerin ist, wurde 1970 in Boulogne-Billancourt bei Paris geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie behütet auf dem Land, umgeben von Büchern, Schallplatten und Filmen. Die Jugend verlebte sie bei Dominikanerinnen und machte ihren Magister in Literaturwissenschaft an der Sorbonne. Bis sie ihr Talent als Schriftstellerin entdeckte, lebte sie von Gelegenheitsjobs wie Kassiererin, Verkäuferin oder Platzanweiserin, sie war Französischlehrerin und schrieb fiktive Heiratsanzeigen sowie kleinere Beiträge für Wochenblätter.

2002 erschien in Deutschland der Erzählband „Ich wünsche mir, daß irgendwo jemand auf mich wartet“. Damit begann ihr Durchbruch als Schriftstellerin, der es gelingt, das Leben in kleinen Momentaufnahmen facettenreich darzustellen, sodass man im hektischen Alltag wieder an vielfältigste Optionen zu glauben vermag. In ihrem ersten Roman „Ich habe sie geliebt“ bleibt Gavalda zwar der kleinen Form noch treu, doch legt sie hier den Grundstein für ihr weiteres Schaffen: Sie zeigt, wie gut sie Stück für Stück die Fassade von Personen freilegen kann, bis deren Innerstes zum Vorschein tritt. Endgültig in die Herzen ihrer Fans schrieb sie sich mit „Zusammen ist man weniger allein“ – dem Roman, der gerne mit „Die fabelhafte Welt der Amélie“ verglichen und wohl auch deshalb mit der Hauptdarstellerin des gleichnamigen Films, Audrey Tautou, besetzt wurde. Diese Gegenüberstellung zeigt bereits das Besondere an Gavaldas Geschichten: Es sind Märchen für Erwachsene, wobei an der Oberfläche gar nicht so viel passiert und sich vielmehr zwischen den Zeilen ganze Welten auftun.

Bislang waren alle Titel zu Gavaldas Büchern mehr oder weniger sprechend, sie ließen das Kommende vorausahnen. Bei „Alles Glück kommt nie“ hingegen bleibt ein gewisses Rätsel, das sich mit Sicherheit auch auflösen lässt, das aber mitnichten so unprätentiös daherkommt wie der Originaltitel „La Consolante“. Hieraus ergibt sich eine Verschiebung bei der Interpretation: „La Consolante“ lenkt die Lesart auf eine weibliche Hauptfigur, „Alles Glück kommt nie“ lässt alles mehr oder weniger in der Schwebe und fokussiert niemanden speziell. Wirft man dann noch einen Blick auf das Cover des Buches, das für das Hörbuch bis auf kleine „Stauchungen“ übernommen wurde, nimmt man wieder eine andere Tendenz wahr. Zwei Tauben, eine sitzend, die andere mit ausgebreiteten Flügeln im Landeanflug, sind umgeben von leuchtend rotem Ahorn. Symbolischer kann nicht gearbeitet werden: Thematisiert werden, übersetzt man beide Elemente ganz schlicht, die Rückkehr zum Ursprung und der Neubeginn. Interessant ist auch, dass die sitzende Taube auf die zurückkehrende Taube zu warten scheint. Damit wird angedeutet, dass das Ursprüngliche, in welcher Form auch immer, bereits gegenwärtig ist. Kennt man schließlich die Geschichte, erhält die Taube noch eine weitere Bedeutung. Nounou, eine der Randfiguren, schmückt sich stets mit einer Taube, sie bedeutet für ihn die Rückbesinnung auf seine Vergangenheit als Gaukler und sie ist das Einzige, was nach seinem Tod in ausgestopfter Form in einem Karton von ihm übrigbleibt.

All dies zeigt die Vielschichtigkeit, mit der sich Gavaldas Roman „Alles Glück kommt nie“ deuten lässt. Die Grundgeschichte ist jedoch schnell erzählt: Der kurz vor seinem 47. Geburtstag stehende Architekt Charles Balanda findet bei einer Familienfeier einen geheimnisvollen Brief ohne Absender. Die Schrift kommt ihm jedoch bekannt vor und als er die drei Wörter „Anouk ist tot“ gelesen hat, befindet er sich mitten auf dem Weg in seine Vergangenheit. Er macht sich auf die Suche nach seinem ehemals besten Freund Alexis, dem Sohn Anouks. Anouk war jedoch nicht nur eine Art mütterliche Freundin für Charles, sondern verkörperte für ihn stets das Unangepasste, das Geheimnisvolle, aber auch das Sorgenvolle und Rauschhafte. Sie war seine erste große Liebe, bis er sich für eine Ehe mit Laurence entschloss, die nach außen hin so glatt und makellos ist, wie das frisch bezogene Ehebett mit klar umrissenen Matratzengrenzen. Charles findet nicht nur seinen alten Freund wieder, sondern lernt auch Kate kennen, die das Haus Vesperies leitet und ihn vom ersten Moment an fasziniert. Sie lehrt ihn, dass alles eine Geschichte ist und dass manche Geschichten zu einer verschmelzen können, wenn sich die beteiligten Figuren darauf einlassen.

„Alles Glück kommt nie“ verdeutlicht, dass das Leben nie in allen Einzelheiten perfekt ist, dass aber dazwischen eine breite Palette an Möglichkeiten liegt, wenn man sie zu ergreifen bereit ist. Bei Charles dauert das eine ganze Weile. Er ist schon so sehr gefangen im Hamsterrad des Lebens, dass er sich beinahe ohne Gegenwehr ergibt. Ist er nicht schon ein angesehener Architekt? Doch zugleich ist er „allein und ohne Fantasie, angeschlagen im Ameisenhaufen“. Ja, er hat eine wunderschöne Frau, aber diese interessiert sich mehr für die neueste Ausgabe der Vogue denn für ihn, der erst mehrere Tage nach einem Unfall zurückkehrt. Wäre hier alles perfekt, würde Charles sich nicht direkt an den Hörer wenden mit den Worten „O.k., das erspare ich ihnen, diesen barbarischen Mikrokosmos, der sich Familie nennt.“

In seiner Ehe ebenso wie innerhalb seiner Familie und im Architektenleben ist er mehr Zuschauer, denn Akteur. Dieser Zustand hält beinahe eine Spur zu lange an, sodass man als Hörer bereits entnervt ist von der Hauptfigur. Doch Gavalda reißt das Ruder herum, indem sie ihren Kritikern zuvor kommt und bekennt, dass Glück den Leser langweile. Gleichzeitig fragt sie jedoch auch, wie sie dem als Autorin beikommen könne. Solle sie Teile auslassen oder elliptisch erzählen? Nein, ihrer Meinung nach komme es auf die Feinfühligkeit des Helden an und so nimmt sie fortan eine andere Perspektive ein: Sie schildert das weitere Geschehen anhand der Skizzen, die Charles von seinem Leben bei Kate im Haus Versperies in ein Büchlein macht. Wir, die Rezipienten, erfahren somit nur noch in Ausschnitten und so wie sie der Held uns präsentiert, wie die Geschichte weiter geht.

Mit der Hörbuchversion kommt eine weitere Ebene hinzu. Der Hörbuchanbieter Hörbuch Hamburg entschied sich erneut, wie bei den Vorläufertiteln, für Nina Petri als Sprecherin. Doch diesmal liest Petri gemeinsam mit Stephan Schad. Erwartet man zunächst, dass beide verschiedene Passagen im Wechsel sprechen, wird man schnell eines Besseren belehrt. Schad eröffnet und beendet die Geschichte, fast der gesamte Rest wird von Petri bestritten. Der Grund dafür erschließt sich dem Hörer erst allmählich: Immer, wenn es um einen Ist-Zustand der männlichen Hauptfigur geht, erhält diese auch direkt das Wort und Schad spricht. Der Großteil der Geschichte wird jedoch aus der Beobachter-Perspektive von Petri geschildert. Das Getriebene Charles’ wird akustisch über stakkatohafte Sätze und einen wahren Redeschwall nachgebildet, schließlich ist alles eine Geschichte.

Eine Geschichte, die in der Buchvorlage 640 Seiten andauert und in der Hörbuchversion auf 468 Minuten gekürzt wurde. Nina Petri ist die akustische Maske für Gavaldas Bücher, sie übersetzt das Märchenhafte mit ihrem warmen Timbre, ohne jedoch klischeehaft in Rollen zu schlüpfen. Stattdessen werden unterschiedliche Charaktere nur leicht angedeutet, sodass sich die Geschichte voll entfalten kann und zum Klingen gebracht wird. Interessanterweise ist Petri im gleichen Alter wie die männliche Hauptfigur. Von Midlife-Crisis ist bei ihr allerdings nichts zu spüren. Kein Wunder, wurde sie doch bereits mit dem Bayerischen Fernsehpreis, dem Deutschen Filmpreis und, für die Hörbuchbranche interessant, mit dem Osterwold, dem Hörbuchpreis, den die Hörbuch Hamburg-Verlegerin Margit Osterwold für herausragende Sprecherleistungen vergibt, ausgezeichnet.

Die Geschichte von der Rückkehr zum Ursprung und dem Neubeginn, beides zusammengeführt in Form von Kates Nacken, der einst von Anouk berührt worden ist und der zu Charles’ liebsten Körperteil an ihr zählt, gerät durch Nina Petri als Sprecherin nie ins Verkitschte, man hörte ihr gerne noch länger zu. Doch auch Stephan Schad hat eine wunderbare Stimme, die bereits bei der Interpretation von Feridun Zaimoglus Roman „Liebesbrand“ gelobt wurde. Leider erhält er nun nur wenig akustischen Raum. Unvermittelt tritt die sonore Stimme vor den Hörer und als dieser sie lieb gewonnen hat für ihre Zurückhaltung und ihre Tendenz, das zwischen den Zeilen Stehende dezent nach außen zu kehren, was ja auch eine wesentliche Tendenz bei „Alles Glück kommt nie“ ist, entschwindet sie wieder. Doch wie heißt es so schön: Alles Glück kommt nie und deshalb wurde hier vielleicht einen Tick zu viel konstruiert und die Stimmen in einem unausgewogenen Verhältnis einander gegenübergestellt. Die Kürzung allerdings führt zu einer Verdichtung der Geschichte, ohne dass Wesentliches verloren ginge.

Titelbild

Anna Gavalda: Alles Glück kommt nie. 6 CD.
Hörbuch Hamburg Verlag, Hamburg 2008.
468 min, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783899036312

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