Zwischen Intimität und Medialität der Körper

Das Symposium zur Quadriennale 06 in Düsseldorf verhandelt „Den Körper im Blick“

Von Annika NickenigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annika Nickenig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit „Grenzgänge zwischen Kunst, Kultur und Wissenschaft“ ist die Publikation untertitelt, die den Körper aus sehr unterschiedlichen Perspektiven als Medium und Gegenstand der Kunst beleuchtet. Der anlässlich des Symposiums zur Düsseldorfer Quadriennale 06 erschienene Tagungsband versammelt in den einzelnen Beiträgen der teilnehmenden Kunst-, Kultur-, Medien- und Literaturwissenschaftler sehr unterschiedliche Arten und Weisen, den Körper in seiner medialen Erscheinungsform in den Blick zu nehmen.

Der einführende Beitrag des Herausgebers Beat Wyss verknüpft das Thema der Ausstellung – den „Körper im Blick“ – mit dem räumlichen Kontext der Stadt Düsseldorf, womit der Aspekt der konkreten Verortung und Materialität bereits auf pragmatische Weise zur Sprache kommt: „Eine Stadt zeigt Körper.“ Die Stadt Düsseldorf wird in ihrer Charakteristik der dezidierten Oberflächenorientierung vorgestellt, gleichzeitig ist mit dem Topos des urbanen Flaneurs, der dem Strom der Eindrücke der Stadt ausgesetzt ist und darüber selbst konstituiert wird, ein bedeutendes Thema des Symposiums formuliert. So benennt Wyss auch einige phänomenologische Reflexionen über den Körper – als Gegenstand und Instrument der Wahrnehmung – die den nachfolgenden Aufsätzen eine theoretische Grundlage und Struktur geben. Dabei geht der Kunstwissenschaftler zunächst vom Körper als Bild und Universalmetapher für die verschiedensten Wissensbereiche aus, um anschließend auf den Körper als „Werkstatt des Denkens“und „Raum sinnlicher Erfahrung“ zu kommen. Das Philosophieren mit, an und über den Körper wird in Wyss’ Einführung an Helmuth Plessners Unterscheidung zwischen ‚Körper-Haben‘ und ‚Leib-Sein‘ angebunden und auf eine grundsätzliche Infragestellung des abstrakten Dualismus von Körper und Geist hin zugespitzt.

Von Bedeutung ist dabei insbesondere die Polarität von Materie und Gedächtnis, die in der Kunst zu einer Verbindung gelangt: „Das Gedächtnis ist die Summe der Vergangenheiten aller körperlich erlebten Gegenwart, an dem mein Körper als Resonanzraum teilhat. Zu den Speichermedien des Gedächtnisses gehört die Kunst.“ Wyss teilt die folgenden medientheoretischen Auseinandersetzungen mit diesem Wechselspiel von Kunst, Körper und Gedächtnis in drei thesenartige Aspekte: 1) Bilder übertragen den materiellen, vergänglichen Leib in den unsterblichen Körper; 2) Über Bilder vom Körper beherrschen wir den Leib; 3) Im Kunstkörper wird die Körpersprache zur Schrift.

Ein Beispiel für die Übertragung des vergänglichen Leibes in den unsterblichen Körper mit den Mitteln der Kunst sieht Elisabeth Bronfen in verschiedenen künstlerischen Darstellungen der Nacht begründet, Darstellungen die sie – im Anschluss an Walter Benjamin – als Umweg begreift. Dabei unterscheidet sie zwischen der nächtlichen Szenerie zur Darstellung devianter Geisteszustände und der Nacht als allegorische Gestalt. In der Personifikation der Nacht als Nyx wird, so führt Bronfen aus, wird der weibliche Körper zum Sinnbild des Unergründbaren, und damit zum bedeutungsvollen Zeichen. Es ist die (geschlechtsspezifisch markierte) Differenz zwischen Licht und Schatten, Klarheit und Dunkelheit, die über den Umweg der Darstellung so etwas wie Erkenntnis überhaupt hervorbringt. Bronfen untersucht im Folgenden eine Reihe von Skulpturen, Gemälden, Szenen und literarischen Texten, in denen die Frage nach einem Wissen über den Körper im immer wieder inszenierten Spannungsfeld von Finsternis und Licht jeweils neu verhandelt wird. Die Kinder der Nyx, in denen die unergründliche Verbindung von Schlaf und Tod zum Ausdruck kommt, werden in der allegorischen Darstellung des Frauenkörpers als Schwellenfigur fassbar gemacht.

Dem Zusammenhang von Körper-Bildern und dem Leib nähert sich Joseph Vogl in seinem Beitrag über die „Politische Ungestalt“ der Masse. Vor dem Hintergrund des traditionellen Tropus des Körpers zur Veranschaulichung der Funktionsweise des politischen Wesens geht er der Frage nach, wie im psychiatrischen Denken des 19. Jahrhundert das Phänomen der ‚Masse‘ zusehends mit Vorstellungen von Irrationalität und unkontrollierbarer Triebdynamik konnotiert wurde. Was bei einem einzelnen Menschen ein individueller pathogener Zug sein kann, wird übertragen auf die Masse zu einer gefährlichen manischen oder epileptischen Struktur, die das System in ihren Grundfesten zu erschüttern droht: „[…] der Massendiskurs hat sich nicht nur in einer großen Nähe zu Psychiatrie und Kriminologie eingerichtet, er ordnet sich vielmehr um eine besondere Kippfigur an, in der singuläres und massenhaftes Verhalten fortwährend die Plätze vertauschen.“ Zu beachten ist dabei insbesondere, dass die Pathologie des Individuums und der Masse sich wie in einem Vexierspiegel zueinander verhalten, wobei die Metapher des Körpers die semantische Übertragbarkeit zwischen beiden Bereichen gewährleistet.

Viktoria Schmidt-Linsenhoffs Aufsatz über „Koloniale Körper – Postkoloniale Blicke“ befasst sich schließlich mit dem Verhältnis von Kunstkörper und Verschriftung. Ausgehend von der kunstgeschichtlichen Tradition des ‚Mohrenpagen‘, Motiv das besonders prominent bei Tizian und Thomas Gainsborough zu finden ist und in zeitgenössischer Kunst im Kontext der critical whiteness-studies in kritischer Absicht zitiert wird, führt sie aus, dass der Kunstfigur des ‚Mohren‘ zwar der Subjektstatus verweigert wird, dass dieser Prozess der Entsubjektivierung jedoch in einigen Bildern mitreflektiert und die konstituierende Verwendung ethnischer Differenz darin markiert wird. Am Beispiel der „Yarmouth Collection“ (1676/78) sowie anhand einiger Gemälde-Darstellungen einer angedeuteten und doch unmöglichen Nähe zwischen schöner Dame und Sklave macht Schmidt-Linsenhoff deshalb deutlich, dass der barocke Bildnistyp „mit Mohrenpage“ die Wechselseitigkeit kolonialer Identitätsbildung verhandelt: „Das Bildformular führt mit der zwanghaften Wiederholung von einseitigen Berührungen und verfehlten Blickkontakten eine zwar verletzend gescheiterte Beziehung vor – aber immerhin überhaupt eine Beziehung, die als Bildstrukturen den wechselseitigen Abhängigkeiten und der kulturellen Handlungsfähigkeit der Kolonisierten gerecht wird.“

Der Kontext der Publikation bestimmt auf mehrfache Weise den Schreibduktus der Beiträge mit, gibt es doch zunächst lobende Worte auf das wechselseitig fruchtbare Verhältnis von Kunst und Wirtschaft im Sinne der Standortförderung zu lesen. Die Mehrheit der Beiträge geht in ihren Argumentationen eher assoziativ als geradlinig vor, führt ihre Gedanken im Sinne einer Ekphrasis anhand der Konturen der Kunstwerke aus, ohne dabei immer in theoretische Höhen vorzudringen. Daraus ergibt sich auch die lose Aneinanderreihung der einzelnen Aufsätze, die nicht in eine übergreifende Diskussion zu überführen sind und die in den Titel genommenen Grenzen untereinander kaum überschreiten. Gleichwohl enthalten einige der Beiträge für ihr jeweiliges (wissenschaftliches) Feld sehr anregende Überlegungen über die mediale Perzeption und Konstruktion des Körpers und machen schließlich doch deutlich, dass sich jede einzelne medienspezifische Perspektive dem Körper als Objekt zwar widmen kann, jedoch gleichermaßen auf den Körper als Medium der subjektiv-perspektivischen Annäherung angewiesen bleibt.

Titelbild

Beat Wyss / Markus Buschhaus (Hg.): Den Körper im Blick.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2008.
150 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770546695

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