Vom Blutsaugen und anderen Bräuchen

Sylvia Mieszkowski und Christine Vogt-William geben einen Sammelband über verstörende Körper heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Körper sind in. Zumindest in den Kulturwissenschaften, und zwar erst recht dann, wenn sie verstören. Das wissen auch Sylvia Mieszkowski und Christine Vogt-William, die in der Reihe „Frankfurter kulturwissenschaftlicher Beiträge“ jüngst einen Band mit dem Titel „Disturbing Bodies“ herausgegeben haben. Wie Mieszkowski in den einleitenden Bemerkungen darlegt, gehen die meisten Aufsätze auf eine Vortragsreihe zurück, die vom Winter 2005/06 an während dreier Semester an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt organisiert wurde.

Der vorliegende Band reiht sich in die „reiche Tradition geisteswissenschaftlicher Untersuchungen“ ein, die den Körper als „wichtigen Teil des Subjekts“, aber auch „im Spannungsfeld zwischen kulturellem Konstrukt und materieller Substanz“ nachgehen. Ein „spezielle[s] Interesse“ der in den Bereichen Literatur- und Kulturwissenschaft, Kunsttheorie, Soziologie, Philosophie und Photographie tätigen Beitragenden richte sich dabei auf die „Formen der destruktiven und/oder produktiven Störung/Verstörung von Körpern und durch Körper“, die einen „positiven Effekt, eine Dynamisierung eine Pluralisierung, ein Aufbrechen von Hegemonien, ein Infragestellen von scheinbar natürlich Gegebenem und durch Tradition zur Norm versteinertem“ bewirken. Seien diese Körper nun „lebendig oder Zeichenträger oder beides“.

Ein Vorhaben, das zu manch innovativer Erkenntnis führen kann. Wenn Mieszkowski allerdings erklärt, dass neuerdings eine Entwicklung stattfinde, welche die „queer-theoretische Heteronormativitätskritik mit dem politischen Aktivismus der disability studies“ verbindet und unter dem „provokativen Namen crip theory“ auftritt, so ist zumindest die subversive Aneignung des ursprünglich als diskriminierend gedachten Begriffs crip/Krüppel nicht eben neu. Schon in den 1980er-Jahren gründeten sich hierzulande „Krüppelinitiativen“.

Die Beiträge sind in fünf Kategorien unterteilt, die Titel wie „Fragmentierte Körper“, „Queere Körper“ oder „Körperbilder“ tragen. Isabel Karremann und Carolin Roder beleuchten etwa den „Körper als Schnittstelle zwischen kultureller Einschreibung und verstörendem Eigensinn“, während Mica Wirtz sich mit „Frauenbodybuilding“ befasst. Die Fotokünstlerin Merit Esther Engelke stellt in einer „Galerie“ hingegen zweiundzwanzig ihrer Werke vor, die sie mit kurzen Kommentaren versehen hat.

Susanne Scholz fördert in einer erhellenden Untersuchung zutage, dass die „Gabentauschrelation“ des Blutes in Vampir-Texten als ein „Verfahren zur gesellschaftlichen Stabilisierung“ gelesen werden kann, „die zum einen nicht vormodern, sondern einer kapitalistischen Ökonomie verpflichtet [ist] und die zum anderen zu Lasten der Subjektposition von Frauen geh[t].“

Weniger Zustimmung dürfte hingegen Elisabeth Bekers Beitrag über „Weibliche Genitalbeschneidung in Afrikanischen Literaturen“ erfahren, dem es – wie Mieszkowski zu recht bemerkt – nicht etwa darum geht, „den Brauch politisch zu bekämpfen.“ Vielmehr wirft Beker der von jüngeren afrikanischen LiteratInnen geübten Kritik an der Verstümmelung weiblicher Genitalen vor, „die westlichen sensationalistischen und/oder stereotypen Darstellungen von weiblicher Genitalbeschneidung, insbesondere die der Beschneiderinnen zu bestätigen“.

Andreas Kraß vergleicht die Darstellungen queeren Begehrens in Hans-Christian Andersens Märchen „Die Kleine Meerjungfrau“ und der Disney-Adaption „The Little Mermaid“. Zuvor hat Mieszkowski darauf hingewiesen, dass Kraß schon früher vorschlug, den angloamerikanischen Begriff queer theory mit kritische Heteronormativitätsforschung zu übersetzen. Das überzeugt nicht, bleibt Kraß’ Vorschlag doch, anders als der ursprüngliche Begriff, selbst – wenn auch kritisch – auf Heteronormativität bezogen, ohne queere Sexualitäten, Lebensentwürfe und -realitäten als solche in den Blick zu bekommen oder sie untereinander zu vergleichen, ohne sie in Bezug zu Heteronormativität zu setzen. Ein Einwand, dem sich wiederum entgegenhalten ließe, dass es queere Sexualitäten als solche gar nicht gibt, da sie immer schon in einer heteronormativen (Um-)Welt existierten. Als regulative Idee aber könnte man dies sehr wohl ins Auge fassen. Und dies sollte sich auch in der Bezeichnung des Forschungsgebietes ausdrücken.

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Christine Vogt-William / Sylvia Mieszkowski (Hg.): Disturbing Bodies.
trafo verlag, Berlin 2008.
276 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783896267221

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