„Mainz 05“ oder „Du bist Teutschland“

Zu Robert Löhrs vergnüglichem Abenteuerroman „Das Erlkönig-Manöver“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Robert Löhr traut sich was und begibt sich mit seinen Figuren Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Alexander von Humboldt, Bettina Brentano, Achim von Arnim und Heinrich von Kleist als Agenten in einem Mantel- und Degenspektakel auf eine enorme Fallhöhe. Doch er hält, um es gleich vorweg zu sagen, mit seinem vergnüglich zu lesenden historisierenden Abenteuerroman „Das Erlkönig-Manöver“, in welchem die Klassiker auf einzigartige Weise zugunsten des Landes politisch agieren, den Spannungsbogen bis zum Schluss. Der nun auch als Taschenbuch – und seit einiger Zeit als Hörbuch, gesprochen von Helge Heynold, Regisseur und Redakteur beim Hessischen Rundfunk – vorliegende Roman überzeugt mit Witz, unterhaltender Komik und skurrilen Kalauern.

Im Auftrag seines Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach und einer geheimen Abordnung dreier ausländischer Gäste soll Goethe im Jahr 1805 „Seine Majestät Ludwig XVII., den Dauphin von Viennois Louis-Charles, Herzog der Normandie, Sohn von Ludwig XVI. und Marie Antoinette und legitimer Nachfolger auf dem französischen Königsthron“, retten. Der Dauphin sei nämlich nicht als Knabe einer Krankheit zum Opfer gefallen, sondern nach Amerika entkommen, jetzt aber nach der Überfahrt von Boston nach Hamburg von Bonapartes Polizeiminister gefangengenommen worden. Er sei auf dem Weg nach Mainz, „der ersten Stadt auf französischem Territorium“, wo er identifiziert und „noch vor Ort und insgeheim hingerichtet“ werden solle.

Da Goethe sich seit der „Belagerung von Mainz“ dort auskenne, solle er mit „einer Truppe von guten Männern“ Charles retten: „Wir wollen, dass er den französischen Königsthron besteigt, die Jakobiner, die Bonapartisten und die Royalisten aussöhnt und das Blutvergießen in Europa beendet. Ganz abgesehen davon, dass das leidige Kapitel der Französischen Revolution damit endgültig zugeschlagen wäre und der Krankheitsherd Frankreich aufhört, gesunde Staaten mit seiner unheilbringenden Revolutionsepidemie zu infizieren.“

Obwohl Goethe noch gezeichnet ist von einer gemeinsam mit Schiller bestandenen wüsten Wirtshausprügelei vom Vorabend, als er versucht hatte, „das Zwischenkieferbein am lebendigen Objekt nachzuweisen“, willigt er ein und begibt sich zu seinem Kollegen: „Schiller lächelte. ‚Der Weltbürger Goethe mit einem Mal so heilig-römisch, so deutsch-national? Das sind ganz ungewohnte Töne aus Ihrem Munde.‘ ‚Wohl, Sie kennen mich besser: Mir ist es im Grunde gleich, ob Mayence hessisch ist oder preußisch oder pfälzisch oder eben französisch, Mainz bleibt Mainz – aber ich fürchte wie der Herzog um unser kleines Weimar, das bleiben soll, was es ist.‘“

Zusammen mit Alexander von Humboldt, der Schiller allerdings „suspekt“ ist, begeben sie sich in Richtung Frankfurt, um Bettine abzuholen, die sie jedoch „nur um den Freiherrn von Arnim bekommen“. Über den Hunsrück geht es schließlich nach Mainz. Es beginnt eine wilde Verfolgungsjagd mit und gegen Bonapartisten und Royalisten quer durch Deutschland. Zur versprengten Gruppe stößt Heinrich von Kleist dazu, der sich bereits zu Beginn des Romans dem beinahe wie ‚Gevatter Adam‘ malträtierten Goethe „gewissermaßen auf den Knien meines Herzens“ nähert, um ihm – nein, nicht die „Penthesilea“ – sondern das Manuskript seines „Zerbrochnen Krugs“ anzudienen. Schließlich landet die Truppe im Kyffhäuser. Es gibt unzählige Verwicklungen und Komplikationen, die im einzelnen zu schildern hier zu weit führen würde.

Nicht die zum Teil abstrusen Verfolgungs- und Rettungsjagden, nicht die – im doppelten Wortsinne – abenteuerliche Konstruktion des Romans machen seinen Reiz aus, sondern die stimmige Zitat- und Collagetechnik, die sich jedoch selbstironisch stets als solche zu erkennen gibt. So spricht Goethe zu Beginn des „Manövers“ augenzwinkernd von einer „Räuberpistole, wie ich sie in meinen Werken nicht wilder fabulieren könnte.“

Löhr lässt also den Leser gleichsam zusehen, wir er seinen Roman konstruiert, wenn seine Figuren Szenen und Zitate klassischer Werke zitieren und nachspielen. Zugleich werden diese immer wieder ironisch gebrochen, wenn heftig gekalauert und zudem ein Bezug zur Gegenwart – beispielsweise zu „Mainz 05“ oder zur Werbekampagne vor der Fußball-WM: „Auch du bist Deutschland“ – alludiert wird. Kleist etwa erscheint im Kyffhäuser wie das alter ego des Prinzen von Homburg: „‚He!‘, rief Bettine. ‚ Heinrich, du sinnverwirrter Träumer! Her zu uns!‘ Kleist erwachte aus seiner Zertreutheit, verließ den Platz unter der Eiche und gesellte sich zu den anderen. ‚Schon diesen ganzen Abend scheinen Sie nur dem Körper nach gegenwärtig‘, sagte Goethe. ‚Was haben Sie dort?‘ ‚Einen Siegeskranz von Eichenlaub für das bravouröse Erlegen der Bestie‘, erklärte Kleist und setzte Bettine den Kranz aufs Haupt. ‚Zum Lohn ein deutscher Lorbeerkranz!‘ rief Schiller aus. Kleist betrachtete Bettines Kopfputz wohlgemut. ‚Sieht sie nicht aus wie die leibhaftige Germania?‘, fragte er. ‚Du bist Teutschland!‘“

Die Gags, die teilweise haarsträubenden deus ex machina-Situationen und der wilde Szenenwechsel könnten auch ermüden. Doch Löhr gelingt es über den gesamten Roman, das Niveau zu halten, indem er die Charaktere seiner fiktiven Figuren aus Szenen, Sequenzen und Zitaten der Werke und Briefe realer Klassiker destilliert und zugleich die Mach-Art, das Collagenhafte seines Romans, ironisch-augenzwinkernd thematisiert. Insofern könnte man als Fazit dieses Romans auch ein Zitat Kleists nennen. Dieser schrieb im Herbst 1807, nach Beendigung seiner „Penthesilea“, der Kusine Marie von Kleist unter anderem: „Erschrecken Sie nicht, es lässt sich lesen.“

Titelbild

Robert Löhr: Das Erlkönig-Manöver. Historischer Roman.
Piper Verlag, München 2008.
362 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783492049290

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