Aus dem Leben gegriffen

Die Erzählungen in „Der Morgen nach dem großen Feuer“ zeigen, dass Maeve Brennan wie kaum eine andere das Genre der Kurzgeschichte beherrscht

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Nun war uns klar, was den Nonnen schon immer klar gewesen war, denn wie sie begriffen wir, daß Gott, hätte Er auf unserer Seite gestanden, uns gewiß genügend Stimme verliehen hätte, um sein Lob zu singen.“ Mit diesen Worten schließt die neue Sammlung von Erzählungen aus der Feder von Maeve Brennan. „Der Morgen nach dem großen Feuer“ lautet der Titel, unter dem ein dutzend Kurzgeschichten der irischstämmigen US-Autorin versammelt sind. Dieser letzte Satz spricht ebenso für seine Verfasserin wie für den Abschluss dieser Erzählungssammlung. Denn Brennan selbst war die das Loblied singende ‚Göttin‘ ihres Heimatvolkes, der einfachen Iren, deren Würde und Schicksal sie, obgleich sie seit ihrem siebzehnten Lebensjahr in Amerika lebte, immer mit sich trug.

Das raue irische Leben und zuweilen auch das nackte Überleben in einer tief katholischen Gesellschaft prägen die Erzählungen und Essays Brennans, die sie ab 1950 für den „New Yorker“ geschrieben hat. Zuvor arbeitete sie für „Harper’s Bazaar“. Ihre Geschichten sind Ausschnitte und Lebensberichte einfacher Menschen von nebenan – um nicht Iren zu sagen, die Brennan wohl als Stereotyp des normalen Arbeiters in ihrer abgehobenen Zweitheimat begreift. Detailliert und ohne Umschweife beschreibt Brennan in ihren Texten akribisch das Schicksal und die Seelenzustände ihrer Protagonisten, um diesen Lebensentwürfen unterhalb der medialen Sensationslinie die Wertschätzung zukommen zu lassen, die ihnen gebührt. Nahezu physische Wirkung zeigen ihre Texte, die unter die Haut gehen. Sie schreckt dabei auch nicht davor zurück, die Abgründe der irischen Gesellschaft offen zu legen und zu kritisieren.

Ihren Erfolg verdankte Brennan auch der Tatsache, dass ihr Schreiben in eine Zeit fiel, in der die journalistische Reportageliteratur in den Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt erreicht hatte. Eine Literatur, die in Truman Capotes Kriminalreportage „Kaltblütig“ noch heute ihr Gipfelkreuz findet. Die Autorin gehört zur gleichen Schreibergeneration wie Capote und war neben dem exzentrisch-melancholischen Schriftstellerjournalisten eine der meist gelesenen Magazinautorinnen in den 50er- und 60er-Jahren. Die Brennan-Expertin Angela Bourke spekulierte in ihrer bisher noch nicht auf deutsch erschienenen Brennan-Biografie, dass die Journalistin des „New Yorker“ Capote sogar zu der Figur der Holly Golightly in „Frühstück bei Tiffany“ inspiriert haben soll.

Selbst wenn dem nicht so sein sollte, haben Brennan und Capote einige Berührungspunkte. Sie teilen sich nicht nur das Schicksal des Vergessens, sondern auch das der späten Wiederentdeckung. In den 80er- und 90er-Jahren interessierte sich kaum noch jemand für die Arbeiten der beiden Reporter. Erst Ende der neunziger Jahre wurden ihre Arbeiten in den USA wieder gelesen. Schließlich wurden dann auch deutsche Verlage auf deren Werke aufmerksam. Während Capotes Gesamtwerk für den deutschsprachigen Markt vom Schweizer Verlag Kein & Aber wiederentdeckt und mit viel Erfolg neu aufgelegt wurde, hatte sich dem Werk Brennans der renommierte Steidl-Verlag angenommen. In einer Zeit, in der die Büchertische mit sprachlich grauenhafter „Mängelexemplar“-Literatur von „Feuchtgebiet[e]“ bis „Bitterfotze“ überschwemmt werden und sich immer mehr Leser vom „Jeder-kann-ein-Buch-schreiben“-Trend abwenden, war dies eine kluge Entscheidung. Denn Steidl surft mit Maeve Brennan auf der neuen Welle der amerikanischen Klassiker ganz oben mit.

Die nun vorliegenden Erzählungen präsentieren die Arbeiten einer großen Erzählerin, vorwiegend aus den 1950er-Jahren. Den Auftakt gibt die erste, im „New Yorker“ gedruckte Kurzgeschichte Brennans. „Plagegeist“ handelt von der Toilettenfrau Mary Ramsay, die seit 37 Jahren die Feuchträume eines anonymen Hotels pflegt. Diese sind inzwischen „ihre Bühne und ihr Reich“ geworden, in denen sie – „rauhe Stimme, rauhe Hände, rauhe Manieren in jeder Hinsicht“ – den Ton angibt. Sie könnte sich glücklich schätzen, doch als eine neue Direktoriumsassistentin das Hotel auf Vordermann bringen will, beginnt ein erbarmungsloser ‚Zickenkrieg‘. Mrs. Williams treibt die Toilettenfrau mit subtilen Mitteln zur Weißglut, woraufhin Ramsay die auf ihr kleines Reich beschränkte Macht zu Kopf steigt – sie bringt sich schließlich geradezu dümmlich um ihren eigenen Job. Ein Allerweltsschicksal, möchte man meinen, zumal in der heutigen Zeit der Kurzarbeit. Doch die Art und Weise, wie Brennan die innere Dynamik der Auseinandersetzung beschreibt, wie sie den Leser mitnimmt in die gedanklichen Abgründe der beiden Frauen, macht diese Geschichte zu großer Literatur.

Und schon in dieser ersten Erzählung wird ein Grundprinzip der Literatur Brennans deutlich. All ihre Erzählungen ranken sich um lang gepflegte Gewohnheiten, Rituale und Sitten und präsentieren Biografien auf der langweiligen, aber zugleich sicheren Einbahnstraße eines unaufgeregten Lebens. Stets liegt den Geschichten ein beständiger Strom zugrunde, der das gleichförmige Leben zur Daseinsregel macht. Diese stromlinienförmige Existenz der Protagonisten wird jedoch immer wieder durch ein plötzliches eintretendes Ereignis aufgelöst und umgeworfen. Rund um diese existenziellen Eruptionen spinnen sich dann die Erzählungen, die den Bogen zwischen Vorher und Nachher möglichst kurz spannen und eine Lösung des inneren Konflikts im Nebulösen lassen. In diesem Sinn sind Brennans Texte Konzentrate des Lebens im Umbruch.

Ergebnis dieses Prinzips sind Geschichten wie die der Margaret Casey („Die Braut“), die in einem endorphinüberschwemmten Moment einer Heirat zugestimmt hat, von der sie kurz vor der Trauung nicht mehr überzeugt ist. Wie soll sie sich verhalten, wie dem Verlobten sagen, dass sie die Idee einer Hochzeit nicht mehr nachvollziehen kann? Brennan erzählt hier vom Schwanken einer Frau zwischen der Flucht vor der Einlösung des vorschnell gegebenen Versprechens und ihrem rigiden Pflichtbewusstsein. Margaret Casey beschließt zu bleiben, „aus Angst, es könne ihnen beiden Unglück bringen“ – als wäre eine unglückliche Ehe das kleinere Übel.

Oder die Geschichte des George Briscoe („Die Bohemiens“), der erst spät seine Frau kennen lernt, mit ihr dann aber umso glücklicher eine Familie gründet. Ihr Sohn John, der immer stolz auf seine Eltern war, „denn sie waren anders als die übrigen Eltern in der Häuserzeile“, nimmt die kultivierte Lebensweise der Eltern schnell an. Bald nimmt er sogar an den Literaturzirkeln der Eltern teil. Es entsteht eine perfekte Familienidylle, ungetrübt von jedem Leid. Doch dann geht es Schlag auf Schlag. Am Ende muss John feststellen, „wie schwer es doch für einen Menschen sei, allein in der Welt zurückzubleiben, wenn Mutter und Vater nicht mehr sind“. Diese bittere Erkenntnis trifft den Nachkommen der Bohemiens, ohne dass es ihm in seiner Situation noch nützlich sein könnte.

Brennan verarbeitete in ihren Geschichten Autobiografisches und Übertragenes und spinnt daraus den Stoff, aus dem das Leben besteht. Ihre Lebensberichte sind anrührend aufgrund des direkten Stils ihrer Sprache. Erst der nüchterne Tonfall Brennans, den Hans-Christian Oeser perfekt ins Deutsche übertragen hat und dafür völlig zu Recht für den Leipziger Übersetzungsbuchpreis nominiert wurde (um schließlich der wahrhaft kongenialen Saul Bellow-Übersetzung von Eike Schönfeld zu unterliegen), bricht die innere Dramatik der Erzählungen in ihrer Tiefe auf und lässt den Leser angesichts dieser Schicksalsschläge rat- und fassungslos zurück. Irritierend die Verwendung der alten Rechtschreibung, die allein aufgrund der Beibehaltung des Werkcharakters ihre Rechtfertigung findet.

„Der Morgen nach dem großen Feuer“ versammelt faszinierende Kurzgeschichten, die in einem trockenen Duktus erzählen, wie uns das Leben manchmal in der Hand hat und hin- und herwirft.

Titelbild

Maeve Brennan: Der Morgen nach dem großen Feuer. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Steidl Verlag, Göttingen 2009.
156 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783865218803

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