Tango!

Klaus Merz’ Novelle „Der Argentinier“ zeugt von der großen Kunst der kleinen Prosa

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer ein Buch von Klaus Merz in die Hand nimmt, muss nicht schwer tragen. Sie sind schmal, die Bände, die er schreibt, doch sie weisen eine Dichte auf, die seine ganz eigene Schreibweise auszeichnet. Das gilt auch für Merz’ zuletzt veröffentlichte Novelle „Der Argentinier“, erschienen im Frühjahr 2009. Die ersten Sätze lauten: „Im Lauf seiner schlimmsten Nacht auf hoher See biss Großvater ins Bild seiner Liebsten, die er in Europa zurückgelassen hatte, und erfuhr Linderung dadurch. Sie hatte am Tag seiner Abreise versteinert am Gleis gestanden, als er im Frühzug an ihrem Elternhaus vorbeigedonnert war und sein Taschentuch im Wind hatte flattern lassen.“

Dieser Mann, dieser Großvater, überquerte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg den Atlantik nach Buenos Aires, die Fremde, das Abenteuer reizten ihn, er wollte das Neue entdecken, weg vom zerstörten Europa. Zu Hause lässt er Amelie zurück, seine Jugendliebe, mit der er sich sehr verbunden fühlt, was trotzdem nicht ausreicht, ihn von der großen Reise, von der er nicht zurückzukehren gedenkt, abzuhalten. Doch er bleibt nicht lange ab. Hartnäckiger Heuschnupfen vergällt ihm das Leben als Gaucho, er gibt auf und fährt in die Stadt, bevor er sich auf den Heimweg macht, dorthin zurück, von wo er vor noch nicht langer Zeit hergekommen ist. In der Stadt entdeckt er noch den Tango und das Liebesglück. Aber das ist es auch nicht, was er gesucht, sich gewünscht hat.

So kehrt er zwei Jahre nach seinem Aufbruch zurück in seine Heimat und zu Amelie, die nicht eigentlich gewartet hat, die aber immer noch da ist. Ihr Glück, das sie nun gemeinsam (er)leben, wird nicht gestört von seinem kleinen großen Geheimnis, das erst nach seinem Tod bekannt wird. Für die Leute im Dorf, für seine Familie ist und bleibt er der Lehrer, der einst in Argentinien war.

Erzählt wird diese Geschichte des „Argentiniers“, wie Johann Zeltner nach seiner Rückkehr halb scherzhaft, halb bewundernd von seiner Enkelin genannt wird, und zwar erzählt sie sie nach dem Tod des Großvaters einem Schulkameraden beim Klassentreffen – und eigentlich gibt dieser Ich-Erzähler alles wieder. „Ich bat Lena, noch mehr von ihrem Großvater zu erzählen.“ Die beiden setzen sich ab von den anderen Kolleginnen und Kollegen von früher – und es bleibt offen, ob sich auch hier wieder eine dieser feinen Geschichten anbahnt, wie sie sie zwischen Johann und Amelie, zwischen Johann und Mercedes gegeben hat. Die letzten Sätze klingen wie Musik, die so vieles öffnet und offen lässt: „Nicht jeden Tag sterbe einem ein Mensch weg, also eine ganze Welt, hielt ich ihr leise entgegen. Da packte sie mich kurzerhand am Ärmel und führte mich aufs Parkett, wo sich schon einige Paare drehten: ‚Tango!‘, rief sie in den Saal hinein und nahm mich in Pflicht.“

Titelbild

Klaus Merz: Der Argentinier. Novelle.
Haymon Verlag, Wien 2009.
100 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783852185804

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