Orientierung im Dschungel der Theaterwissenschaft

Christopher Balmes Standardwerk „Einführung in die Theaterwissenschaft“ ist in neuer Auflage erschienen

Von Torsten MergenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Mergen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits die ersten Zeilen des Buches von Christopher Balme verdeutlichen, warum sich das vorzustellende Werk seit 1999 im deutschsprachigen Raum als Standardwerk etabliert und sogar eine polnische sowie arabische Übersetzung erfahren hat. Mit einem ironischen Unterton konstatiert der Münchner Theaterwissenschaftlicher über seine Fachdisziplin: „Die Theaterwissenschaft habe zwei Feinde, soll ein Germanist einmal gesagt haben: Das Theater und die Wissenschaft.“

Diesem Verdikt setzt Balme eine übersichtliche Gliederung sowie eine konzise Darstellungsweise entgegen. Nach einer knappen „Einführung und Fachgeschichte“ beschreibt er systematisch die zentralen Arbeitsfelder der noch recht jungen Theaterwissenschaft, die sich seit den 1920er-Jahren allmählich etabliert hat: Drei große Abschnitte genügen, um über die „Grundlagen der Theaterwissenschaft“, „Theater als Kommunikationssystem“ sowie „Theaterwissenschaft als interdisziplinäre Wissenschaft“ zu referieren. Im Einzelnen finden sich klar strukturierte und verständlich geschriebene, zum Teil aber auch kompakte und fachterminologisch angereicherte Abschnitte über die Theatergeschichte und -theorie, über die Dramenanalyse und diverse Inszenierungsverfahren, über die Möglichkeiten der Bühnengestaltung, der Schauspielkunst und der Rezeptionsforschung.

Der Abschnitt Theaterwissenschaft aus interdisziplinärer Sicht beleuchtet die Beziehungen zur Medien- und Kunstwissenschaft sowie zur Ethnologie. Hinsichtlich der Medienwissenschaft konstatiert Balme zurecht einen Paradigmenwechsel, da andere Medien wie Film, Radio, Fernsehen und Internet zunehmend das Theater als Leitmedium abgelöst hätten. Mit weitreichenden Folgen, denn bis dato sei es der Theaterwissenschaft nicht hinreichend gelungen, ihr Verhältnis zu den „neuen“ Medien zu bestimmen. Mit anderen Worten: die Fachdisziplin steht „vor der Herausforderung, die wechselseitigen Austauschbeziehungen im Dialog zu erforschen“. Analoge Entwicklungsmöglichkeiten entdeckt der Verfasser gleichfalls im Umgang mit der das Visuelle fokussierenden Kunstwissenschaft. Teilgebiete wie Theaterarchitektur, Szenografie oder Theaterikonografie werden demgemäß als ausbaubedürftige Forschungsansätze benannt, ergänzt um die Performance-Kunst. Auch ethnologische Innovationen greift Balme auf, wenn er postuliert: „Im Zuge von Annäherung und Austausch vollzieht die Theaterwissenschaft […] eine wesentliche Öffnung: von rein euro-amerikanischen, meist textbasierten Aufführungen und Inszenierungen hin zu heterogenen kulturellen performativen Phänomenen und ihrer Geschichte.“

An dieser Stelle muss allerdings offen bleiben, warum der Autor nicht auch interdisziplinäre Ansätze und Disziplinen wie die „Theaterpädagogik“ und das „Laientheater“ als Tangenten der Theaterwissenschaft anführt. Inzwischen finden sich an jedem größeren Schauspielhaus, das etwas auf sich hält und auf nachwachsende Zuschauer setzt, einschlägige Fachkräfte, die sowohl theoretischen Konzeptionen folgen als auch praktische Modelle umsetzen, die für den Fachdiskurs durchaus fruchtbringend sein können. Pikanterweise kommt Balmes Einführung im abschließenden Namen- und Sachregister gänzlich ohne jeden Hinweis auf die beiden Begriffe aus.

Der sonstige, umfangreiche Anhang ist mit Blick auf die Studierenden konzipiert und liefert viele praktische Hilfestellungen: Beispielsweise listet er die theaterwissenschaftlichen Institute in Deutschland, Österreich und der Schweiz samt Homepages und E-Mail-Adressen der Lehrstuhlinhaber auf, nennt einschlägige Nachschlagewerke und Zeitschriften, außerdem eröffnet er vielfältige Lektüreangebote durch ein voluminöses Literaturverzeichnis.

Insgesamt wird der Band dem Anspruch des Erich Schmidt Verlages, Basistexte als Einführungen für Studentinnen und Studenten des Grundstudiums vorzulegen, gerecht. Wer fundierte Orientierung und ein fachkompetentes wissenschaftliches Vokabular benötigt, kombiniert mit einem Überblick über den aktuellen Forschungsstand, der findet in Balmes 214 Seiten umfassenden Standardwerk das nötige Sachwissen.

Titelbild

Christopher Balme: Einführung in die Theaterwissenschaft.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008.
214 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783503098248

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