Philosophie und Lebenskunst

Ferdinand Fellmann bringt zusammen, was zusammen gehört

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Philosophie und Lebenskunst gehören aus zwei Gründen zusammen. Erstens: Philosophen sind, zumal heute, allesamt Lebenskünstler. Lebenskunst ist angesichts der oftmals prekären beruflichen Situation von Philosophen quasi eine autoapplikative Metadisziplin der Philosophie. Zweitens: Wir alle wollen glücklich sein. Das Streben nach Glück kann als eine anthropologische Konstante betrachtet werden. Lebenskunst behandelt das Glück, wie es sich als „gelungenes Leben“ manifestiert.

Wer – wie die Philosophie – über den Menschen nachdenkt, kommt am Glücksbegriff nicht vorbei. Dennoch hat es die Philosophie der Lebenskunst in einem akademischen Umfeld, das stark von der Aufklärung und insbesondere von Kant geprägt ist, sehr schwer, zur Anerkennung zu kommen. „Lebenskunst“, das suggeriert eine Nähe zu Religion, Esoterik und Lifestyle, in denen nach der Möglichkeit gesucht wird, richtig, gut und schön zu leben. Das passt nicht zur harten Disziplin des strukturierten Fragens nach den Bedingungen der Möglichkeit dafür, mit Grund behaupten zu können, etwas sei richtig, gut und schön. Und obgleich Glück – im Diskurs als „gelungenes Leben“ verschlüsselt – von jeher ein Begriff der Philosophie ist, erscheint der Glücksbegriff hinsichtlich seiner Theoriefähigkeit umstritten, weil er einerseits zu vage und andererseits zu anspruchsvoll erscheint.

Von Kant aus der Moraltheorie verdrängt, fristet das Glück der antiken Tugendmoralität seither ein Schattendasein, worüber auch gelegentliche aristotelisch inspirierte Rehabilitierungsversuche im ethischen Begründungsdiskurs nicht hinwegtäuschen können. Vor diesem Hintergrund eine „Philosophie der Lebenskunst“ zu entwickeln verlangt zum einen die methodische und inhaltliche Einbindung in die akademische Disziplin und damit eine Nähe zur Lebens- bzw. Existenzphilosophie, um nicht zur bloßen Ratgeberliteratur zu verflachen, zum anderen aber auch eine ganzheitliche Praxisorientierung, die anthropologische, kulturelle, religiöse, soziale und psychologische Aspekte des Mensch-Seins zur philosophisch fundierten Lebenshilfe aufrundet.

In seiner Einführung zur „Philosophie der Lebenskunst“ macht sich der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Ferdinand Fellmann, zuletzt Inhaber eines Lehrstuhls an der Technischen Universität Chemnitz, diesen hohen Anspruch zu eigen. Fellmann bemüht sich, die philosophische Lebenskunst als eine „Reflexionswissenschaft“ zu entfalten, deren Anliegen es sei, durch die Zerstörungen „naiver Glückserwartungen“ eine „reflektierte Glückserfahrung“ zu ermöglichen, die „weniger enttäuschungsanfällig ist“ und somit im Ergebnis „theoretische Einsicht und praktischen Lebensvollzug zu einem stabilen Selbstwertgefühl zu verbinden“.

Sein analytischer Ansatz ist dabei ein systematischer, der sich in drei Untersuchungsfragen (1. Was ist Philosophie der Lebenskunst? 2. Wozu dient sie? 3. Wie geht man wissenschaftlich mit Lebenskunsttexten um?) ebenso zeigt wie im Versuch einer Verortung der Lebenskunst im System der Philosophie und im Versuch, Lebenskunst und Lebensphilosophie zusammenzubringen. Zwischen diesen Klammern erfolgt eine ideengeschichtlich orientierte Exemplifizierung der Analysemethodik und eine Verifizierung seiner Ausgangsthese über den Zusammenhang von Theorie und Praxis.

Alles, was im Kontext mit der Lebenskunst einschlägig ist, kommt bei diesem historischen Durchgang in systematischer Absicht an die Reihe. Neben klassischen philosophischen Texten geht Fellmann auch auf das biblische Buch Kohelet (Prediger) ein. Er bespricht neben den populären Lebenskunst-Größen Aristoteles, Epikur, Seneca und selbstredend Schopenhauer und Nietzsche auch etwas unbekanntere Autoren wie die italienischen Humanisten (etwa Petrarca) und die französischen Moralisten (La Rochefoucauld).

Wertvoll auch die interkulturelle Horizonterweiterung durch die Verweise auf die Weisheit chinesischer und indischer Lebenskunst. Der Preis für das Bemühen um einen möglichst vollständigen ideengeschichtlichen Überblick ist die fehlende Tiefe. So ist manche Darstellung sehr kursorisch gehalten. Doch sollte der Text auch eher eine Anregung geben als die einzelnen Autoren erschöpfend behandeln. Das wäre für ein 200-Seiten-Taschenbuch, das „zur Einführung“ geschrieben wurde, auch vermessen.

Fellmann macht deutlich, dass die „Philosophie der Lebenskunst“ das „lebensweltliche Apriori“ (Husserl) berücksichtigt und dessen „Evidenz der Erfahrung“ für die Ethik dienstbar macht, denn „logische Formen regulieren zwar das Denken, motivieren aber nicht zum Handeln, und in der Moral kommt es auf Motivation an, damit sie praktisch werden kann“. Motivation – verstanden als „Aufforderung zum Handeln“ – lässt sich aber nur aus der unmittelbaren Erfahrung gewinnen, so dass diese zum Gegenstand der Reflexion werden muss – bei Husserl leistet dies die „transzendentale Erfahrung“ –, will man aus ethischen Erwägungen eine Moralität für das Alltagsleben entwickeln. Die Lebensphilosophie, die das beinhaltet, was Husserl „Wissenschaft von der Lebenswelt“ und Fellmann „Vorwissenschaft“ nennt, schließt diesen Kreis von Theorie und Praxis und transformiert die philosophische Ethik in eine „Philosophie der Lebenskunst“, für die insbesondere Schopenhauer steht, dessen Ethik, im Gegensatz zur Abstraktion der Moralität bei Kant, auf „Selbsterfahrung“ gründet: „Während Kant in seiner Philosophie von sich selbst schweigt, bleibt Schopenhauers Denken auf seine Person bezogen“, was für seinen Begriff von Moral entscheidend ist, denn Wertungen (und damit „Werte“) sind bei ihm „emotional grundiert“. Was nicht bedeutet, dass er damit einem zur Beliebigkeit treibenden Irrationalismus das Wort redet, sondern lediglich zur Schau stellt, dass der Mensch nicht aus seiner Haut kann, dass Kants Trennung von „Transzendentalsubjekt“ und „empirisches Subjekt“ in praktischen Lebensvollzügen nicht verfängt. Umso wichtiger ist es also, dass jeder einzelne Mensch unter Anleitung seines Willens eine „Lebensklugheit“ entwickelt, die seiner eigenen subjektiven Perspektive gerecht wird und genau dadurch zu einem empathischen Umgang mit anderen Menschen befähigt. Fellmann stellt dies alles sehr nachvollziehbar und anschaulich dar.

So fällt das Fazit insgesamt positiv aus. Auch wenn sich manche Lücke auftut und man die recht optimistische Einschätzung des Autors zum Stellenwert der Lebenskunst für die akademische Debatte nicht teilt („So könnte die Philosophie der Lebenskunst die zukünftige Form moralphilosophischer Reflexion sein, welche die gängigen Oppositionen von teleologischer und deontologischer Ethik, von Tugend- und Pflichtenethik, von Gesinnungs- und Handlungsethik, von Kognitivismus und Deskriptivismus im doppelten Sinne des Wortes ,aufhebt‘: bewahrt und auf eine höhere Reflexionsstufe bringt.“), wird man Ferdinand Fellmanns Text mit großem Gewinn lesen.

Titelbild

Ferdinand Fellmann: Philosophie der Lebenskunst. zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2009.
222 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783885066644

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch