Delizia!

Über „Die Italiener und ihre Küche. Geschichte einer Leidenschaft“ von John Dickie

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

John Dickie beschreibt zu Beginn seines Buches die wohl beliebteste Fälschung Italiens, „il mulino bianco“. Die weiße Mühle gilt, obwohl nicht echt und mittlerweile als Markenzeichen einer Keksfirma ausgebeutet, den Italienern als Heiligtum. Für die Ausländer, die sie besuchen, ist sie ein Symbol für die italienische Esskultur. „Die weiße Mühle selbst dürfte außerhalb Italiens mehr oder weniger unbekannt sein, aber die Bilderwelt zu der sie gehört, ist in großen Teilen der westlichen Welt wiederzuerkennen: die trattoria im Olivenhain, die Schinken, die von den Dachsparren hängen – Klischees, die der Autor zu Beginn einerseits entlarvt, die andererseits auf die unzweifelhafte Qualität der italienischen Küche verweisen.

„Il mulino bianco“ ist ein gelungenes Beispiel, um den Leser zu jenem Thema hinzuführen, dass John Dickie in „Delizia!“ beschäftigt: Die echte, ursprüngliche, italienische Küche, aber auch das teilweise durch Werbung verfälschte Bild, das wir von ihr haben.

Es erscheint ungewöhnlich, dass ein solches Buch ausgerechnet von einem Engländer geschrieben zu wissen, dessen Land immer noch mit einem miserablen kulinarischen Ruf kämpft. Aber John Dickie, Historiker und Journalist, der Romanistik am University College in London lehrt, scheint sich zumindest im Geiste schon den italienischen Landsleuten zugehörig zu fühlen. Er hat zahlreiche Texte zur Geschichte und Kultur Italiens verfasst, sein Buch „Cosa Nostra. Die Geschichte der Mafia“ war ein internationaler Beststeller.

In „Delizia!“ stellt John Dickie nun die Frage, wie es kommt, dass die Italiener so gute Speisen zubereiten. Die Antwort liegt für ihn in der Tatsache, dass das Essen die Italiener in ihrem Gefühl darin bestärkt, wer sie sind und woher sie kommen. Wer aber darauf wartet, dass hier die Klischees über die italienische Küche aufgewärmt werden, der irrt. „Delizia!“ macht deutlich, dass unser Bild von der italienischen Esskultur, nicht in allen Fällen mit der Realität übereinstimmt. Die italienische Landküche, die uns in den Kochbüchern begegnet, ist beispielsweise keineswegs die ursprüngliche italienische Bauernkost – viel zu kostspielig waren die Zutaten für Gerichte wie „bistecca della fiorentina“ für die Landbevölkerung, die sich vorrangig von Gemüsesuppe, minderwertigem Brot und Haferbrei ernährte.

John Dickies Buch ist auch eine Geschichte der italienischen Tischzivilisation, die er als ein Resultat der italienischen Geschichte begreift, zu der eben nicht nur Festgelage, sondern auch Unterernährung, Hunger und Not gehörten. Auf seiner Reise in die historische Vergangenheit des kulinarischen Italiens widmet er seine besondere Aufmerksamkeit natürlich auch der Geschichte der Pasta. Und stellt eine Interessante These auf: Von „den 1150er Jahren und den ersten Belegen für vermicelli aus getrocknetem Hartweizen auf italienischem Boden, bis zur wechselvollen Geschichte der tortellini seit den 1970er-Jahren folgen die Geschichte der Pasta und die Geschichte des italienischen Essens insgesamt mehr oder weniger dem gleichen Rhythmus“.

Palermo im Mittelalter, Venedig im 14. Jahrhundert, Mussolinis Bauerndorf in Rom im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts: John Dickies Buch führt uns durch die Vielfalt der italienischen Küche, vom Mittelalter bis in die Gegenwart, mit der Geschichte des Landes verknüpft, anschaulich erzählt und chronologisch angeordnet. Die Geschichte der italienischen Küche lässt sich in „Delizia!“ allerdings nicht nur auf der horizontal-historischen Zeitachse, sondern auch auf der vertikal geografischen lesen: Die Küche zwischen Nord und Süd divergiert, jede Region hat ihre Spezialitäten, auch wenn so manche Köstlichkeit vielen Gegenden gemein ist. Gleichzeitig machen Dickies Betrachtungen deutlich, dass es die eine italienische Küche nicht gibt.

„Mit seiner geographischen Lage am Ende der Halbinsel bietet Sizilien zum Beispiel ein verblüffendes Beispiel für die gewaltige Vielfalt der Gerichte, die mit dem Etikett „italienisch“ versehen werden. Wie kann die sizilianische Küche mit Couscous, Schwertfisch und Salat von Zitrusfrüchten in die gleiche kulinarische Domäne gehören, wie die Voralpenregion Piemont mit ihren Trüffeln, ihren üppigen von Wein durchtränkten Fleischgerichten oder ihren agnolotti (gefüllten Nudeltaschen)?“

„Delizia!“ ist eine kulinarische Reise, die auf dem Weg durch die einzelnen Städte und mit aufmerksamer Beobachtung ihrer regionalen Spezialitäten auch zeigt, dass sich die hohe Kunst der italienische Küche sowie die ausgefeilten und innovativen Gaumengenüsse vor allem in den urbanen Gegenden finden lassen. Nur hier ließen sich traditionell die edleren, teureren Zutaten und eine zahlungsfähige Kundschaft finden. Aus diesem Grunde widmet John Dickie seine Aufmerksamkeit immer wieder auch den einzelnen Städten und ihrer lokalen Spezialitäten.

Trotz der vielfältigen Aspekte schafft er es, bis zum Ende die Fäden in der Hand zu halten und gelangt so im letzten Kapitel, Turin 2006, nach einem schönen Bogen, wieder an seinen Anfangspunkt: auf dem Land. Das Kapitel „Turin 2006“ widmet sich den Bauern und der italienischen Slow-Food Bewegung: Es gelingt John Dickie mit „Delizia! Die Italiener und ihre Küche! Geschichte einer Leidenschaft“, uns nicht nur die italienische Kochkunst, sondern durch sie auch Land, Leute, Sitten und Traditionen Italiens nahezubringen.

Titelbild

John Dickie: Delizia! Die Italiener und ihre Küche. Geschichte einer Leidenschaft.
Übersetzt aus dem Englischen von Sebastian Vogel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
443 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783100139085

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