Der Sturste seiner Zunft – Friedhelm Rathjen über das Übersetzen als „Quadratur des Kreises“

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ist der Ruf erst ruiniert, braucht keine Rücksicht mehr genommen zu werden, und der Ruinierte kann befreit aufspielen. Oder übersetzen. Im vorliegenden Fall kleidet sich der Ruin in unterschiedliche Worthülsen. Die eine Variante, von der „Welt“ in die Welt gesetzt, lautet: „Rathjen muss als Deutschlands sturster Übersetzer gelten.“ Die „Rheinische Post“ vertritt die andere Variante, nämlich diejenige von „Friedhelm Rathjen, der zu den gestrengen Dienern fremder Sprachen zählt“. Der gemeinsame Nenner beider Varianten, für viele abschreckend, läuft darauf hinaus, hier betreibe einer einen exzessiven Extremismus. Ob das wirklich so ist (und wenn ja: warum), mag man an den Aufsätzen des Bandes „Quadratur des Kreises“ überprüfen, die sich mehrheitlich mit Extremfällen des Übersetzens beschäftigen, nämlich mit Herman Melville und Mark Twain, mit James Joyce und William Faulkner und Samuel Beckett.

Melvilles „Moby-Dick“ ist der bekannteste Sündenfall rathjenscher Sturheit, deshalb ist er erstes Thema in diesem Buch; im mit Bedacht verquer betitelten Aufsatz „Fährendienste“ (seinerzeit im „Schreibheft“ erschienen und für den Wiederabdruck erheblich ergänzt) wird dargelegt, warum man wie vielleicht nicht übersetzen muss, aber doch jedenfalls übersetzen kann. Dass man nicht alles, was man kann, im Übersetzergewerbe auch darf, illustriert die darauffolgende Untersuchung aller vierzig deutschen Fassungen von Mark Twains „Huckleberry Finn“, teils mit erschreckenden Ergebnissen.

Es folgen Aufsätze über das Übersetzen von Namen, Titeln und Zitaten im Werk von Joyce, über Theorie und Praxis des übersetzerischen Umgangs mit dessen Roman „Finnegans Wake“, über ge- und misslungene Eindeutschungen von Faulkners „Light in August“ und Becketts „More Pricks than Kicks“, schließlich über Probleme beim Setzen und Übersetzen des kleinen, fast schlicht klingenden Beckett-Textes „neither“.

Am Schluss des Bandes steht dann noch eine kurze Arbeit, die ursprünglich für literaturkritik.de (Mai 2006) geschrieben wurde, nämlich die Rezension eines Gedichtbandes, dessen Beiträger sich gegenseitig übersetzen – aus dem Irischen ins Deutsche oder umgekehrt. In diesem einen Falle ist die englische Sprache ausnahmsweise einmal nicht im Spiel, und folglich sind an diesem einen Fall auch keine eigenen übersetzerischen Ambitionen des Autors beteiligt. Man mag das für einen Vorteil halten oder auch nicht. Stur oder gestreng – was ist nun richtig?

F.R.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Titelbild

Friedhelm Rathjen: Quadratur des Kreises. Zum Übersetzen.
Edition ReJOYCE, Scheeßel 2009.
176 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783000284281

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