Editionskriminalität

Monika Geier interessiert sich für eine mittelalterliche Psalmenhandschrift

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Können Tote einen Thriller aus dem Jenseits diktieren? Einer Hellseherin vielleicht. Was hat das damit zu tun, dass eine große Privatbibliothek eine wertvolle mittelalterliche Handschrift geschenkt bekommt, ohne dass der Schenkende seine Anonymität lüftet? Warum ist das BKA gleich so aufgestört, so als ob es nichts besseres zu tun hätte, als sich um Handschriften zu kümmern? Und warum wird die Frau eines seit Jahren toten Abenteuerschriftstellers, der nebenbei auch noch der Vater eines Bibliotheksleiters ist, in der die Handschrift aufbewahrt wird, mit einer Paketbombe attackiert?

Verwirrend? Eigentlich nicht, auch wenn die kleine kritische Skizze von Monika Geiers neuem Krimi voller Ungereimtheiten und Widersprüche steckt und auch nicht immer wirklich plausibel wirkt. Aber das muss ja auch nicht, solange es dem Lesevergnügen keinen Abbruch tut – was auch nicht der Fall ist.

Bettina Boll ist Kriminalpolizistin, allerdings nur halbtags, alleinerziehende Mutter, überlastet und zwischen allen Stühlen, wird in diese merkwürdige Fallgeschichte verwickelt. Den größeren Teil der Handlung versucht sie, die verschiedenen Ansprüche, die an sie gestellt werden, zu koordinieren. Die Kinder wollen betreut sein, die Ermittlungen nehmen keine Rücksicht auf Halbtagspolizisten, geregelte Dienstzeiten gibt es eben nicht, und wer damit nicht klar kommt, muss sich was anderes suchen. Aber das will Bettina nicht, zumal jetzt nicht, wo das BKA sie wegen der „Handschriftensache“ anfordert.

Anscheinend fürchtet man internationale Irritationen. Kaum ist die Handschrift aufgetaucht (eben ohne Provenienznachweis), werden schon von allen Seiten Ansprüche geltend gemacht.

Umso schlimmer wäre es deshalb, wenn die Handschrift verschwinden würde, was für den Moment erwartet wird, an dem sie der Öffentlichkeit präsentiert werden soll. Denn der neue Eigentümer hat sich partout in den Kopf gesetzt, um das schöne alte Buch nicht nur eine schöne neue Bibliothek zu bauen, sondern das gute Stück auch noch der Öffentlichkeit mit großem Schwung vorzustellen.

Und was geschieht bei dieser Gelegenheit in der Tat? Die Handschrift verschwindet. Dummerweise vom Nachtschrank des Eigentümers, der sich nach der feierlichen Präsentation samt seinem Schmuckstück zurückgezogen hat, statt es in den Tresor zu legen, wie es vielleicht klug gewesen wäre.

Nun ist das für das Leichenübersäte Krimigenre noch nicht wirklich tragisch. Wen interessiert schon Literatur, und dann auch noch alte? Offensichtlich irgendjemanden, denn der inszeniert um diese Handschrift einen solchen Budenzauber, dass einem Hören und Sehen vergeht.

Auch kommt es schließlich doch noch zu der einen oder anderen Leiche. Verdächtige tauchen auf und werden entlastet, ein hübsches Verwirrspiel um diese Handschrift entsteht, zumal sie am Ende wieder unvermittelt auftaucht, als ob dieser unbekannte Jemand das Interesse an ihr verloren hätte.

Oder anders: Anscheinend kommt es nicht wirklich auf diese Handschrift an, was eben auch Frau Boll schließlich merkt. Auf denkwürdige Weise ist dieser Fall aber mit einem anderen Ereignis verbunden, der Jahrzehnte zuvor in Italien stattfand: Die Schwester der Hellseherin, die zu Beginn des Romans auftritt, ist vor Jahren umgekommen. Der Vater des heutigen Bibliothekschefs war in die Sache verwickelt, genauer gesagt, seine Frau, wie die Hellseherin Anna Oberhuber immer wieder betont.

Das tote kleine Mädchen, die gestohlene Handschrift, die hektische Entführung, die der Hauptverdächtige inszeniert, all das wird in einen großen Topf geworfen, vermengt und vermischt, um am Ende zumindest halbwegs einer Lösung, das heißt halbwegs nachvollziehbaren Geschichte zugeführt zu werden.

Bettina Boll spielt dabei naheliegend die Hauptrolle. Denn trotz ihrer grundtiefen Überbeanspruchung, ist sie offen, flexibel und neugierig genug, Elemente im Gesamtbild, die nicht wirklich zu passen zu scheinen zu erkennen und ihnen dann auch noch konsequent nachzugehen.

Das führt am Ende, was ihre ungewollte Mutterrolle angeht, zu einer Art Friedensschluss und zu dem guten Vorsatz, alles so zu nehmen, wie es kommt. Zumindest was die Essgewohnheiten der beiden Kinder angeht, ist das entschieden von Vorteil. Aber auch den Fall löst sie mit Bravour.

Das Ganze ist vergnüglich genug, was allerdings auch von den kleinen Kostproben in Sachen auktoriale Stilblüten herrührt, die der Verlag, die Autorin und ihre Lektorin ans Ende des Buches platziert hat. Das ist für das eigene Stilempfinden ganz hilfreich.

Titelbild

Monika Geier: Die Herzen aller Mädchen. Kriminalroman.
Argument Verlag, Hamburg 2009.
350 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-13: 9783867541848

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