Bilderwerk

Ein opulenter Bildband präsentriert das Werk des Typografen Jan Tschichold

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist wohl der einflussreichste Typograf des 20. Jahrhunderts: Der 1902 als Sohn eines Schriften- und Bildermalers in Leipzig geborene Jan Tschichold wurde in den frühen 1920er-Jahren zum energischsten Propagator der „Neuen Typographie“, und damit einer freien und offenen, mit Größe und Zeilenfall experimentierenden Schriftgestaltung. In Publikationen wie dem Sonderheft „elementare typographie“ der Zeitschrift „typographische mitteilungen“ aus dem Jahr 1925, „Eine Stunde Druckgestaltung“ von 1930 oder „Typographische Gestaltung“ von 1935, in zahlreichen Vorträgen und Projekten verbreitete Tschichold seine Idee einer modernen, zeitgemäßen Schriftsetzung. Selbst in der Alternativdruckerszene der 1980er- und 1990er-Jahre, die ihre eigenen Buchpublikationen und Druckvorlagen erstellte, hat Tschichold mit einem vom Maro-Verlag nachgedruckten Bändchen mit dem Titel „Erfreuliche Drucksachen durch gute Typographie“, der aus dem Jahr 1960 stammte, Wirkung gehabt.

Beeinflusst vom Bauhaus und von den sowjetischen Konstruktivisten verabschiedete Tschichold sich von den liebgewonnenen Gestaltungsgrundsätzen. In der 1928 gegründeten Zeitschrift „Ring neuer Werbegestalter“ arbeitete er unter anderem mit Kurt Schwitters und Friedrich Vordemberge-Gildewart oder Willi Baumeister zusammen.

Für Tschichold war Typografie vor allem Gestaltung der zur Verfügung stehenden Fläche, und so bestand seine Arbeit nicht zuletzt daraus, die Fläche, die es – wie auch immer – zu füllen gab, einer intensiven funktionalen Analyse zu unterziehen. Das führte Tschichold schließlich in der Emigration und in der Nachkriegszeit zurück zu einer ruhigeren, ausbalancierten Gestaltung. Seine frühere Favorisierung der seriphenlosen Schriften nahm er, wie der von Cees W. de Jong, Alston W. Pruvis, Martijn F. Le Coultre, Richard B. Doubleday und Hans Reichardt bearbeitete Band nicht müde wird zu betonen, später wieder zurück und setzte die klassischen Seriphenschriften wieder in ihr Recht ein. Dennoch geht die Identifizierung von technischen und künstlerischen Themen, soweit sie der Avantgarde oder Moderne zugerechnet werden, mit den seriphenlosen Schriften, die bis heute Bestand hat, nicht zuletzt auf Tschicholds Einfluss zurück, während er zugleich die bessere Lesbarkeit der Seriphenschriften, die heute gleichfalls Lehrmeinung ist, in seiner späteren Zeit stützte. Selbst die im Band ausführlich vorgestellte Schrift Sabon Next, die der französische Typograf Jean-François Porchez entwickelte, geht auf die von Tschichold entwickelte Sabon Antiqua aus den 1960er-Jahren zurück.

Neben seinen Publikationen, die das Wissen über die Funktion von Typografie erweiterte, arbeitete Tschichold allerdings auch praktisch. Das zeigt der Band an zahlreichen Beispielen aus der Plakatkunst: Nach eher konventionellen frühen Arbeiten löste Tschichold die Werbeaufgaben von Plakaten völlig neu. Dabei stand weniger die Auflösung der bisherigen Flächenaufteilung und der Verzicht auf die bisherigen Schriften im Vordergrund als die funktionale Anordnung von Schrift und Bild auf der zur Verfügung stehenden Fläche. Unter anderem hat Tschichold zahlreiche Plakate des Phoebus-Palasts gestaltet, einem in München gelegenen Kino der 1920er-Jahre.

Berühmt jedoch ist die Neuausrichtung der Penguin-Classics Taschenbuchreihe, die der deutsche Emigrant Tschichold zwischen 1947 und 1949 umsetzte. Dabei führte Tschichold nicht nur neue Gestaltungsmerkmale ein, sondern verband sie zu einem festen Regelwerk, einem Corporate Design, das für die weitere Gestaltung der Reihe bindend war und die Wiedererkennbarkeit förderte.

Der vorliegende Band besticht durch sein umfassendes und vielfältiges Abbildungsmaterial, das chronologisch durch das Leben und Werk Tschicholds führt. Neben den typografischen Arbeiten und Buchausstattungen sind zahlreiche Publikationen zu besichtigen, mit denen die Beständigkeit erkennbar wird, die Tschicholds Wirken ebenso auszeichnete wie die Vielfalt und der Variantenreichtum seiner Werke. Zudem sind Fotografien, teils privater, teils professioneller Provenienz abgedruckt, die das Gesamtbild abrunden.

Im Vergleich dazu fallen die Beiträge, die sich mit der Biografie, der „Neuen Typographie“ und Tschicholds Plakatwerk beschäftigen, deutlich ab. Lediglich Richard B. Doubledays Beitrag zu Tschicholds Neuausrichtung von Penguin hält das Niveau. In den übrigen Beiträgen reiht sich Platitude an Platitude, spätestens dann, wenn die Beiträger die historischen und kulturellen Kontexte von Tschicholds Wirken skizzieren. Weder werden Tschicholds Konzepte angemessen historisch oder kulturell abgeleitet respektive begründet, noch sind sie Gegenstand einer analytischen Behandlung. Tschichold wird nicht einmal mit einer lesenswerten Laudatio gefeiert. Die Beiträge wirken unmotiviert, unstrukturiert und unpräzise. So wird etwa im Beitrag über die Plakatkunst Tschicholds dem Leser eine schwache Skizze der Entwicklung der Weimarer Republik geboten, die fast beliebig historische Ereignisse aufzählt, ohne dass ihr Erklärungswert deutlich würde.

Mit anderen Worten, dies ist ein Band, den anzuschauen und durchzublättern sich ohne Zweifel lohnt und der jede Bibliothek zieren wird. Die Ausstatter haben sich jede erdenkliche Mühe gegeben, und dafür sei ihnen gedankt. Dass sie diese Mühe neben den wunderbaren Abbildungen eben auch an Texte vergeudet haben, die mehrheitlich nicht publikationsreif sind, weist auf den neuralgischen Punkt aller schönen Bücher: Es kommt nicht zuletzt auch darauf an, was in ihnen steht.

Titelbild

Cees de Jong / Alston Purvis / Martijn LeCoultre: Jan Tschichold - Meister der Typografie. Sein Lebenswerk in Bildern.
Art Book Cologne, Köln 2008.
352 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783940602015

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