Im Zustand der Überreizung

Über Brigitte Kronauers Roman „Zwei schwarze Jäger“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Schriftstellerinnen sind unvernünftige Geschöpfe“, so heißt es im neuen Roman der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer. Wie im Vorgängerwerk „Errötende Mörder“ (2007) spielt die 68-jährige Autorin wieder mit einer Form der Doppelfiktion und präsentiert eine Roman-im-Roman-Konstruktion.

Im Mittelpunkt der kurzen Episoden, die sich wie kleine erzählerische Mosaiksteine zusammenfügen lassen, steht eine Schriftstellerin namens Rita Palka. „Sie hetzt realen Welten nach. Gesichtskreise, die kurz vor ihr auftauchen, so etwa drückt sie das aus. Immer ist sie in Angst, sie würden vor dem Festhalten wieder absinken“, urteilt der Maler Fritz Grosse über die leicht exaltierte Protagonistin, die angeblich „im Zustand der Überreizung“ am besten schreiben kann.

Brigitte Kronauer schickt den Leser in ihren nur lose miteinander verknüpften Prosafragmenten durch ein unwegsames Labyrinth aus tiefsinnigen Anspielungen und kunstgeschichtlichen Querverweisen. Die erzählerische Odyssee beginnt mit einer verpatzten Lesung auf einem Schloss. Rita Palka ist tief enttäuscht, dass nur ein halbes Dutzend Zuhörer erschienen ist, und der Bürgermeister begrüßt sie als Ida Palmer. Frustriert liest die Schriftstellerin, die rasch gemerkt hat, dass die wenigen Besucher vom Gastgeber engagiert worden sind, aus ihrem Text „Zwei schwarze Jäger“. Ein Paar betrachtet in der römischen Villa Borghese Statuen der Jäger, die zwei Löwen an der Leine führen, aber auch selbst gefesselt sind. Als sich die Frau den Jägern nähert, kommt es zu einem Handgemenge mit dem Wärter, und sie wird verletzt. Kronauer lässt alles etwas aus dem Ruder laufen, die verschiedenen Erzählebenen interagieren miteinander, und die Grenzen zwischen Kunst und Realität verschwimmen. Jede Menge eigene Erfahrungen sind in die Rita-Palka-Figur eingeflossen, in der sich die Autorin auf spielerische und leicht verzerrte Weise spiegelt. Die Lesung endet mit einem Eklat. Die gelangweilte Ehefrau des Gastgebers Schüssel, der die Autorin aufrichtig verehrt, schmeißt wütend eine Porzellankopie der zwei Jägerstatuen zu Boden. Anschließend sammeln alle Beteiligten gemeinsam die Scherben auf.

Ähnlich irrational-absurd anmutendes Handeln zeigen auch andere Figuren aus Kronauers Kuriositätenkabinett. In allen schlummern latente Wünsche nach kleinen Grenzüberschreitungen und unausgesprochene Veränderungssehnsüchte. Herr Schöffel, Liebhaber der kleinwüchsigen, millionenschweren Erbin Wally Mühleis, träumt vom „wunschlosen Glück“ und ertrinkt später in seinem überschwemmten Keller. Eine dem Wahnsinn nahe Drogeriemitarbeiterin endet in einem Campingwagen auf dem Straßenstrich, und der hochsensible und künstlerisch begabte Verlagslektor Krapp verliebt sich in einen Kellner und begibt sich – augenscheinlich angetrieben von einem „Verlangen nach Musik und Gebirge“, übrigens der Titel von Kronauers 2004 erschienenem Roman – auf einen Selbstfindungstripp ins Mont-Blanc-Massiv. Und in diesem Roman wird sogar getötet, ohne dass die Mörderin dabei errötet.

Brigitte Kronauers hochartifizieller und sprachlich bis ins letzte Detail ausgefeilter Roman präsentiert ein erzählerisches Abenteuer, das sich auf riskante, aber gekonnte Art zwischen doppelter Autorschaft und den literarischen Figuren bewegt. „Zwei schwarze Jäger“ wurde nicht geschrieben, sondern komponiert.

Titelbild

Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger. Roman.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009.
290 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783608938852

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