Geschichten aus Kittur

Aravind Adiga lädt in „Zwischen den Attentaten“ zu einer Reise durch Indien ein

Von Susan MahmodyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susan Mahmody

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aravind Adiga, dessen 2008 erschienener Debütroman „Der weiße Tiger“ den Booker-Prize gewann und daraufhin zum weltweiten Bestseller wurde, legt nun den Nachfolger seiner Milieustudie vor. In „Zwischen den Attentaten“ führt Adiga seine Leser in die fiktive Stadt Kittur, die an Indiens Südwestküste zwischen Goa und Calicut angesiedelt ist. Der Roman spielt in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts zwischen den tödlichen Anschlägen auf Indira und Rajiv Gandhi.

In den sieben für sich stehenden Episoden, die einer siebentägigen Erkundungstour gleichkommen, macht der Leser Bekanntschaft mit den Bewohnern der Stadt sowie ihren ganz persönlichen Schwierigkeiten im Leben. Man trifft unter anderem den Genossen Murali aus der Kommunistischen Partei, der von Politik eine Menge, von der Liebe aber nichts versteht, ebenso wie den privilegierten Schüler Girish, der aus Protest gegen das indische Kastenwesen Bomben in seiner Schule legt, die Geschwister Soumya und Raju, die für ihren Vater betteln und Drogen besorgen müssen, den selbsternannten Wunderheiler Ratna, der Tabletten gegen Geschlechtskrankheiten anbietet sowie den korrupten Händler Abbasi, dessen Angestellte unter menschenunwürdigen und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen Hemden besticken, der sich durch Bestechung diverser Beamter aber immer wieder zu retten weiß.

In diesem Milieu, wo Hindus, Moslems und Christen oft gewaltsam aufeinander treffen, das geprägt ist von Kleinganoven, Prostituierten und den unterkastigen Hoykas, wo Korruption, Vetternwirtschaft, Elend, Armut, Hunger, Drogen, Tod genauso zum täglichen Leben gehören wie ein tiefer Glaube an die Götter und teilweise streng konservative und intolerante Anschauungen in Bezug auf das gesellschaftliche Zusammenleben und das Leben des Individuums, siedelt Adiga seine Protagonisten an. Diese bildet er mit Herz, Mitgefühl und Sensibilität ebenso wie mit Direktheit, Witz und Ironie ab. Der Autor nimmt sich kein Blatt vor den Mund, wenn er den Überlebenskampf der Bewohner Kitturs in all seiner Grausamkeit, Gewalt und Hoffnungslosigkeit schildert. Seine Charaktere sind teils zwielichtig, teils witzig, werden jedoch alle mit ihren ganz persönlichen Schrullen vorgestellt, wodurch jedem von ihnen ein besonderer Charme verliehen wird.

Diesen Schilderungen der menschlichen Seele gehen nüchterne Reiseführereinträge voraus, die wie idyllische Abbildungen Kitturs anmuten, ohne die negativen Seiten der Stadt aufzuzeigen. Der oberflächlichen Beschreibung Kitturs lässt Adiga eine detaillierte Darstellung des hiesigen alltäglichen Lebens folgen – fast so, als wollte er seinen Lesern sagen, sie sollten nicht alles glauben, was auf den ersten Blick schön, ordentlich, nett und sauber erscheint.

„Zwischen den Attentaten“ ist nicht nur thematisch ein Buch im Stil von Danny Boyles Kinoerfolg „Slumdog Millionaire“ (2008). Beide Werke leben von schnellen Szenen- und Perspektivenwechseln, einer einfachen, schnörkellosen, teilweise umgangssprachlich gefärbten Sprache, die durch viele Dialoge gekennzeichnet wird, aber auch einige starke erzählerische Passagen beinhaltet.

Titelbild

Aravind Adiga: Zwischen den Attentaten.
Übersetzt aus dem Englischen von Klaus Modick.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
384 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783406592706

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