Crazy about nothing

Warum der Dandyismus in Sebastian Horsleys Autobiografie „Dandy in der Unterwelt“ Aufsehen erregen könnte

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sebastian Horsley ist offensichtlich anstrengend. Sollte man ihn nicht von seinem wohl bekanntesten Medienevent kennen, einer Kreuzigung auf den Philippinen, dann nervt er selbst in Abwesenheit. Und zwar aufgrund seiner Exzentrik. Seine autobiografischen Betrachtungen dokumentieren dies in epischer Breite. Doch sei die Pointe nicht vor dem Ende erzählt. Nur soviel: den Leser erwarten über vierhundert Seiten detaillierter Beschreibung des Leben eines Mannes, der unumschwänglich bekennt: Ich bin eine hohle Nuss! Dass Horsley dies in anderen Worten und eloquent, ganz der Eleganz des Gentleman verpflichtet, formuliert, ist einem schon nach kurzer Lektürezeit vertraut und macht einen der bestechlichen Teile seiner Autobiografie aus.

Warum nur kann man diese Betrachtungen ebenso gut als Roman rezipieren? Zum einen sind die von Horsley berichteten Details seines Lebens skuril, entsprechen in ihrer Absurdität dem, was man vom Lebensweg eines englischen Exzentrikers erwarten würde, zum anderen ist die Autobiografie in einer flüssigen Prosa geschrieben, die unterhaltsam von einem schwierigen Leben berichtet, das besonders von Drogen und Inhaltsleere geprägt ist. Dabei macht vor allem Horsleys Humor die oft deprimierenden biografischen Details für den Leser erträglich – ein Umstand, den der Autor wohl auch für sich in Anspruch nimmt. Wie die Dichterin und Exzentrikerin Edith Sitwell, der Horsley in keiner Weise nachsteht, ist es vor allem die Inszenierung des eigenen Ich, die im Mittelpunkt der Existenz stehen: „Ein Dandy zu sein ist eher ein Zustand als eine Berufung. Das Dandytum ist eine Abwehr des Leids und eine Feier des Lebens. Es ist keine Mode, es ist kein Reichtum, es ist nicht Schönheit, es kann nicht gelehrt werden. Es ist ein Schild, ein Schwert und eine Krone – alle hervorgezogen aus der Kleiderkiste vom Dachboden der Einbildungskraft. Dandytum ist die Lüge, die die Wahrheit ans Licht bringt, und die Wahrheit ist, dass wir sind, was wir vorgeben zu sein.“

Die Nähe zu Oscar Wilde ist nicht zufällig. Schon in Horsleys Vorliebe für rote Samtanzüge drückt sich nicht nur eine Exzentrik die Mode betreffend aus, sondern sie ist ebenso wie der Drogenkonsum Teil seiner „virtuellen“ Persönlichkeit. Diese Inszenierung kann man mögen oder auch nicht, Respekt nötigt sie einem trotzdem ab, vor allem an dem Punkt, wo es Horsley gelingt, die autobiografischen Details in Kunst zu transzendieren und aus ihren Rekapitulationen literarisch wertvolle Texte werden. Seinen kulturellen Hintergrund und die Basis seines künstlerischen Schaffens skizziert er mit der ihm eigenen Authentizität: „Ich bin durch und durch billig und geschmacklos. Ich schätze die Literatur der Analphabeten, die Kultur der Kulturlosen, den Reichtum der Armen, die Privilegien der Unterprivilegierten, die exklusiven Clubs der ausgeladenen Massen. Ich tanze durchs Leben, ein Bein im Grab, das andere in Woolworth. Doch wenigstens bin ich vielseitig.“ Dabei sind auch seine scheinbar ironisch-kulturlosen Formulierungen Brechungen gesellschaftlicher Standards, etwa wenn er die Individualität einer Frau charakterisiert und die für ihn interessanten Details herausarbeitet: „Was machte sie zu etwas Besonderem? Ihr Witz? Ihre Weisheit? Eine spezielle weibliche List? Nichts davon! Es waren ihre Titten.“

Auch seiner Drogensucht und den damit einhergehenden Therapien steht er schonungslos gegenüber, verschont den Leser vor keinem Detail, selbst die Verdauung betreffend. „Man fängt an, Heroin zu nehmen, weil man sich nach dem Leben verzehrt, sich danach sehnt, einen Sinn zu finden, auf Erlösung hofft. Und man endet auf einer vollgepissten Treppe eines Bordells mit einer beschissenen Spritze im blutenden Arm“. Dabei schafft er etwas, was bei Büchern mit spezieller „Drogenthematik“ oft auf der Strecke bleibt. Er vermittelt die Motivation, die einen Konsumenten veranlasst, Drogen zu nehmen ebenso, wie die Motivation, eine Therapie zu beginnen. Vor allem auch das zerstörerische Potential der Drogen, das die Individualität auflöst und jegliche Kreativität vernichtet, findet einen exponierten Platz in seinen Schilderungen – immer verbunden mit der drückenden Depression, die von einem langweiligen, inhaltsleeren und begeisterungslosen Leben begleitet wird.

Spätestens auf den letzen hundert Seiten beginnt man den verrückten Exzentriker Horsley auch als Autor zu mögen. Sein Humor ist brillant und sehr britisch, entbehrt nicht der nötigen Selbstironie, die man für die reflektierende und kritische Beschreibung eines solchen Lebensweges braucht. Und selbst im letzten Absatz versäumt er es nicht, noch einmal einen bösartigen Dank auszusprechen – und selbst den Leser des vorliegenden Buches noch einmal augenzwinkernd zu „verärgern“: „Und zum Schluß komme ich auf einen extrem beeindruckenden Hintern zu sprechen – ich möchte Rachel 2 danken. Verdreht, verrückt, exzentrisch, übergeschnappt. Ein Haupt voller Federn, ein Herz aus Schmalz. Es gibt auf dieser Erde keine andere Frau wie sie. Wäre sie ein typisches Exemplar, so wäre das das Ende der Kultur – keine üble Sache. / Ach ja… wahrscheinlich sollte ich auch Ihnen danken, werter Leser. Ich glaube aber nicht, dass das eine große Rolle spielt. Ich schreibe ausschließlich, um Mädels zu kriegen – und die Sorte, auf die ich stehe, sind Analphabeten.“

Titelbild

Sebastian Horsley: Dandy in der Unterwelt.
Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Leopold Hofbauer.
Blumenbar Verlag, München 2009.
425 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783936738483

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