Zimmerwesen und Verdächtige

Der dritte Band der Polonius-Fischer-Reihe von Friedrich Ani besticht durch seine feine Psychologie

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Polonius Fischer ist ein eigenartiger Mann. Früher war er einige Jahre lang Mönch, jetzt ist er wieder bei der Kriminalpolizei. Ein Melancholiker, der mit den Menschen manchmal ebenso hadert wie mit Gott – und oft nicht weiß, von wem er mehr verlassen ist. Seine Arbeit macht er dennoch gut, spricht mit den Verdächtigen in einem eigenen Verhörzimmer, in das er ein Kreuz aufgehängt hat. Bringt sie zum Reden, zum Nachdenken, manchmal zum Geständnis, zu einer Art von Beichte. Dabei gibt es eine offizielle Leitlinie für die „Verhöre, Vernehmungen, Gespräche. Unabhängig davon, welche Wörter sie für diesen Bereich der Kriminalistik benutzten, ihr Hauptziel, so hatten sie gelernt, sei nicht das Belasten oder Entlasten von Verdächtigen, sondern die Ermittlung der Wahrheit. Die Wahrheit würde die Tat des Beschuldigten in einem komplexeren Zusammenhang erscheinen lassen, sie würde ihn entweder freisprechen oder überführen.“

Aber das ist Theorie. Die Praxis ist eine andere. Denn zum einen liegt seine Freundin nach einem Angriff in ihrem Taxi im Koma, und die Ermittlungen führen schnell zu einem der Täter, einem jungen Mann, der einfach so in die Gewalt rutschte. Und da ist zum anderen Marcel, der meint, er hätte auf einem Platz seine Freundin Scarlett gesehen, die vor sechs Jahren verschwunden ist – wahrscheinlich ermordet. Damals wurde Fischer der Fall entzogen, und sein Nachfolger fand sofort einen passenden Geistesgestörten, der schnell gestand und widerrief und verurteilt wurde. Also rollt er privat und gegen den Rat seiner Vorgesetzten diesen Fall wieder auf, und er weiß, dass es falsch ist, was er tut.

Friedrich Ani erzählt im dritten Band seiner Polonius-Fischer-Reihe wieder von den Innenwelten der Menschen: Von „innerlich gekreuzigten“ Menschen, von Zimmerwesen, deren Wünsche und Gedanken „vertrockneten und zerbröselten“, von Polizisten, die lieber Geständnisse manipulieren als ihre Fehler zuzugeben, von einem Jungen, der so sehr will, dass Scarlett noch lebt, dass er ein Mädchen dazu bringt, die Geschichte ihrer Entführung nachzuspielen. Und von einer Mutter, die das alles nicht mehr wissen will, die Fischer mitten in der Nacht über einen Friedhof treibt.

Anis Roman ist voller eindrücklicher, filmischer Szenen, seine Sprache ist poetisch mit kleinen, verzeihbaren Ausrutschern ins Gefühlige und dennoch stark, kräftig und eindeutig. Seine feinen Charakterzeichnungen gehen weit über das hinaus, was man vom Krimigenre gewöhnt ist. Vor allem ist sein Polonius Fischer eigen und extravagant und in diesem Buch noch mehr in sich versponnen, verletzt und verletzlich offen, dass man sich kaum auszudenken vermag, wie es mit ihm weitergehen könnte. Und über allem liegt eine düstere, zähe Melancholie, die vor dem inneren Auge des Lesers ein regnerisch-nächtliches München voll einsam hastender Menschen entstehen lässt und eine karge, mit Dämonen bevölkerte Mönchszelle. Beides gleichzeitig, mit höchster Kunst ineinander verschränkt.

Titelbild

Friedrich Ani: Totsein verjährt nicht. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2009.
284 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783552054707

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