Gläserne Bürger und virtuelle Feinde

Ilija Trojanow und Juli Zeh sehen im allgegenwärtigen Sicherheitswahn einen Angriff auf die Freiheit

Von Stefan HöltgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höltgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pünktlich zur Bundestagswahl – beziehungsweise noch davor – erschien ein politischer Essay zweier sonst vor allem aus dem literarischen Leben bekannten Autoren, der sich dem „Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und [dem] Abbau bürgerlicher Rechte“ widmet, wie es in seinem Untertitel heißt. Ilija Trojanow und Juli Zehs Anliegen ist eine dringende Warnung: Vor allem nach dem 11. September 2001 seien die Regierungen der westlichen Demokratien dazu übergegangen, ihre Bürger verdächtig zu finden. Seitdem greife die Überwachungstechnologie um sich: Telefonverbindungen werden gespeichert, der E-Mail-Verkehr protokolliert, überall werden Kameras aufgestellt, Pässe und Krankenkassen-Karten werden mit persönlichen, teilweise biometrischen Daten versehen et cetera. Das Arsenal an Misstrauenstechnologie, das zunächst in den USA, dann vor allem in Großbritannien und nun auch nach und nach in Deutschland aufgefahren wird, um unter den unbescholtenen Bürgern die Terroristen zu entlarven und diese von ihrem Tun abzuhalten, bevor es zu spät ist; dieses Informationstechnik-Arsenal wächst – und zwar in zwei Dimensionen.

Zum Einen werden immer mehr neue Technologien eingeführt, um „verdächtige Bewegungen“ zu beobachten. Ein Unterfangen, das bisher nur Geld gekostet hat, aber keinerlei Nutzen erbrachte: Alle „Terrorverdächtigen“ – ein Terminus, den die Autoren aufgrund seiner Unbestimmtheit zurecht ablehnen – sind bislang mit klassischen Ermittlungsarbeiten an ihrem Tun gehindert worden. Zum Anderen werden gerade die neuesten Informationstechnologien unter den Generalverdacht gestellt, konspirative Kanäle zu sein und damit schärfster Beobachtung unterzogen – allen voran das Internet. Der in der ersten Jahreshälfte von vielen Seiten kritisierte „Kinderporno-Filter“, mit dem die Bundesregierung das Aufsuchen von einschlägigen Internetseiten unterbinden will, ist ein deutliches Zeichen dafür. Innerhalb kürzester Zeit haben verschiedenste Gruppen ein Interesse an der Ausweitung der Technologie angemeldet, die für ihre Zwecke eigentlich nutzlos und leicht umgehbar ist: Von der staatlichen Terrorismusprävention bis zu Mediengesellschaften, die damit Zugriffe auf Filesharing-Server zu unterbinden wünschen.

Die Autoren schildern die Bandbreite an Gängelungen und staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre plastisch und in ihren erschreckenden Ausmaßen. Das Anliegen ihres Essays ist dabei nur am Rande, die Gründe für diese Entwicklung zu analysieren. Sie führen sie auf den Umbruch im internationalen Mächteverhältnis Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre zurück. Es habe sich seitdem ein definitorisches Vakuum in jenen Gesellschaften aufgebaut, denen der konkrete Feind abhanden gekommen war und die nun einen neuen, virtuellen Feind zur Selbstbestätigung benötigen. Diesen vermeinen sie in einem „Clash of the Cultures“ und im aus diesem resultierenden „internationalen Terrorismus“ zu finden – eine Annahme, die sich bei genauer faktischer und politisch-rhetorischer Analyse als Chimäre darstellt, wie Trojanow und Zeh eindrücklich klarmachen.

Über eine Kritik an dieser Entwicklung kommen sie indes selbst nicht hinaus. Sie beschwören einen Widerstand gegen die Überwachung und den Demokratieverlust, der bei ihnen aber denkbar undifferenziert bleibt. Zwar geben sie individuelle Verhaltensregeln an die Hand, sich des Wertes der eigenen Daten endlich bewusst zu werden und ein Recht auf das private Geheimnis einzufordern, auch wenn man vermeintlich nichts zu verbergen hat. Wie sich dieser Widerstand allerdings angesichts bundespolitischer Entwicklungen vor allem der Innenministerien konkret ausgestalten soll, bleibt unausgesprochen. In der Parteienlandschaft sehen sie hierfür kein Potenzial – ihre gerade einmal halbseitige Auseinandersetzung mit den etablierten Parteien bleibt verknappt sarkastisch und setzt sich nicht mit den Argumenten der einzelnen Parteien auseinander. Was etwa „Die Linke“ zum Bürgerrecht beizutragen hat, wird nicht erwähnt, die Partei wird aber anstelle dessen wegen ihrer SED-Vergangenheit und der von dieser in der DDR betriebenen Überwachungsdiktatur kategorisch abgelehnt. Jüngere Bewegungen, wie die zuletzt sehr diskursmächtig gewordene Piraten-Partei oder der „Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung“ bleiben gänzlich unerwähnt.

„Angriff auf die Freiheit“ ist also eher ein Anriss des Themas – und niemand könnte dem rund 170 Seiten starken Band vorwerfen, die Problematik nicht erschöpfend behandelt zu haben, denn die Publikation in der Zeit zwischen der Zensurfilter-Diskussion und der Bundestagswahl ist zu knapp für eine weitreichende Analyse – die zudem als Pamphlet ungeeignet wäre. Weniger Sarkasmus und mehr Hintergrundanalyse hätte man sich dennoch gewünscht – oder man hätte die Analyse zumindest strukturierter vortragen können: So verfügt der Band über einen 25-seitigen Anmerkungsteil, der hochinteressante Belege für die im Haupttext aufgestellten Thesen und Argumente nachliefert – allein, sie sind in diesem Haupttext nicht durch Anmerkungszeichen kenntlich gemacht, so dass man beim Lesen eigentlich immer ein Auge im Appendix haben oder die Anmerkungen am Ende „nachlesen“ muss. Hier hat der Verlag – oder war es eine Entscheidung der Autoren? – den Informationswert der essayistischen Form geopfert. „Angriff auf die Freiheit“ sollte – gerade im Vorfeld der Bundestagswahl – jedoch zur Lektüre empfohlen werden, denn zu diesem Zeitpunkt macht sich seine parteipolitische Neutralität doch bezahlt: Der Band bietet so einen Katalog notwendiger Fragen, auf die die Wahlprogramme dann im einzelnen zu prüfen wären. Und die zumeist bittere, zum Ende jedoch eindeutig appellative Rhetorik könnte den einen oder anderen Zeitgenossen noch dazu bringen, die Schlussempfehlung zu beherzigen: „Wehren Sie sich. Noch ist es nicht zu spät.“

Titelbild

Ilija Trojanow / Juli Zeh: Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachsungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte.
Carl Hanser Verlag, München 2009.
176 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783446234185

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