Reiner Formsinn

Ein Sammelband über Mystik und Medien

Von Martin A. HainzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin A. Hainz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn ein Mystiker der ist, der vermeint, ihm offenbare sich etwas, worüber in dem Sinne nicht gesprochen werden könne, dass diese Erfahrung einer Theorie derselben sich nicht erschließt, dann ist jeder, der nach Bedenken seiner Erkenntnisbedingungen noch was auch immer zu erfahren vermeint – und seien es die Erkenntnisbedingungen –, ein Mystiker. Mystik ist also nicht das Erfahren; und schon gar nicht ist sie das, was in Offenbarungen erfahren würde. Sie ist viel eher das Ahnen einer Unglaubwürdigkeit von Wahrnehmung. In diesem Sinne können Tiere keine eigentliche Offenbarung haben: Mystik ist ein reflektierter Versuch in Anti-Autismus.

Mystik also suggeriert eine trägfähige Unmittelbar- und Bildlichkeit, „Bilder ohne Begriffe sind nicht blind“, so insinuiert dieses – offenbar anti-kantianische – Wort. Die Wahrheit ist das nicht, so das Urteil auch der meisten Beiträger des vorliegenden Bandes. Ihnen zufolge „implodiert die mystische unio“, um Mystik ganz zu sein: Also ist Mystik in nuce Erkenntnis- und auch Medienkritik, weshalb es sinnvoll ist, diese beiden Begriffe aneinander in Spannung zu bringen, wie es im vorliegenden Band geschieht, worin die Moderne und die ratio an eben jenem Mystischen zugespitzt formuliert werden.

Zunächst ist dabei naheliegenden Kurzschlüssen entgegen definiert, daß Mystik eben nicht mythisch sei, keineswegs in dieser Weise „ein noch undifferenziertes, kompaktes Verständnis des Kosmos als Götter, Menschen und Natur umfassende Ganzheit“ voraussetzt – wobei diese Differenzierung zu Lasten des Mythos geht, dem eine sich im Narrativ doch diversifizierende Rationalität eignet. Dies räumt der Band denn auch ein, bestimmte Mythenformen als „eine Synthese von Wissenschaft und Mystik“ skizzierend, als Form eines „eschatologischen Mythos“.

Durch die Spannungen und Paradoxien hindurch wird Mystik so zur Frage des „authentische(n) Zeichen(s)”, das nicht geschrieben wäre, sozusagen auch nicht sich manipulieren ließe, also in irgendeinem Text doch identisch mit sich selbst bliebe; wäre es aber ein Zeichen? Offenbar ist vom Authentischen (authenticum) zum Exemplarischen zu gehen. Der Text selbst – eine Einheit im Text – muss sowohl deutbar sein, was eine Manipulierbarkeit bedeutet, vielleicht auch einen Anklang von Prophetie, aber ebenso eben ein Corpus, das Impetus dessen ist, was er geworden zu sein scheint.

So wird der Begriff zu dem zugespitzt, was den Nicht-Begriff Gott selbst aussagen zu können scheint: zu jener Kugel („sphaera infinita“) etwa, deren Mittelpunkt überall ist, während sie nirgends eine Peripherie hat. Mystik besteht in „multistabile(n) Kippfiguren“, die das zeigen – oder zu zeigen scheinen –, was unio sei, nicht beliebig, nicht Gegenstand einer Mystik, sondern deren Anstoß, den sie so doch ahne. Man sieht, dass Mystik nicht naiv ist, vielmehr „– eine hinterlistige Theologie…“ Hinterlistig ist sie sich selbst, bringt ihre Voraussetzung zur Implosion, ist „atheologisch[en]“ in und mit der Theologie.

Dieses Moment von Hinterlist ist aber auch die Kehrseite der Mystik: Das Konstruierte in der immer auch behaupteten Mystik macht, dass sie List sein kann, suggestiv ist, unter Umständen sehr effektiv Beglaubigung vortäuscht. Durch diese Mystik und ihre Sprache wird der Mensch „nicht besser, sondern nur mächtiger“, Mystik zum in bezug auf die Wahrheit neutralen „Agens“, wie Berensmeyer mit Hobbes andenkt. Es mag sein, dass Mystik, die ganz wäre, was man hoffen mag, also damit beginnt, nicht zu behaupten, dass sie sei – schon gar nicht eben gerade in diesem Moment. Mystik bedeutet, „mehr nolens als volens“ zu denken, wie Boelderl zunächst von der Themenwahl schreibt. Sie ist, so heißt es in bezug auf Nietzsche in diesem Band, „Gänsefüßchen, Maske, Gleichnis“, ein „produktiver Ort der Leere.“

So bleibt zuletzt – in dem vorliegenden Band beweglich und anregend formuliert – eine Idee vom „reinen Formsinn“, ihn antreibend, die Mystik, die klammheimlich und durchwegs in einem guten Sinne die Reflexionen der Beiträger auszeichnet.

Titelbild

Ingo Berensmeyer / Martin Spieß (Hg.): Mystik und Medien. Erfahrung - Bild - Theorie.
Wilhelm Fink Verlag, München 2008.
238 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783770546770

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