Literarische Moderne im Rückblick – Die Lebenserinnerungen von Heinrich und Julius Hart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den wichtigsten Gestalten oder genauer gesagt Gestaltern der Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts zählte das Brüderpaar Heinrich und Julius Hart, zwei „Schlüsselfiguren der Berliner Fraktion des deutschen Naturalismus“, wie Wolfgang Bunzel im Nachwort zu den unlängst von ihm herausgegebenen Lebenserinnerungen der Brüder schrieb.

Zwar lagen die nun zusammengestellten autobiografischen Schriften auch zuvor schon gedruckt vor, zu begrüßen ist es dennoch, dass sie nun allesamt zusammengestellt und in einem Buch veröffentlicht wurden. Denn gerade die zahlreichen meist kürzeren Texte des jüngeren Bruders Julius waren bislang nur weit verstreut in diversen älteren Publikationen, bei denen ist sich meist um Periodika handelte, zu suchen und zu finden.

Der Herausgeber hat die Dokumente mit einem umfangreichen Stellenkommentar versehen, der so manche Aufklärung darüber enthält, wer sich hinter den zahlreichen durchaus auch KennerInnen der Literaturgeschichte der Klassischen Moderne nicht immer bekannten Namen in den Texten der Harts verbirgt. Doch wird der Kommentar den kommentierten Personen nicht immer ganz gerecht. Zumal im Bereich der Philosophie. So wird der seinerzeitige Modephilosoph Eduard von Hartmann kurzerhand in dezidierten „Gegensatz zu Schopenhauer“ gestellt, ohne zu erwähnen, wie viel er dem heute viel bekannteren Frankfurter Meisterpessimisten verdankte. Unerwähnt bleibt auch, dass er der meistgelesene Philosoph seiner Zeit war. Und was die Schopenhauer selbst betreffende Erläuterung angeht, so sei sie hier zur Gänze zitiert, um deutlich werden zu lassen, dass und wie sie die Willensmetaphysik des Verfassers der „Welt als Wille und Vorstellung“ verzeichnet: „Der Hegel-Antipode Schopenhauer (1788-1860) entwarf im Anschluß an Kant eine eigene Erkenntnistheorie und postulierte, daß der menschliche Wille von dumpfen Triebimpulsen gesteuert und daher unfrei sei; seine pessimistische Grundhaltung mündet in eine ‚Verneinung der Welt‘.“ Und auch die philosophischen Sacherläuterungen geraten schon mal schief. So trifft es natürlich zu, dass es sich bei Heinrich Harts Phrase die „beste aller patriarchalischen Welten“ um eine Anspielung auf Wilhelm Leibnitz’ „philosophische Grundannahme“ handelt. Diese besagt jedoch mitnichten, „die gegenwärtige Welt sei die beste aller möglichen Welten“ [Herv. R.L.], sondern vielmehr, die Welt, wie Gott sie geschaffen hat, sei die beste aller möglichen.

Das nicht geringe Verdienst, die autobiografischen Texte Harts herausgegeben zu haben, bleibt von solch seltenen Schwächen des Kommentars unberührt.

R. L.

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Heinrich Hart / Julius Hart: Lebenserinnerungen. Rückblicke auf die Frühzeit der literarischen Moderne (1880-1900).
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2006.
335 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3895285536
ISBN-13: 9783895285530

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