Vier gewinnt

Volker Zastrows Recherche über hessische Rechtsabweichler ist eine sozialpsychologische Annäherung an bundesdeutsche Parteikultur – aus einem strikt konservativen Blickwinkel

Von Lennart LaberenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lennart Laberenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Kommunismus als geschichtliche Kraft ist tot“, schreibt der SPD-Altvordere Erhard Eppler. „Der Antikommunismus hat ihn überlebt.“ Ob dieser, wie Eppler vorausgreift, ebenfalls hinfällig wird, ist eine offene Frage. Zumal wer die Wahlkämpfe in Deutschland betrachtet, muss diesen Schluss nicht unbedingt einsehen. Der Antikommunismus in der Bundesrepublik am Ende des ersten Jahrzehnts der Zweitausender-Jahre hat eine zentrale Projektionsfläche: Die Partei Die Linke, zuvor Linkspartei/PDS, beziehungsweise PDS und WSAG, die in schon grauer Vorzeit einmal aus bestimmten Teilen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, also kommunistischen Kadern der Staatspartei der verblichenen DDR zusammengesetzt wurde.

Die Erkenntnis, dass diese Verbindungskette noch nicht aus jedem Mitglied der Linken einen geistigen Erich Mielke macht, wird gerne durch einen unfreundlich gesinnten Blickwinkel auf die Partei verbaut. Sie ist ebenso falsch wie der gutmenschliche Irrglaube, dass sämtliche Mitglieder der an oft gegensätzlichen Strömungen, Ansichten und Diskussionskulturen sehr reichen Partei emanzipative, aufgeklärte und sachlich denkende Linke seien. Damit hat freilich der Antikommunismus in Deutschland nichts zu tun. Er ist vielmehr eine selbstvergewissernde Ablehnung der Linken, in ihren Spielarten und jeh nach Wortführern unterschiedlich: Die Sozialdemokraten wollen sich mit der Grenze nach Links immer auch gegen die innerparteilichen Linken abgrenzen (was dann häufig genug einer neurotische Nabelschau gleicht), Christdemokraten wollen ein konservatives, bürgerliches Lager beschwören und sich eigentlich gegen die SPD vereinigen (was dann häufig genug den Beigeschmack eines entrüstet-provinziellen Maccarthyismus trägt), die FDP wittert in Linken, Sozialdemokraten, Grünen und wohl sogar auch Teilen der CDU das Schreckgespenst sowjetischer Planwirtschaft. Es geht allen nicht um die Linke, sondern um sich selbst und ihr eigenes politisches Vorankommen.

Eine ähnliche Annahme teilt auch der Politikchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Volker Zastrow in seinem hochgelobten Sachbuch „Die Vier. Eine Intrige“ (Rowohlt Berlin). Vorneweg: Das Buch ist eine Meisterleistung aus Recherche, politischem Kommentar und satter Ironie. Zastrow rekonstruiert haarklein offenbare und uneingestandene Gründe einer der aufsehenserregensten Entscheidung im politischen Betrieb der letzten Jahre. Vier gewählte sozialdemokratische Abgeordnete des hessischen Landtages hatten sich im letzten Herbst per Pressekonferenz dem Kurs ihrer eigenen Parteivorsitzenden verweigert und damit ihre Wahl zur Ministerpräsidentin verhindert. Andrea Ypsilanti wollte entgegen der Versicherungen im Wahlkampf, ihre Minderheitskoalition von der Linkspartei tolerieren lassen. Etliche Aspekte machen die Arbeit von Zastrow sehr lesenswert: Einerseits schreibt hier ein Konservativer, der etwa den Paradigmenwechsel sozialdemokratischer Politik unter Kanzler Gehrard Schröder als ersten Ansatz, „dem Sozialstaat das Fett abzusaugen“, beifällig kommentiert. Zugleich ist der Autor sehr vertraut mit der Sozialdemokratie in ihren regionalen, wie bundesweiten Verkehrsformen; seine treffenden Skizzen schütten despektierlichen, aber stets die Form wahrenden Spott über allerlei Neurosen, Feindschaften und Selbstgewissheiten.

Und so erzählt Zastrow die Geschichte von vier Charakteren, die sich gegen etwas wehren, das sie gleichermaßen als Wortbruch, und Linkspartei empfinden und fürchten. Diese Entscheidung ist dadurch interessant und auch über 400 Seiten erzählenswert, weil Zastrow damit reichlich Material für die Frage, aus was Parteien heute gemacht sind, genauer, was für Typen sich in einer Volkspartei tummeln, erarbeitet. Der Autor zieht seinen Stoff aus dem vielfach widersprüchlichen Verhältnis zwischen Macht, Politik, Ideologie, Karrieredünkel und den Anforderungen von Moral, die an dem einzelnen Politiker zerren und ziehen müssen, wenn er einmal in höhere Verantwortung gelangt.

Und tatsächlich hat Zastrow in den vier Sozialdemokraten vier Leute gefunden, die beinahe Sprichwörtlich für das Innenleben der Partei stehen könnten: Jürgen Walter, der moralfreie Karrierist, dem Politik eine Bühne seiner selbst, niemals aber ein Ringen um politische Überzeugung ist; Carmen Everts, nicht weniger von Eitelkeit getrieben, gleichzeitig aber auch vollkommen absorbiert in der Identifikation mit dem Betrieb der Partei, die gleichsam zur Wohnstätte und Ersatzpartner geworden ist; Silke Tesch, eine eher naive Frau vom Lande, als Kind durch einen Unfall versehrt und der die Arbeit in der Partei Sicherung der Existenz wie auch Bestätigung der eigenen Möglichkeiten ist – sowie Dagmar Metzger, die in eine politische Familie eingeheiratet hatte und nun Politik gleichsam als Hobby und Gesellschaftsdame betreibt. Ein weniger facettenreiches Licht fällt auf Randfiguren, wie die Oportunistin Ypsilanti, die pathetische Uli Nissen, oder mächtige Frankfurter Bezirksvorsitzende: Der soziale Raum, aus dem heraus Politik gemacht wird, erscheint wie ein seltsames Zerrbild der Gesellschaft.

Zastrow beginnt mit der Pressekonferenz, den Vorbereitungen, der Hektik, der Mitteilung an die eigene Parteivorsitzende. In der Rückschau ist der Novembertag ein eigenartiger Moment: Nicht, weil kühle Temperaturen prognostiziert waren, wie Zastrow herausgefunden hat, sondern weil sich hier vier Menschen treffen, die kaum etwas gemeinsam haben dürften, die ohne die Hülle der Partei einander fremd sein könnten. Die Entscheidung der Vier, der Parteivorsitzenden die Gefolgschaft zu verweigern, trifft auf einen spezifischen Resonanzboden, in Hessen regierte bis dato – und regiert heute noch immer – Ministerpräsident Roland Koch, dessen bisweilen rabiater Rechtskonservatismus als Feinbild auch für Teile der Medien gut ist. Von dessen Pressekonferenz aus geht Zastrow weite Wege: Er wirft klärende Blicke auf die hessische SPD, in der ein „weltfremder“ Kurs der Linken das Sagen hat, erklärt die „Ypsilanti-Situation“, nach der politische Parteien Wahlkampf damit betreiben, andere Parteien ausschließen zu wollen.

Der Autor folgt den vier Landtagsabgeordneten durch ihren Lebensweg und bis in den Saal des Dorint-Hotels in Wiesbaden und lässt dabei wenige Details aus. Walter geht es darum, Ypsilantis Kandidatur, nachdem ihn die Politikerin bei der Vorauswahl zur Spitzenkandidatur demütigend schlug, zu verhindern und sich selbst für eine große Koalition in Szene zu rücken. Bei den drei Frauen diffundiert die Motivation der Dissidenz von Loyalität zu Umfeld und Familie, das Spüren-Wollen der eigenen Wichtigkeit, Verwandtschaftsbesuche in der DDR, der Druck und die Ignoranz, die die Parteivorsitzende den eigenen Leuten gegenüber an den Tag gelegt hatte.

Die Recherchearbeit ist kleinteilig in der persönlichen Annäherung, das Herausarbeiten der spezifische Motivation gegen eine Toleranz durch Die Linke zu stimmen, ein Puzzelspiel. Der Leser ist dabei Teil einer Innenansicht eines politorganisatorischen Prozesses: Wie werden mit welchen Mitteln Parteien strukturiert, welche Ansprüche kämpfen gegeneinander, welche Personen haben Kraft welcher Ämter Einfluss? Angenehm an Zastrows Schilderung ist dabei, dass die vier Abgeordneten keineswegs als Opfer dastehen, ihre Haltung ist Ausdruck ihrer Persönlichkeit, für die Zastrow die Materialberge zusammen trägt. Und doch müssen in dieser Differenzierung die vier im Gegenzug keineswegs sympathisch erscheinen: Bei Walter ist die gockelhafte Eitelkeit offenbar, aber auch Carmen Everts inszeniert sich zu genüge, steigert sich gar in die Argumente ihrer Mitstreiterinnen hinein, Dagmar Metzger handelt zumindest teilweise aus Entrüstung: Sie fühlt sich übergangen, während des Skiurlaubs nicht genügend beachtet. Die Motivation gegen die Linke zu stimmen, wurzeln also in der Persönlichkeitsstruktur der Protagonisten, wie auch gleich die ganze Motivation Politik zu machen.

Kurz vor der Bundestagswahl zeigt sich aber, dass die Parteien in Deutschland aus dem Herbst 2008 nichts gelernt haben. Wie auch, mag man einerseits fragen, wenn Parteien aus Walters, Metzgers, Everts und Täschs besteht. Andererseits sind die Parteien durch jahrelange Regierungsbeteiligung kompromittiert, oder ihre Programmatik durch die Finanzkrise entwertet. Nun greifen sie wieder zur simpelsten aller Strategien, manövrieren sich in die Ypsilanti-Falle: Identitäre Selbstvergewisserung inszenieren sie als Ablehnung des politischen Prozesses, so als stünden sie kurz vor der absoluten Mehrheit. Dagegen besteht der politische Alltag noch immer in der Organisation des Gemeinwesens, notfalls in Kooperation mit anderen Parteien.

Titelbild

Volker Zastrow: Die Vier. Eine Intrige.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2009.
415 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783871346590

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