„Lernen Sie, die Welt zu nehmen wie sie ist…“

Anlässlich einer Neuauflage – Monika Marons erster Roman „Flugasche“ zeigt die Parallelwelt der späten DDR in apokalyptischen Bildern

Von Karen RauhRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karen Rauh

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Uwe Tellkamp im letzten Jahr mit seinem voluminösen Roman „Der Turm“ Furore machte, waren es unter anderem auch die Szenen aus der Chemiehölle in Schwedt, durch die der Roman an Authentizität gewann. Ein Menschenleben zählte nicht viel in den maroden Industriebetrieben der späten DDR. Die Arbeiter schienen eine anonymisierte Masse zu sein, die jeden Morgen dumpf zur Arbeit trottete und schicksalsergeben zwischen tropfenden Rohren und leckenden Tanks dahinstarb.

Monika Maron griff in ihrem Debütroman „Flugasche“ schon 27 Jahre früher als Tellkamp dieses Sujet auf. Sie prangerte die menschenunwürdigen Zustände in Städten wie Bitterfeld, Wolfen oder Schwedt an, die ein Symptom für das Ende der DDR lange vor deren Ende waren. Die junge Journalistin Josefa ist ein typisches Kind der Nachkriegsgeneration. Im sozialistischen Deutschland aufgewachsen, kennt sie den Nationalsozialismus nur noch aus dem Geschichtsunterricht. Die offensichtlichen Fehler des Sozialismus möchte Josefa nicht mehr mit dem Argument der altgedienten Kommunisten entschuldigen, dass sie ja nie im Nationalsozialismus gelebt habe und somit auch nicht beurteilen könne, in welch privilegierter Situation sie sich jetzt dagegen befinde – ein Totschlagargument für jeden wachen Geist. Als sie eine Reportage über das Kraftwerk der Stadt B. schreiben soll, findet sie sich plötzlich in einer Zwangslage wieder: Dieses Kraftwerk ist eine Dreckschleuder, das jeden Tag hundertachtzig Tonnen Asche in den Himmel über der Stadt entsorgt. Josefa sieht die davon gezeichneten Menschen, hört ihre Geschichten vom Verlust der Gesundheit und Lebensqualität. Sie beschließt, nicht mehr schweigen zu können und schreibt eine Reportage über B. in zwei Versionen – einer ideologisch korrekten und einer, die der Wahrheit entspricht.

Für Josefa ist es auch der letzte Versuch, sich in dieser erstarrten Gesellschaft ein Selbstbild zu schaffen, sich eine Identität zu geben: „Das Eigentliche, nach dem sie suchte, war die ihr gemäße Biografie, einmalig und für keinen anderen passend als für sie.“ Sie reicht den unzensierten Artikel zur Drucklegung ein und wird zu einem Parteiverfahren geladen. Für Josefa scheint alles verloren zu sein. Sie gibt den Versuch sich und ihren Text zu verteidigen auf, geht zur Sitzung nicht hin. Josefa erstarrt und das Kraftwerk in B. verbreitet weiter den krankmachenden Dreck, die Wahrheit wird der Ideologie geopfert.

Was Maron in ihrem Buch beschreibt, ist die Wirklichkeit der späten DDR, hat aber zugleich auch, wie jede gute Literatur, einen universellen Anspruch. Sich selbst im Einklang mit Welt und Gesellschaft zu verwirklichen, ist ein zeitloses Lebensprojekt, was immer wieder neu verhandelt werden muss.

Titelbild

Monika Maron: Flugasche. Roman.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
243 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-10: 3596223172
ISBN-13: 9783596223176

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