Schönheit liegt in der Hand des Chirurgen

Waltraud Posch schreibt in „Projekt Körper“ über die Auswirkungen des Schönheitskults

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Das Thema Schönheitsideal ist ein schwieriges“, versichert die Soziologin Waltraud Posch gegen Ende einer Untersuchung, die unter dem Titel „Projekt Körper“ erörtert, „wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt“, und unterstreicht damit nachträglich, wie wagemutig es doch von ihr war, sich auf dieses unsichere Terrain zu begegben. Derlei nimmt nicht eben für eine Publikation ein. Doch passt es nicht schlecht zu einem Buch, dass sich nicht an ein wissenschaftliches Fachpublikum richtet, sondern auf Breitenwirkung aus ist.

Dass die Autorin ein allgemeines Publikum ansprechen möchte, wirkt sich allerdings durchaus auch positiv aus, etwa auf die Lesbarkeit ihres Textes. Und das ist angesichts des schlechten Rufes, in dem ihr Fach diesbezüglich steht, ja schon mal nicht gering zu achten. Doch schließlich ist Posch nicht nur Soziologin, sondern zudem Erziehungswissenschaftlerin und Medienkundlerin. Gelegentlich kommen Poschs Sätze aber auch allzu leger daher. Anderes wirkt in einem Sachbuch etwas befremdlich und würde eher in ein Schulbuch passen wie etwa „die Modalverben, die so genannten Wie-Verben“. Auch die „Bewegungs- und Greiforgane“ – vulgo: Beine und Arme beziehungsweise Hände – lesen sich nicht besonders schön. Und ihre „Do’s und Don’ts“ zeigen unfreiwillig, wie schief es gehen kann, wenn man mit seinem perfekten Denglisch brillieren möchte. Zudem läuft die Autorin Gefahr, durch zu häufige Wiederholungen randständiger Statistiken etwa über den Anstieg der Zahl angemeldeter Autos zu langweilen. Länger grübeln kann man hingegen darüber, wann wohl die „1920er Jahre unseres Jahrhunderts“ (gewesen) sein werden.

In einer sprachlichen Hinsicht musste sie sich allerdings, wenn auch offenbar nur zähnknirschend, dem Diktat des Verlags unterwerfen, der es seinen AutorInnen strikt untersagt, das große Binnen-I zu verwenden. Da sie auf diese Variante gendersensiblen Sprachgebrauchs verzichten muss, weicht sie darauf aus, „teilweise beide, teilweise abwechselnd weibliche und männliche Formen“ zu verwenden, wobei sie verspricht, stets deutlich werden zu lassen, wenn nur ein Geschlecht gemeint ist.

Nach dem einleitenden Gemeckere an Sprache und Stil nun zu Inhalt und Thesen. Auch hier sei mit einer Kritik begonnen. Sie gilt einem Detail, illustriert aber eine grundsätzliche Schwäche des Buches: seine nicht immer ganz genaue Kenntnis der (Philosophie-)Geschichte von Körpertheorien. So schreibt Posch Paula-Irene Villa zu, das theoretische Konzept entwickelt zu haben, dem gemäß Menschen ein Leib sind und einen Körper haben. Als Beleg zitiert sie einen Satz Villas aus dem von dieser im Jahre 2008 herausgegebenen Sammelband „Schön Normal“. Tatsächlich hat die Unterscheidung zwischen Leib sein und Körper haben allerdings schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Sie wurde von Helmuth Plessner (1892-1985) entwickelt und bereits vor längerem von Gesa Lindemann in die feministische Theorie eingeführt.

Doch zurück zu Poschs Buch. Eine seiner zentralen Annahme besagt, dass Menschen heute nicht mehr nur ihr Leben sondern auch ihren Körper „managen“. Dieser werde zu einem „‚Projekt‘, an dem gearbeitet werden“ müsse. Der Autorin zufolge gilt Schönheit als „Spiegel der Selbstoptimierung und des Zuschaustellens eines gelungenen, mitunter auch eines am Aufstieg orientierten Lebens“. Denn es werde angenommen, wer sich „im Griff“ habe, der habe auch seinen Körper im Griff. So gelte Schönheit als „Visitenkarte einer sich wohl fühlenden, mit sich selbst im Reinen befindlichen Persönlichkeit“.

Zwar will Posch „Verschönerungen“ als „Maßnahmen der Selbstoptimierung und der Selbstökonomisierung“ verstanden wissen, doch hält sie mit Nina Degele die häufig zu hörende Selbstauskunft, jemand mache sich „für mich selbst“ schön, für wenig überzeugend. Dabei ist dies so unwahrscheinlich nicht, haben schöne oder als schön geltende Menschen doch überall die besseren Chancen, vom Arbeits- bis hin zum Beziehungsmarkt. Es ist daher also durchaus im wohlverstandenen und rationalen Eigeninteresse, sich schön zu machen. Und so räumt Posch denn auch später ein, „dass Schönheit durchaus realen Nutzen haben kann“. Allerdings sei es weder das Ziel noch die Aufgabe des Buches, „die detaillierten Ergebnisse der Attraktivitätsforschung hinsichtlich des Nutzens von Schönheit zu analysieren und zu rezipieren.“

Der Körper, legt die Autorin dar, drücke nicht nur die „Platzierung“ aus, die jemand in der Gesellschaft innehat, sondern auch seine Persönlichkeit, seine Individualität und seine Kreativität. Posch unterscheidet dabei zwischen „Körperformung“ und „Körperrepräsentation“. Ihr Buch widmet sich zwar beiden Momenten, vor allem aber ersteren. Dabei versteht es die Wechselwirkung, mit der „individuelle Körperlichkeit“ und Gesellschaft einander „produzier[en]“, als „mehrdimensionalen Wirkungsstrang“, dem sie anhand des „Schönheitsideal[s]“ nachgeht. „Zur Sprache kommt neben dem ‚Wie‘ aber auch das ‚Warum‘. Warum wirkt das Schönheitsideal?“ kündigt sie in der ihr eigenen Diktion an.

Menschen, die dem Schönheitsideal nacheifern, geht es Posch zufolge „meist im Kern nicht um Schönheit“. Vielmehr solle ihre Schönheit „gesellschaftliche Werte wie Individualität, Leistung, Flexibilität und Freiheit dar[…]stellen“. So sei der vermeintliche „Kult um die Schönheit“ tatsächlich gar keiner, sondern vielmehr „ein Ringen um die persönliche und soziale Positionierung in einer unsicher erscheinenden Welt“, die sich nur „in einem Kult um die Schönheit äußert.“ Dieser zweckgerichtete Kult tritt nicht so sehr in dem „ständig wachsendem Zustrom zur Schönheitsmedizin“ zu Tage, sondern vor allem in „normalisierten Schönheitshandlungen“, zu denen Posch etwa sich schminken, sich die Haare färben oder auf das Körpergewicht zu achten zählt. Auch wenn die Schönheitschirurgie gravierendere körperliche Folgen hat, ist Posch hierin sicher zuzustimmen. So lässt sich denn auch ohne Weiteres die Schwerpunktsetzung ihres Buches nachvollziehen, die sich eben auf die weniger invasiven und alltäglicheren Schönheitshandlungen konzentriert.

Vieles andere ist allerdings weniger überzeugend, zentrales wie beiläufiges. „Wer nicht weiß, wie er finanziell über die Runden kommen soll, verfügt meist nicht über Freizeit“, meint Posch etwa. Tatsächlich verhalten sich Freizeit und verfügbares Geld oft umgekehrt proportional zueinander. Bekanntlich haben etwa Langzeitarbeitslose gemeinhin zwar viel freie Zeit, aber wenig Geld. Auch entdeckt Posch merkwürdige Kausalitäten: „[W]ir sind im Durchschnitt heute größer und kräftiger als unsere Eltern und Großeltern. Die erste Folge: Immer mehr Menschen haben Schwierigkeiten, im Handel Bekleidung mit optimaler Passform zu finden. Die zweite Folge: Körperideal und Körperrealität klaffen immer deutlicher auseinander“.

Dann wieder werden Banalitäten als überraschende Erkenntnisse präsentiert: „Nach wie vor dienen Mode und körperliches Erscheinungsbild der sozialen Differenzierung.“ Geradezu naiv erscheint es, wenn sie erklärt, „Doku-Soaps begleiten Menschen mit der Kamera in ihrem Alltag“. Und warum kommen die alltäglichen Schönheitshandlungen des Piercings und sich Tatoos stechen zu lassen, in dem Buch so gut wie nicht vor? Posch erwähnt sie gemeinsam mit „Korsetts“ und „Operationen“ gerade mal beiläufig als Beispiele für „Body-Modification“. Auch sind durchaus nicht alle ihre Urteile plausibel. So ist etwa das Verdikt „Schönheitschirurgie zerstört (körperlich) Intaktes, um (seelisch) Neues, vermeintlich Besseres zu schaffen“ zu pauschal, denn sie lässt all die Eingriffe außer Acht, die Missbildungen korrigieren oder nach Unfällen das vorherige Aussehen so gut wie eben möglich wieder herstellen sollen.

Nicht viel besser steht es um die Behauptung, „Selbstverantwortung unterstellt gleiche Startchancen“. Das passt zu ihrer Jeremiade über die „vielen Optionen“, mit denen sich die Menschen heutzutage herumschlagen müssen. Denn da niemand „ alle Möglichkeiten wahrnehmen“ und „alle verfügbaren Modestile verkörpern, alle Bücher lesen, alle Reisen machen, alle Namen für sein Kind wählen“ kann, bedeute Optionen zu haben in Wirklichkeit „Verzicht“ üben zu müssen. Überhaupt ist der ganze Tenor des Buches in dieser Hinsicht nicht unbedenklich, werden Entscheidungsfreiheit und Selbstverantwortung doch allzu umstandslos einem negativ konnotierten Neoliberalismus zugeschlagen, so dass der Eindruck eines Plädoyers für die Bevormundung durch ein übergeordnetes wohlmeinendes (Staats-)Wesen entsteht, das die armen Menschlein sicher durch ihr nunmehr wägbares Leben in einer Rundum-Sorglos-Welt führt. Da ist man schon sehr erleichtert, endlich einmal lesen zu dürfen, dass es „ohne Zweifel ein Vorteil“ ist, wenn heute Beziehungen beendet, Ehen geschieden und Arbeitsplätze oder Wohnungen gewechselt werden können.

Reichlich Kritik also. Dennoch muss abschließend auch noch auf einen ganz grundsätzlichen Mangel hingewiesen werden: Das Buch wirkt insgesamt strukturlos. Posch scheint ihre Ideen und Einfälle eben immer dann in den Text einzuflechten, wenn sie ihr zufallen, ob sie nun in den jeweiligen Kontext passen oder nicht.

Titelbild

Waltraud Posch: Projekt Körper. Wie der Kult um die Schönheit unser Leben prägt.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
261 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783593389127

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