Die Gewalt ist unter uns

Mechtild Borrmanns kleiner Exkurs in die Abgründe der menschlichen Gesellschaft

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Gewalt eine der essentiellen menschlichen Ausdrucksformen ist, ist einigermaßen anerkannt, wenngleich sie in der zivilen Gesellschaft keinen Raum mehr einnehmen soll und an ausdrücklich dafür benannte Exponenten delegiert wird, an Polizisten und Soldaten zum Beispiel, die allesamt im Auftrag des Staates Gesellschaft beschützen und regulieren helfen sollen. Dennoch tut einem Gewalt nicht den Gefallen und bleibt ansonsten unsichtbar, sie ist dennoch präsent, auch wenn sie nicht absehbar oder unscheinbar ist.

Mechtild Borrmann nun unternimmt den interessanten Versuch, verschiedene Formen der Gewalt in der Gesellschaft – also „mitten in der Stadt“ – zugleich darzustellen. Dabei macht sie Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern, sie lässt bislang unbescholtene Menschen zu den falschen Mitteln greifen und zeigt die Zerstörungen, die Gewalt dabei anrichtet. Methodisch tut sie dies, indem sie auf knappestem Raum – „Mitten in der Stadt“ umfasst gerade einmal 219 Seiten – zwei Geschichten parallel führt.

Da ist zum einen der Überfall auf ein Juweliergeschäft, der fatal an eine Reihe von Überfällen erinnert, die in den letzten Monaten auf Geschäfte ähnlicher Art erfolgreich verübt worden sind. Mit einem der üblichen aufgemotzen Geländewagen, der auch noch mit einer Ramme ausgestattet worden ist, durchbrechen die Räuber die Scheibe des Juwelierladens, räumen danach die Auslagen fein säuberlich leer und verschwinden wieder. Dumm ist nur, dass der Fahrer beim Zurücksetzen einen jungen Mann anfährt, der – in der Meinung, dass es sich bei dem Ganzen um einen Unfall handelt – zur Hilfe geeilt ist.

Der junge Mann kommt zwar nach einer kurzen Krise wieder zu Kräften, aber sein Onkel, der gleichfalls einer der vergeblichen Unfallhelfer war, will sich an den Räubern rächen, denn er glaubt, den Fahrer erkannt zu haben. Nach kurzer Recherche findet er ihn auch, und er und der Vater des Jungen verabreichen ihm eine kräftige Tracht Prügel. Danach ist ihr Gerechtigkeitssinn zufrieden gestellt und alles könnte wieder in ruhige Bahnen kommen, aber der Fahrer wird wenig später von der Polizei, die ihm gleichfalls auf den Fersen ist, tot aufgefunden. Das nun macht den beiden Männern größere Sorgen, sie fürchten, bei ihrer Revancheaktion etwas zu weit gegangen zu sein.

Parallel dazu erzählt Borrmann die Geschichte der Frau des Fahrers, die unter den Gewaltausbrüchen und Eifersuchtsattacken ihres Mannes zu leiden hat, ein Kind nach dem anderen bekommt, von denen eines auch noch schwer behindert ist, und die mehr und mehr die Kontrolle über ihr Leben verliert.

Das Ganze ist stringent erzählt und eigentlich ohne große moralische Wertungen. Das überlässt Borrmann geschickt genug der Handlung selbst und deren Fortgang. Denn nicht nur den beiden Männer, die den Fahrer niederschlagen, gerät ihr Handeln außer Kontrolle, auch für alle anderen Beteiligten ist der Fortgang des Geschehens immer weniger kontrollierbar.

Dass hinter dem Überfall nicht die Diebesbande steckt, die die Raubserie zu verantworten hat, die hier Pate gestanden hat, wird rasch klar. Die Fälle werden entsprechend schnell, sachlich und konstruktiv aufgelöst. Borrmann beschleunigt und spitzt die Handlung zu, wenn es notwendig ist, und man hat immer den Eindruck, dass sie die einzige ist, die die Kontrolle behält. Und was kann man Besseres über eine Autorin sagen?

Dabei wirken die Handlungsstränge nicht einmal allzu konstruiert. Sie tragen die Absichten ihrer Autorin angemessen, sie sind ausgearbeitet genug, um plausibel zu sein, und sie überfrachten den Text weder mit übermäßig komplizierten Fällen noch mit nicht notwendigen Informationen über den Alltag und das Privatleben der Ermittler. Was von ihnen preisgegeben wird, hat im Erzählgeschehen Funktion und erläutert Handlungen und deren Konsequenzen.

Das aber ist immerhin eine Besonderheit, die Borrmanns Krimi von den überbordenden Schmökern, die im Standardprogramm das Krimipublikum bedienen, unterscheidet und die hier dankbar mitgeteilt werden soll. Jedoch wird damit jedoch eher ein Publikum bedient, das an Erkenntnis, oder sagen wir, an kleinen, überschaubaren epistemologischen Experimenten interessiert ist. Und dass die Welt (auch die Lesewelt) nicht nur aus solchen Leuten besteht, sei immerhin eingeräumt.

Die Lehren, die aus solchen Texten zu ziehen sind, sind einigermaßen klar: Lasst die Polizei am besten ihren Dienst tun, und stellen wir doch unsere Rachegelüste zurück. Dafür gibt es am Ende doch zuviel in dieser Gesellschaft, das im Argen liegt und um das zu kümmern viel verdienstvoller wäre.

Titelbild

Mechtild Borrmann: Mitten in der Stadt.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2009.
219 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783865321282

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