Der DNA-Code der Juden und die verschwundenen Kinder

Leon de Winter kitscht sich in seinem Israel-Roman „Das Recht auf Rückkehr“ durch allzu viele Themen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn es geht, ziehen sie weg. Wenn sie nur ein Visum bekommen, nach Russland oder Amerika. Natürlich, es ist ihre Heimat, und man darf ja auch nicht einfach so kampflos fliehen: „Weggehen ist Verrat.“ Aber das ist doch auch kein Leben: der Staat ist winzig, eine riesige Mauer versperrt nicht nur die Einreise, sondern auch die Ausfahrt. An den Checkpoints wird jeder genau untersucht, anhand der DNA wird überprüft, ob jemand Jude oder Nichtjude ist, Hubschrauber, „Chicken Wings“ genannt, scannen alle Personen auf den Straßen. Und trotzdem gibt es immer wieder Überfälle und Anschläge.

2024: Israel ist auf die Fläche „Groß-Tel-Avivs plus einem Sandkasten“ geschrumpft, Wladimir Putin hat Tschetschenien, Aserbaidschan und Georgien zerstört, und Bram Mannheim schlägt sich durchs Leben, indem er als Rettungssanitäter arbeitet und nebenher mit Ikki entführte Kinder sucht. Wie der Staat Israel ist auch er der große Verlierer der Geschichte: Mit achtzehn Jahren war er aus den Niederlanden nach Israel gekommen, um in Tel Aviv zu studieren, später schreibt er einen Bestseller über die Geschichte des Nahen Ostens. Als er einen Ruf nach Princeton bekommt, hat er es geschafft. Mit Rachel und seinem Sohn Ben zieht er ins Gelobte Land, kauft sich ein großes Haus, das noch renoviert werden muss, mit viel Land und Bäumen drumherum und fühlt sich mit seinen 33 Jahren richtig wohl. Kein Krieg, keine lebensbedrohenden Anschläge, keine Sorgen.

Aber dann passiert das Schreckliche: Ben verschwindet. Bram war nur kurz telefonieren, mit seinem alten Freund Yitzchak, einem engagierten Friedensapostel und späteren Politiker. Dann plötzlich merkt er, dass die Tür zum noch unbewohnbaren Teil des Hauses offenstand. Dort war Bennie schon einmal gewesen und hatte fasziniert in das Loch im Fußboden gestarrt. Aber da ist er nicht. Draußen ist er auch nicht, er kann rufen so viel er will. Dafür kommt der kleine Hund der Familie, Hendrikus, verletzt auf ihn zugehumpelt. Bram durchstöbert das ganze Gelände: nichts. Auch die Polizei findet ihn nicht. Ben ist und bleibt verschwunden.

Die Ehe zerbricht. Bram flippt aus und durchwandert ganz Amerika, immer auf der Suche nach seinem Sohn. Er hat sich ein Zahlensystem zurechtgelegt, das ihn zu ihm führen soll. Die Ziffern 2 und 8 spielen eine Rolle, denn am 22.8. 2008 verschwand Ben. So hebt Bram 80 Dollar ab, möglichst um 8 nach 8 oder um 8 Uhr 28, möglichst am 2. oder 8. des Monats. Er geht die Häuser mit der Nummer 2, 8, 28, 82, 298 und 288 ab, geht auf Straßen mit ähnlichen Zahlen bis nach Kalifornien. Rettet einmal ein Kind, wird von einem jüdischen Milliardär aufgenommen, findet schließlich den Mörder seines Jungen und bringt ihn um.

Jahre später ist Bram, vollgestopft mit Psychopharmaka, wieder in Israel. Mit einer Prostituierten unterhält er ein loses Verhältnis, seine Frau hat wieder geheiratet, sein alter Vater, der Naturwissenschaftler und Nobelpreisträger Hartog Mannheim, ist inzwischen alzheimerkrank und kann nur noch vor sich hinbrabbeln. Da geschieht wieder ein Anschlag, und einer der Soldaten am Übergang ist sicher, dass die DNA den Attentäter einwandfrei als Juden erkannt hat. Und Bram findet heraus, dass die Palästinenser jüdische Kinder entführt und sie zu Selbstmordattentätern ausgebildet haben, und dass auch sein Sohn dabei ist.

So krude ist die Geschichte im neuen Roman von Leon de Winter, der wieder einmal alle Themen bemüht, für die er bekannt ist: die jüdische Identität, das Recht auf Rückkehr für die Juden, der Schutz der Heimat, Gewalt oder Appeasement. In einem dicken Wust von Rückblenden erzählt er davon, doziert und erklärt, diskutiert und verwirft. Nur mühsam wird das Buch durch die verwirrende Konstruktion zusammengehalten. Aber es leidet vor allem an zwei Problemen: Zum einen hat de Winter keine Sprache. Da regieren die blutleere Erklärung, der etwas rechtslastige Beinahrassismus und der vollmundige Kitsch. Wodurch gewinnen die Feinde? „Die palästinensischen Araber hatten die Juden mit ihren Gebärmüttern besiegt.“ Bram macht sich Sorgen, er fühlte, „wie eine Woge der Beunruhigung durch seine Glieder brandet“ und eine Seite später fragt er sich: „Warum hatte er gewartet, bis ihm die Beunruhigung mit eisernem Griff die Kehle zudrückte“? So geht es seitenweise, unterbrochen von endlosen langatmigen Referaten über Israel und den Nahostkonflikt. Da wird das Buch kaum noch lesbar, die Story versandet über weite Strecken in einer Wüste von Stilblüten und Langeweile. Außerdem ist es mit seinen allzu vielen Geschichten, die mehrere schöne Romane ergeben hätten, heillos überfrachtet. Und als Science fiction-Roman ist es so blass und ungenau, dass es diese Bezeichnung nicht verdient.

Andererseits gelingen de Winter auch immer wieder wunderschöne Passagen. Wie er Brams Zahlenwahn schildert, ist eine grandiose Innenansicht eines verstörten Menschen, und ab und zu gelingen ihm auch zärtliche Beschreibungen vom Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Aber das ist leider auch alles, und für ein Buch von 550 Seiten ist das wahrhaftig nicht genug.

Titelbild

Leon de Winter: Das Recht auf Rückkehr. Roman.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers.
Diogenes Verlag, Zürich 2009.
550 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067330

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