Spannende Literaturbetriebsamkeit

In der Reihe text + kritik ist ein neues Standardwerk zur Literaturvermittlung erschienen

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit den 1970er-Jahren gibt es Studien zum Literaturbetrieb, allerdings ist das, was man auch als Literaturvermittlung oder Angewandte Literaturwissenschaft bezeichnen könnte, immer noch ein Stiefkind der philologischen Forschung. In Zeiten von Bachelor und Master, die eine stärkere Berücksichtigung praktischer Fertigkeiten verlangen, hat neben der Lehrtätigkeit von Lektoren oder Literaturkritikern auch die Zahl der Publikationen zugenommen, die sich der praktischen Seite der Philologie widmen, allerdings ist dies bisher weitgehend auf die Germanistik beschränkt. Das vorliegende Buch nun ist eine wiederholte Pionierleistung – es erschien in einer ersten Auflage bereits 1971, komplett verändert 1981 zum zweiten Mal und nun wieder mit ganz anderen Texten, die einen Einblick in das vermitteln, was man mit Literatur beruflich so alles machen kann.

Der Band ist gegliedert in „Berufbilder“, „Vermittler“, „Märkte und Medien“ sowie „Literaturbetrieb und Öffentlichkeit“, es kommen Praktiker zu Wort, die in der Regel ein philologisches Studium absolviert haben, und Dozenten, denen es um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Praxis zu tun ist. Zunächst ist also wichtig zu wissen, dass der Band keine strukturierte Einführung in den Gegenstandsbereich bietet, sondern Schlaglichter; diese allerdings sind klug gesetzt und überwiegend sehr informativ. Wer nach einer Einführung sucht, kann zu zwei neueren Werken in der UTB-Reihe greifen, „Literaturbetrieb“ von Bodo Plachta (2008) und „Literaturvermittlung“ von Stefan Neuhaus (2009).

Für die „Berufsbilder“ wurden prominente Vertreter ihrer Zunft gewonnen, etwa der Wallstein-Verleger Thedel von Wallmoden oder der Literaturkritiker Helmut Böttiger, wobei Böttigers Beitrag zwar gut geschrieben und sehr unterhaltend ist, aber wenig Auskünfte über die Geschichte und die Aufgaben der Kritik bietet. Sichtet man alle Beiträge auf ihren Erkenntnisfortschritt, dann liegen Licht und Schatten eng beieinander. Vorbildlich beispielsweise ist, was Matthias Beilein, Rainer Moritz oder Hans Sarkowicz über die Lektoratsarbeit, die Literaturhäuser und Literatur im Radio zu sagen haben, auf wenig Raum wird man in einer klaren und präzisen Weise bestens informiert. Nur Doris Moser vermag dies noch zu überbieten – eine derart umfassende Studie des österreichischen Literaturbetriebs auf gut 30 Seiten ist ein wissenschaftliches Kunststück der Sonderklasse. Als Fallstudie glänzend ist der Beitrag von Bernadette Kalkert und Thomas Krings zum problematischen Verhältnis von Literatur und Recht; sie gehen der Debatte und der Rechtsprechung zu Maxim Billers skandalisiertem Roman „Esra“ auf den Grund.

Auf der anderen Seite stehen Beiträge, nach deren Lektüre man nicht viel schlauer ist als zuvor, etwa Stephanie Preuss’ Bestandsaufnahme der Schweizer Literaturlandschaft, der gerade nach dem glänzenden Auftritt von Doris Moser besonders farblos erscheint, oder Bernd Buschs Bilanz der Literatur- und Sprachakademien in Deutschland. Allerdings kann man hier auch fragen, ob es nicht vielleicht wenig genug gibt, was diese verwalteten Repräsentationseinrichtungen an wirklich sinnvollen Tätigkeiten zu bieten haben, von der Verleihung einiger wichtiger Preise und der einen oder anderen Zeitschrift, die herausgegeben wird, einmal abgesehen. Ob das hierfür aufgewendete Geld nicht sinnvoller eingesetzt werden könnte, und zwar im Rahmen einer dezentralisierten Kulturförderung? Natürlich kann man nicht erwarten, dass jemand an dem Ast sägt, auf dem er sitzt und seinen eigenen Arbeitsbereich in Frage stellt. Die Kehrseite fundierten Expertenwissens auf der anderen Seite ist dann eben, das lässt sich an vielen der Beiträge zeigen, der eher unkritische Blick auf das, womit man sich bereits über lange Zeit beschäftigt. Das ist kein Schaden, wenn man es bei der Lektüre mit bedenkt.

Nur wenige Beiträger erlauben sich Schwächen. Michael Dahnke beispielsweise nennt als höchste Auszeichnung des Betriebs den Adorno-Preis, der vorwiegend Kulturphilosophen und nicht Schriftsteller auszeichnet; angebracht wäre es gewesen, statt dessen auf den gleich hoch dotierten (€ 50.000) Joseph-Breitbach-Preis und den Georg-Büchner-Preis (€ 40.000) hinzuweisen. Auch sucht man die zentrale Information vergebens, dass Literaturpreise heute vielen AutorInnen das sprichwörtliche Überleben sichern – sie sind in Zeiten sinkender Auflagen preiswürdiger Literatur immer mehr zu einer wichtigen Einnahmequelle geworden. Ansonsten fehlen hier und dort Hinweise auf Forschungen, die es bereits gibt, und der eine oder andere Tipp hätte zwischen den Beiträgern ausgetauscht werden können. Zwei beschäftigen sich mit Literatur im Netz, doch Birte Huizing kennt den Aufsatz von Giacomuzzi und Mühlberger über die Archivierung von Literaturmagazinen, während dieser Hinweis bei Simone Winko fehlt. In der Vielfalt der Beiträge, von denen ein solcher Band lebt, ist das alles aber kein Problem.

Den Herausgebern kann man zu ihrem Band nur gratulieren. Wer sich in der Praxis oder an der Universität mit grundlegenden Fragen von Literaturbetrieb und -vermittlung auseinandersetzt, hat hier eine unschätzbare Hilfe, ein Kompendium, das Information mit Lesevergnügen verbindet.

Titelbild

Heinz Ludwig Arnold (Hg.) / Matthias Beilein: Literaturbetrieb in Deutschland.
3. Auflage.
edition text & kritik, München 2009.
440 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783883779966

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