Auf dem Trockenen

Der israelische Autor Assaf Gavron prophezeit seiner Heimat in seinem neuen Roman „Hydromania“ eine düstere Zukunft

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Volksrepublik China die globale Führung übernommen hat. Der Kapitalismus hat sich als Wirtschaftsideologie durchgesetzt und das Schicksal der Welt liegt in den Händen einiger weniger Konzerne. Stellen Sie sich weiter vor, dass in dieser Welt der Klimawandel bereits seine deutlichen Spuren hinterlassen hat und die Menschen in Trockenzonen enorme Dürreperioden erleiden.

Welche gesellschaftlichen und machtpolitischen Verhältnisse unter diesen Bedingungen eintreten können, demonstriert der israelische Schriftsteller Assaf Gavron in seinem neuen Roman „Hydromania“. Mit dem Titel spielt er ebenso sehr auf den subjektiven Wahnsinnszustand einer Manie an, wie auch auf eine quasistaatliche Entität, sprachlich angelehnt an diverse literarische Zukunftsvisionen. Während aber Thomas Morus’ „Utopia“ oder Ernst Callenbachs „Ecotopia“ in ihrer hoffnungsvollen Ausrichtung durchaus positiv sind, fügt sich Assaf Gavrons Erzählung in die Reihe negativer Staatsromane wie Jewgeni Samjatins „Wir“ oder George Orwells „1984“ ein.

Schauplatz seines neuen Romans ist wie schon in seinem Debüt seine turbulente Heimat: Israel und der Nahe Osten. Spielte die Handlung seines Erstlingsromans „Ein schönes Attentat“ allerdings noch im Israel der Gegenwart, versetzt sein zweiter Roman den Leser in das Jahr 2067. Israel ist nicht mehr länger die führende regionale Nation, sondern die Palästinenser haben – ob als Staat oder als Quasi-Guerillanation lässt Gavron offen – die Herrschaft im Nahen Osten übernommen. Mit Unterstützung chinesischer Waffentechnik haben sie ihr Autonomiegebiet erweitert und Israel auf eine kleine Enklave um die israelische Hafenstadt Cäsarea reduziert. Haifa, Jerusalem, Tel Aviv – die aktuellen Zentren jüdischen Lebens sind bei Gavron längst palästinensisch.

Gavron bedient sich diverser politikwissenschaftlicher Szenarien, um seine pessimistische Zukunftsvision zu zeichnen. Eine elementare Rolle spielen dabei die demografischen und hydrologischen Voraussagen, die bereits heute belegen, dass der arabischstämmige Bevölkerungsanteil ungleich mehr wächst als der israelische und die Wasservorräte in der Region zur Neige gehen. Bereits jede dieser Tatsachen stellt für sich ein enormes Konfliktpotential dar. In seinem Roman tritt beides ein, während eine Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern ausbleibt – ein veritabler literarischer Sprengstoffgürtel.

In diese Verhältnisse platziert Assaf Gavron einen futuristischen Krimi, in dessen Mittelpunkt der israelische Ingenieur Ido und dessen Frau Maja stehen. Beide haben nach seinem Rauswurf bei Ohiya, einem der weltweit größten Wasserkonzerne, die Firma Ido-Wasser gegründet und versuchen gemeinsam, mit den global agierenden Konzernen um die regionale Wasserversorgung zu konkurrieren. Als diese jedoch rechtliche Regelungen lancieren, die das Unternehmen in den Ruin treiben, tritt Ido den Kampf gegen die Unternehmen an. Mit Hilfe eines privaten Investors will er seine Pläne für eine neuartige Wasseraufbereitungsanlage umsetzen. Dafür begibt er sich in die gnadenlose Unterwelt der Wirtschaftskriminalität und sieht sich plötzlich einem zwielichtigen Banker-Duo sowie einem Vertreter eines ukrainischen Wasserkonzerns gegenüber, die ihm seine Pläne mit allen Mitteln zu entlocken versuchen. Ido weigert sich und die Verhandlungen geraten außer Kontrolle.

Neben diese wirtschaftspolitische Konstellation tritt die in der modernen Dystopie typische Annahme des alles umfassenden Überwachungsstaates. Der Gläserne Bürger ist in „Hydromania“ ein gläserner Konsument, denn nicht primär der Staat, sondern die Konzerne überwachen 2067 die Menschen. Wofür George Orwell jedoch noch einen allseits präsenten „Big Brother“ brauchte, benötigt Gavron lediglich einen implantierten Chip in Reiskorngröße (genannt Doy), der seiner körperlichen Gegenwart zum Trotz aus dem Sinn der Menschen verschwindet. Über diesen Doy können Behörden und Konzerne auf Knopfdruck Informationen über Aufenthaltsort, Arbeitsverhältnis, Wohnsitz, Gesundheitszustand, Vermögen, Kommunikations- und Kaufgewohnheiten abrufen. Über ein sogenanntes Sky-Eye-Earth-System wird jede Handlung jeder Person weltweit aufgezeichnet und archiviert.

Die Herren über Technik und Wasser sind China, Japan und die Ukraine. Sie kontrollieren die weltweiten Wasservorräte einschließlich der Niederschläge (über Heerscharen „helikologischer Hubschrauber“ bestimmen sie Zeitpunkt und Ort ihres Abregnens) und verkaufen das kühle Nass weltweit gegen Barzahlung. So lebt die Menschheit in einer totalen Abhängigkeit von den Konzernen.

Damit beginnt auch der Roman, in dem Gavron die Handlung anfangs auf die zurückgebliebene Maja fokussiert, die verlassen und schwanger versucht, den Kampf gegen Durst und persönliche Verzweiflung zu bestehen. Den einzigen Ausweg aus ihrer Lage sieht sie darin, an einen Doy zu gelangen, der ihr ein besseres Leben ermöglicht. Doch damit erreicht sie das Gegenteil. Nach einem illegalen Wechsel des Chips kommt ihr die Polizei auf die Spur und sie gerät in den Verdacht, den ehemaligen Besitzer des Doy umgebracht zu haben. Als feststeht, dass es sich bei diesem um einen der beiden kriminellen Banker handelt, mit denen Ido verhandelte, bevor er verschwand, eröffnet Gavron seine diametral aufgebaute Erzählung. Während er den Leser vom Ausgangspunkt des Romans Schritt für Schritt zu den dubiosen Geschehnissen rund um die Verhandlung mit Ido zurückführt, treibt er mit Majas Perspektive die Geschichte voran. Diese zieht nun aus lauter Verzweiflung in den Kampf gegen die Konzerne.

Assaf Gavron hat seinen Roman wie das Leben entworfen, das sich ihm tagtäglich bietet. Er wirft den Leser zwischen der Geschichte Idos und der Majas hin und her, so wie Israelis und Palästinenser jeden Tag zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwanken. Wie bei einem Tennisspiel erhöht er mit jedem Perspektivwechsel den Druck und die Spannung auf seine Hauptpersonen, indem er mit jeder Seite seines Romans ein weiteres Puzzleteil in seiner pessimistischen Kriminalutopie ergänzt.

Neben der allgegenwärtigen Warnung vor den drei großen K’s Krieg, Klimawandel und Kapitalismus scheint Gavrons Kernaussage vor allem in seiner Hoffnung auf einen nahöstlichen Frieden mithilfe der weiblichen Vernunft zu liegen. Denn schließlich nimmt Maja ihr Schicksal und das ihrer Gemeinschaft in die eigenen Hände, während Ido in seinem persönlichen Krieg gegen die Konzerne scheitert. Die weibliche Protagonistin ist es, die sich mit Argumenten gegen die Skeptiker und Widerständler durchsetzt und ihrer Gemeinschaft zumindest eine Perspektive bietet. Die männliche Figur hingegen fährt mit ihrer blinden Wut bereits die Chance auf Veränderung gegen die Wand. Insofern war die Veröffentlichung des Originals im vergangenen Jahr vielleicht auch eine politische Wahlempfehlung für die Israelis, mit Zipi Livni auch eine grundsätzlich andere Politik, eine weibliche Politik zu wählen, um der Region eine Chance zu geben. Die bisher einzige weibliche Ministerpräsidentin Israels Golda Meir war in ihrem Tun stets verantwortungsvoll um Frieden in der Region bemüht, Zippi Livni hätte vielleicht in ihre Fußstapfen treten können.

Wir werden es nicht wissen, denn die Israelis haben nicht auf Gavron gehört. Sie haben mehrheitlich der nationalkonservativen Regierung um Benjamin „Bibi“ Netanjahu und Avigdor Liebermann an die Macht verholfen. Wohin sie das langfristig führen kann, zeigt dieser überaus lesenswerte politische Zukunftsroman von Assaf Gavron.

Titelbild

Assaf Gavron: Hydromania. Roman.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
Luchterhand Literaturverlag, München 2008.
290 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783630621562

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