Was der Bauer nicht kennt

Über Kathrin Groß-Strifflers Roman „Gestern noch“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was nur, denkt man nach den ersten Seiten, bringt eine preisgekrönte Autorin wie Kathrin Groß-Striffler (Alfred-Döblin-Preis 2003) dazu, sich derart konsequent von der Gegenwart abzuwenden? Und stattdessen einen Roman vorzulegen, der, wären nicht gelegentlich die Beatles aus dem Transistorradio im Kuhstall zu hören, der Epoche der Neuromantik und Heimatkunst entstammen könnte? Ein liebeskranker adoleszenter Ich-Erzähler, der zwischen zwei Welten zerrissen ist, dem Leben auf dem Land und dem in der Stadt, und der natürlich „Dichter“ werden will, eine klassisch-gepflegte Prosa und emphatische Naturbeschreibungen: Es fehlte nicht viel, und „Gestern noch“ ginge glatt als wiedergefundenes Frühwerk Hermann Hesses durch.

Andererseits, so ließe sich boshaft noch eins draufsetzen, erscheint das Sujet dieses Romans angesichts des Erfolgs der RTL-Doku-Soap „Bauer sucht Frau“ als geradezu brandaktuell: Eine höchst unwahrscheinliche Liebe auf dem Land, irgendwo in einem fränkischen Kaff, irgendwann in den 1960er-Jahren. Da sind Johann Andres, ein fleißiger, etwas schwermütiger Bauer Mitte 30, der den Hof seiner Eltern übernommen hat, und sein kleiner Bruder Nikolas, der Nachkömmling und der erste der Familie, der das Gymnasium besucht. Und da ist Maria, die Abiturientin aus dem „Millionenviertel“ jener Ortschaft, die für Marias Eltern, sie ist Ärztin, er Apotheker, nur ein „beschissenes Nest“ ist. Maria klopft eines Tages bei den Andres’ an, fragt, ob sie das Pferd ausreiten darf, will es dafür auch täglich putzen und ausmisten.

„Die kommt einmal und nicht wieder“, beruhigen sich die Brüder. Für sie ist Maria zunächst ein Wesen aus einer anderen Welt, ein Eindringling. Doch sie täuschen sich. Maria macht es nicht nur nichts aus, mit anzupacken und ihr Parfüm gegen Stallgeruch zu tauschen. Mit ihrer lebensfrohen, naturverbundenen Art fühlt sie sich auf dem Bauernhof schnell heimisch. Einige Monate später sind Maria und der etliche Jahre ältere Johann ein Paar und wollen heiraten – Maria will Bäuerin werden.

Das kann nicht gut gehen. „Öl und Wasser vermischen sich nicht“, argwöhnt Johanns bereits alt gewordene Mutter, gibt aber, da sich die beiden nun mal lieben, ihren Segen. Anders als Marias Eltern. Sie wollen nicht wahrhaben, dass sich ihre Tochter, die eigentlich studieren sollte, im Stall oder in der Natur zum ersten Mal glücklich fühlt. Die Hochzeit findet ohne sie statt.

Das Dorf zerreißt sich natürlich das Maul über das ungleiche Paar. Skeptisch prophezeit der Nachbar: „Die schmeißt doch den ganzen Krempel über kurz oder lang hin! Wenn schon unsere Frauen keine Lust mehr haben, Bäuerinnen zu sein“.

Der Nachbar wird Recht behalten und doch auch wieder nicht. Denn bis Maria hinschmeißt, wird es lange dauern, und diesem Kampf zuzuschauen, ist bewegend und lässt einen die anfänglichen Vorbehalte gegen dieses Buch vergessen. Was Maria, die nur auf sich vertraut und – unerhört für ihre Umwelt – nicht auf Gott, beinahe scheitern lässt, ist nicht die Enge und Härte ihres neuen Lebens. Es ist auch nicht ihre Sehnsucht nach zumindest gelegentlichen Ausbrüchen in die weite Welt oder dass Johann sich als reiner Wirklichkeitsmensch erweist, der vor allem Neuem zurückschreckt. Sondern es ist – ein Bisschen von alledem, ein tragischer Abnutzungs- und Zermürbungskampf, den Maria, angetrieben von ihrem Wohlstandsschuldgefühl, täglich verbissen führt.

Was macht glücklich? Was zeichnet ein gelingendes Leben aus? Wie bestimmen Entscheidungen und ihre Konsequenzen unser Leben? Solche zeitlosen Fragen sind es, die Kathrin Groß-Strifflers Roman, ihr bislang dritter, stellt. Dass der Leser am Ende so ratlos zurückbleibt wie der Ich-Erzähler, Johanns jüngerer Bruder, schadet nicht, im Gegenteil. Nikolas wird wie Maria die Grenze seiner Herkunft überschreiten. Sein Leben verläuft zu dem Marias entgegengesetzt, aber nicht minder tragisch.

Er, der Bauernjunge, wird sich für die höhere Schule und das Leben in der Stadt mit seinen tausend Möglichkeiten entscheiden. Am Ende wird er nirgendwo wirklich zu Hause sein. Mit seiner „schlichten, bescheidenen“ Erzählung will Nikolas seinem Bruder und Maria, die er voller Schuldgefühle heimlich liebt, „ein Denkmal setzen“. Vor allem aber will er die verlorene Heimat in der Sprache wiederfinden. „Vergiss dein Elternhaus nicht!“, gibt ihm die Mutter mit auf den Weg. „Es möge nie der Tag kommen, an dem du dich unser schämst!“ Sie ahnt nicht, dass das längst der Fall ist, dass Nikolas hofft, Maria werde Johann verlassen und mit ihm in die Stadt ziehen.

Als alles vorbei und zu spät ist, wird er sich liebevoll an die Menschen zu erinnern versuchen: an den senilen Vater mit seinen peinlichen Zoten, an die auf Gott vertrauende Mutter, an den dickköpfigen Nachbarn Josef, der sich von seinem Pferd kommandieren lässt. Wird verzweifelt den Geruch frisch gespaltener Holzscheite beschwören, den Schrei der Milane über den Feldern, die über den Dung stobenden Mückenschwärme und den Tanz der Staubkörner in der sonnenlichtdurchfluteten Scheune. So lässt die Autorin ihren Erzähler ein berückend sinnliches, berührendes Buch voller malerischer Bilder schreiben.

Titelbild

Kathrin Groß-Striffler: Gestern noch. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
212 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783351032067

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