Wider die weltweiten Hermann-Hesse-Epigonen

Andrew Brown kann sich in „Schlaf ein, mein Kind“ nicht zwischen Moralin und Selbstsucht entscheiden

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eines der großen Geheimnisse lesender Menschen, warum sie die Geschichte eines Fünfzigjährigen in der Krise ungemein aufschlussreich finden und es für ganz großartig halten, dass dieser unerträglich weinerliche und selbstverliebte Kerl seine angebliche Selbstbefreiung darin finden will, nicht nur haufenweise Drogen in sich hineinzuverlagern, sondern auch noch auf herumfahrende Autos zu ballern und jede Frau zu beschlafen, die ihm über den Weg läuft und die nur einigermaßen attraktiv ist. Hermann Hesses „Steppenwolf“ ist eigentlich kaum mehr als die Literatur gewordene Bigotterie: Was sich der Metzger von nebenan immer gewünscht hat, aber sich nie zu tun wagte (aber was wissen wir vom Metzger nebenan?).

Andererseits greift der Roman auch nur der infantilen Spaßgesellschaft voraus, die sich im Hier und Jetzt feiert, dabei dem noch mehr gibt, der eh schon hat, und sich dabei um soziale oder zivilisierte Standards nicht kümmern muss, solange niemand ernsthaft zu Schaden kommt und die Strafverfolgung droht. Aber was heißt schon „ernsthaft“.

Warum es attraktiv sein soll, sich über alles und jeden hinwegzusetzen und der eigenen Selbstsucht zu frönen, ist einigermaßen unklar, nicht zuletzt deshalb, weil – frei nach Max Horkheimer und Theodor W. Adorno – „Fun ein Stahlbad“ und keinesfalls ein Vergnügen ist. Auch der Atavismus ist anstrengend, derart anstrengend, dass einem schon nach kurzem Hineinblinzeln in solche Denk- und Lebensverhältnisse jeder intellektuelle Krähenwinkel angenehmer vorkommt.

Warum das anlässlich eines marginalen Krimis aus Südafrika, der soeben bei btb erschienen ist? Weil unser Hermann Hesse anscheinend im Brown’schen Gewande wiedergekehrt ist und einen neuen Harry Haller gefunden hat, an dem die jungen Leute ihren Gefallen finden können.

Ein nach Stellenbosch (Südafrika) versetzter Mordermittler namens Eberhard Februari – ist in der Lebenskrise, geschieden, alles an Drogen, was nur denkbar ist, dazu der Suff, und dann der Zusammenbruch – wird auf die Aufklärung eines Mordes an einer jungen weißen Frau angesetzt. Seine Kollegin Xoliswa Nduku unterstützt ihn dabei. Es dauert nicht lange, bis die beiden einen illegalen Schwarzen finden, der in derselben Disko arbeitet wie das junge Mordopfer. Die beiden hatten offensichtlich ein Verhältnis, das möglicherweise eskalierte, dabei kam dann die junge Frau zu Tode. Der Mann wird inhaftiert, kurze Zeit später taucht der Vater des Opfers auf, verschafft sich Zutritt zur Zelle und erschießt den Verdächtigen. Da alle Indizien auf den Mann hindeuten und der Vater plausibel machen kann, dass der ihn angegriffen habe, wird die Akte geschlossen.

So weit, aber eben gar nicht gut. Denn dem einigermaßen gewieften Krimileser ist erstens klar, dass der Verdächtige zu schnell verdächtig war, und zweitens, dass der Vater allzu rasch von der Anklage verschont geblieben ist, weshalb die Geschichte weiter erzählt werden muss.

Am Ende können die beiden Ermittler in der Tat den richtigen Täter finden, und alles löst sich so, wie es das gerechte Herz mag. Aber es gibt eine Reihe von störenden Elementen in der Geschichte, wie sie Andrew Brown anlegt.

Da ist zum einen die Vorgeschichte der Familie, aus der das Mordopfer stammt, und zwar aus den Gründungstagen der Kolonie der Ostindienkompagnie – die uns „was?“ sagen soll? Und dann ist da noch die Geschichte des verzweifelten, niedergeschlagenen, orientierungslosen und armen Inspektors Februari, der bei seinen Erkundungen zum Mordfall auch jene Disko besucht, in der die junge Frau ihre letzte Nacht verbracht hat. Dort aber trifft er nicht nur auf die tanzende Menschenmenge, in deren Bewegungen sich Rhythmus, Masse und sexuelles Begehren zu vereinen scheinen, er trifft auch auf den Eigentümer, der Februari in der Manier von Hesses „Steppenwolf“ den Führer aus seinem Biotief zu machen scheint.

Dessen Lehren sind allerdings von unsäglicher Dämlichkeit: Die Zivilisation habe die männliche Sexualität beschnitten, Verbote und Zurückweisungen allerorten, während der Löwe jede läufige Löwin begatte und jede es über sich ergehen lasse, müsse der Menschenmann jedes Mal um Zustimmung und Erlaubnis fragen, ansonsten laufe er in Gefahr, wegen sexueller Belästigung, Vergewaltigung oder was auch immer belangt zu werden.

Er nun, Laurent mit Namen, biete auserwählten Männern der gesellschaftlichen Elite einen besonderen Service, er biete ihnen die Gelegenheit, ihre Sexualität voll und ungehemmt ausleben zu können. Kein nein, kein geht nicht, nur Begehren in Ausübung. Am Ende ist das alles zwar nur Fake, aber dieser Laurent hat auf den dem Suff verfallenen Februari immerhin solange großen Einfluss, bis der sich in der Umarmung mit seiner Assistentin endlich ausheulen kann. Was soll man davon halten? Am besten gar nichts.

Die Kriminalgeschichte, die Brown erzählt, ist einigermaßen tauglich, die zwischendurch abgedruckten Wiegenlieder, die Teil des Falls sind, will man nicht lesen, die Krisengeschichte seines Hauptermittlers ist ziemlich abgedroschen, die parallel geführte Vorgeschichte ist am Ende auch nicht mehr als ein Seitenfüller, es sei denn, hier sollte ein fatalistische Moment eingeführt werden, von wegen Gewalt wird begründet und setzt sich von Generation zu Generation fort. Aber auch das hilft nicht weiter. Vielleicht muss ein Krimi einem auch nicht weiter helfen, aber unterhaltsam sollte er schon sein.

Titelbild

Andrew Brown: Schlaf ein, mein Kind. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Mechthild Barth.
Goldmann Verlag, München 2009.
384 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783442739516

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