Leitfaden für angehende Literaturkritiker

Ebenso konstruktiv wie unterhaltsam präsentiert Volker Hage Textsorten der Literatur

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er ist einer der profiliertesten Literaturkritiker Deutschlands: Volker Hage, Literaturredakteur des Wochenmagazins „Der Spiegel“. Auch sein jüngstes Buch zeigt ihn als glänzenden Stilisten und scharfsinnigen Kopf. Da mag man dem Buch, und damit auch seinem Autor, die zur Mode gewordene Unsitte verzeihen, eigene Literaturkritiken zu sammeln und, wenig verändert, zwischen zwei Buchdeckeln herauszugeben. Literaturkritik lebt vom Aktualitätsbezug und nur wenige haben es vermocht, durch solche Sammlungen einen dauerhaften Eindruck im Literaturbetrieb zu hinterlassen. Manchmal war dieser Eindruck, man denke etwa an den großen Übervater Marcel Reich-Ranicki (und hier haben wir schon wieder ein Buch, das ihm gewidmet ist!), ein äußerst zwiespältiger.

Hages Buch ist eine der Ausnahmen zur Regel. Zunächst wird „Das Handwerk des Kritikers“ erläutert, Hage spricht dabei aus einer 35jährigen Berufserfahrung und er vermag es, Theorie und Praxis des Lesens reflektiert und differenziert darzustellen, dabei nimmt er immer wieder auf auch heute noch wichtige Autoritäten wie Roland Barthes oder Sainte-Beuve Bezug. Sein Unbehagen gegenüber der Literaturwissenschaft, die sich mit Literaturkritik beschäftigt, formuliert Hage sehr vorsichtig, zumal er die Kritik als wichtigen Gegenstand auch des wissenschaftlichen Diskurses ansieht. Sicher ist ihm zuzustimmen, dass nicht alles Gold ist, was in der Wissenschaft zu glänzen versucht, und der von ihm zitierte, zweifellos real existierende Titel „Theoretische und praktische Aspekte zeitgenössischer Literaturkritik im medialen Kontext“ ist zum Fürchten.

Interessant sind auch Hages Ausführungen zur Entwicklung der Kritik, die vielleicht etwas durch die rosarote Kritikerbrille gesehen werden, aber die aktuellen Probleme benennen: „Ist alles beliebig geworden, zu Gequassel ausgeufert? Nun ja, vielleicht gibt es nicht allzu viele herausragende Kritikerpersönlichkeiten, vielleicht nimmt die Beliebtheit von Buchtips [sic] und Kürzestkritik zu, auch mag die Literaturkritik für den Buchmarkt längst nicht die entscheidende Rolle spielen – doch merkwürdig bleibt, daß das Interesse an ihr, der Kritik, auch das theoretische, nicht abnehmen will.“ Sympathisch ist, dass Hage der Tendenz zur Selbstinszenierung von Kritikerpersönlichkeiten wenig abgewinnen kann. Auch die Rolle der Literaturkritik sieht er ganz pragmatisch, weder attestiert er ihr ein notwendiges Sendungsbewusstsein, etwa das Amt eines Richters oder Anwalts oder Aufklärers, noch hält er sie für unzuständig. Hage betont das Vermittelnde, das immer von der subjektiven Kritikerpersönlichkeit und ihrer Suche nach objektivierbaren Kriterien abhängt: „Jedes Gespräch über Literatur ist ein Tasten, ein erster Schritt, ein Vorschlag, selbst der verstiegenste Monolog ein Angebot zum Dialog, zur Erwiderung und Revision.“ Freilich könnte man darauf erwidern, dass die relative Publikationsmacht der Kritiker und die Verletzungen, die sie Autoren zugefügt haben, ‚verstiegendste Monologe‘ wohl kaum rechtfertigen.

Um die „Formen der Kritik“, die Möglichkeiten zu „Interviews und Porträts“, die „anderen journalistischen Formen“ und die „Nebenschauplätze“ wie Film- und Theaterkritik zu demonstrieren, hat Hage eigene Texte ausgewählt, leicht bearbeitet und stellenweise kommentiert. Sie sollen als Beispiele für mögliche Textsorten dienen, nicht als, wie Hage ausdrücklich betont, nachzuahmende Vorbilder; auch wenn man vermuten kann, dass er seine Texte nicht gerade für ungeeignet hält, als solche zu gelten. Erfreulich ist, wie differenziert und treffend Hage zu Werke geht, etwa Rezension, Kurzkritik, Sammel- und Porträtkritik unterscheidet. Hier kann der interessierte Leser, möglicherweise ein Nachwuchskritiker, viel über das Handwerkszeug der Literaturkritik lernen und er bekommt außerdem ein kleines Panorama der Gegenwartsliteratur geboten, denn die Gegenstände der ausgewählten Texte reichen von Marcel Proust und Max Frisch bis zu Maxim Biller und Daniel Kehlmann. Zur Idee und Durchführung kann man also Volker Hage nur beglückwünschen, und doch noch mehr seine Leser. Das Buch füllt eine Lücke und es füllt sie vorbildlich aus.

Titelbild

Volker Hage: Kritik für Leser. Vom Schreiben über Literatur.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
336 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783518461075

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