Provinzklischee revisited

Oliver Uschmanns dritter Teil der Hartmut-und-ich-Saga, „Wandelgermanen“, beschreibt treffend deutsche Provinz-Befindlichkeiten

Von Jule D. KörberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jule D. Körber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist schon fast ein zu klassischer Plot: Ein Pärchen aus der Stadt kommt durch verworrene Umstände in den Besitz eines Hauses auf dem Land. Sie malen sich ihr neues Leben idyllisch aus – raus aufs Land, rein ins neue Leben jenseits des Straßenlärms und der Luftverschmutzung.

Doch als sie ankommen, ist das Haus eine lebensgefährliche Bruchbude, die Dorfbewohner sind kauzig bis gruselig und die Städter stehen blöd da. Vor ihnen ihr in sich zusammenfallender Traum vom Landleben und um sie herum lauter Menschen, die nach einem sozialen Regelwerk spielen, welches ihnen völlig unbegreiflich ist. Was tun? Meistens wird sich dann lautstark gestritten – und hinterher versöhnt, in die Stadt zurückgekehrt oder das Haus wird im Kollektiv mit den Einheimischen zur Villa aufgemöbelt. So gesehen 1986 im Hollywood-Streifen „Geschenkt ist noch zu teuer“ mit Tom Hanks – und das war schon ein Remake. Plots wie diese lauern vermutlich Hunderte da draußen. Bei Hartmut und dem Ich-Erzähler läuft es im dritten Teil der Reihe (Hartmut und Ich) etwas anders – und doch sehr ähnlich.

Die beiden müssen ihre geliebte Bochumer WG verlassen – das Haus in der Wiemelhauser Straße droht einzustürzen. Die Zeit drängt, denn der Garten ihres Hauses endet demnächst an der A44. Aber den beiden Bewohnern bleiben sowieso nur ein paar Wochen, denn lediglich der im Gemäuer festsitzende LKW hält ihr liebgewonnenes Haus überhaupt noch zusammen.

Ein perfektes Idyll für Hartmut und Susanne, den Ich-Erzähler und dessen neue Freundin, die Künstlerin Caterina, zu finden, scheint nicht einfach. Doch manchmal liegt das Glück nur einen Mausklick entfernt – in diesem Fall bei eBay. Hartmut ersteigert für 8.000 Euro ein Fachwerkhaus in der schwäbischen Provinz, in dem er seine Online-Beratung weiter vorantreiben kann, Susanne eine Werkstatt und Caterina ein Atelier bekommen sollen. Sie packen ein und geraten in eine dörfliche Umgebung, die nichts mit dem erträumten Idyll gemein hat – im Gegenteil.

Das Fachwerkhaus entpuppt sich als verrottete Bruchbude, in dessen Keller sie eingemachte Organe finden. Und die neuen Nachbarn, ob dauerrauchend oder fußbadend, sind auch mehr als merkwürdig. Die Frauen ergreifen alsbald die Flucht.

Bevor das Landleben also beginnen kann, dürfen sich Hartmut und sein Mitbewohner zunächst mit allerhand Gerümpel herum schlagen: Auf dem Dachboden zurückgelassene, sie anstarrenden Gruselpuppen, ein defekter Ofen, die örtlichen Gepflogenheiten der Stadtverwaltung und die mysteriösen Runen im Mobiliar von Nachbar Ernst und dessen Frau Johanna, einem Hansi Hinterseer-Fan. Die Ereignisse überschlagen sich, denn die Männer müssen möglichst schnell ihr Haus sanieren, wenn sie ihre Frauen zurückgewinnen wollen. Gleichzeitig holt sie der ganz normale Irrsinn des ländlichen Lebens auf nicht vorstellbare Weise ein.

Wer kann Hartmut und seinem Kumpel nun helfen? Der gepriesene Restaurator Leuchtenberg, der aber einem Phantom gleich nur dann erscheint, wenn er die Zeit für gekommen hält? Oder die neuheidnischen Dorfbewohner, die als „Wandelgermanen“ barfuß durch den Wald streifen? Oder deren Söhne, die als uniformierte, paramilitärische Waldfront durchs Unterholz schleichen? Oder hilft nur, wieder die Kisten zu packen und dem Landleben den Rücken zu kehren?

Was in der Zusammenfassung anmutet wie eine typische Geschichte von Städtern, die auf dem Land an ihrem Abriss-Haus und den Dorfbewohnern scheitern, ist im Detail viel einfallsreicher und ausgefeilter als vermutet.

Erst einmal sind Hartmut und der Ich-Erzähler kein typisches Komödien-Pärchen – Hartmut, der Pseudo-Intellektuelle, der sich mit allerlei geistesschwerem, aber gut argumentiertem Blödsinn erfolgreich durch Leben schlägt und daneben der bodenständige Ich-Erzähler, ein ehemaliger Paketfahrer. Die beiden passen nur scheinbar nicht zusammen, wie die beiden Vorgängerbände bewiesen haben. Nun kommen dazu ihre Freundinnen, die etwas zu gute Partien sind für die beiden Chaoten.

Und dann dazu eine Dorfgemeinschaft, die fast schon einer Baudrillard‘schen Hyperrealität entspricht. Wahrscheinlich gibt es den Horrorbaumarkt, in dem Hartmut und der Erzähler regelmäßig verzweifeln, in der provinziellen Wirklichkeit nicht. Genauso wenig wie die barfüßigen Wandelgermanen und deren Söhne, die hinterwäldlerischen Paramillitärs. Und doch findet man es nicht wesentlich unvorstellbarer als das, was ein SZ-Journalist in einer investigativen Reportage aus dem niedersächsischen Schützenverein berichtet.

So wächst Oliver Uschmann im dritten Teil der Reihe über sich hinaus: Auf Basis eines doch schon sehr abgegrasten Plots erzählt er mit Hilfe seiner dankbaren Hauptfiguren etwas über deutsche Befindlichkeiten zwischen Provinz und Ruhrpott.

Natürlich lebt der Witz da von der Übertreibung des Klischees, von einem emphatischen Umgang mit Ironie. Aber gleichzeitig ist dieses Klischee so genau an der Wirklichkeit in deutschen Köpfen orientiert, dass der Humor erfolgreich und unausweichlich auf den Leser selbst zurück verweist.

Titelbild

Oliver Uschmann: Wandelgermanen. Hartmut und ich stehen im Wald.
Scherz Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
384 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783502110514

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