Wenn Bürger Dichter verehren

Thomas Hürlimanns „Dämmerschoppen“ versammelt Geschichten aus dreißig Jahren

Von Gunter IrmlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunter Irmler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Hürlimann ist ein Meister des literarischen Augenzwinkerns. In seinem neuen Band „Dämmerschoppen“ hat er Geschichten aus dreißig Jahren versammelt. Die Titel gebende Novelle erzählt vom siebzigsten Geburtstag des Dichters Gottfried Keller. Es ist eine wunderbare poetische Verbeugung Hürlimanns vor seinem schriftstellerischen Ahnen. Da will die Schweiz überall im Lande den Dichter zu seinem Geburtstag feiern. Doch Keller flieht vor den Feierlichkeiten: Unter falschem Namen quartiert er sich in ein nobles Hotel über dem Vierwaldstätter See ein. Alleine verweilt er auf der Terrasse des Hotels und trinkt dort eine Flasche Wein. Und der Kellner des Hotels weiß nicht einmal, welchen bedeutenden Gast er gerade bedient. Ausgerechnet vor dem großen Dichter selbst klagt er über die falschen Töne in dessen Lyrik und rüstet die Terrasse für die Gottfried-Keller-Feierlichkeiten.

Packend erzählt Hürlimann diese Novelle: Er gestaltet Figuren, Dramaturgie und Geschichte sprachlich höchst differenziert und pointiert. Der Autor zeigt uns das leere Pathos offizieller Dichterverehrungen, das mit der einsamen Existenz des Schriftstellers in Konflikt gerät. Hürlimann, 58, Sohn eines früheren Schweizer Ministers, lebt bei Einsiedeln in der Schweiz und in Berlin. Er hat sich nach einem abgebrochenen Studium der Philosophie seit den 1980er-Jahren in die vorderste Reihe deutschsprachiger Autoren geschrieben. Mittels literarischer Komik entlarvt er in dieser Novelle den Biedersinn der Dichter-Feierlichkeiten der Bürger genauso wie er die Einsamkeit der Existenz des Schreibenden aufleben lässt.

In weiteren Texten des Bandes widmet sich Hürlimann ebenso der Literatur als Thema. Ob Goethe in den Schweizer Bergen, Thomas Bernhard im Intercity oder aktuelle Autoren und Journalisten in einem grotesken Dichtergarten am Comer See: Die Geschichten sind mit leiser oder ausgeprägter Komik gestaltet – mal fein ausbalanciert, mal etwas zu holzschnittartig. Jedenfalls gibt es dabei stets ungewöhnlich viel zu schmunzeln.

Auch Begegnungen mit Randexistenzen in der Metropole Berlin sind das Thema des Werks und wundersame Ereignisse der Kindheit – so das plötzliche Eindringen technischer Innovationen in den Alltag. Hürlimann erzählt wie der Vater zum stolzen Besitzer eines Ford-Wagens wurde. Wie eine lange Reise der Familie mit dem neuen Fahrzeug durch die Schweiz der 1950er-Jahre von einer überraschenden Begegnung mit dem leibhaftigen Charlie Chaplin vor dessen Haus gekrönt wurde. In diesen und anderen Zeilen des Bandes schimmert der Glanz dichterischer Leichtigkeit, der auf die nächsten Werke des Autors neugierig macht.

Titelbild

Thomas Hürlimann: Dämmerschoppen. Geschichten aus 30 Jahren.
Ammann Verlag, Zürich 2009.
193 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783250108016

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