Gewalt und Terror helfen nicht weiter

Bernard Wassersteins sachkundige Studie über den Nahostkonflikt

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fast täglich berichten die Medien über den Konflikt in Israel, und oft wird gefragt, warum sich die Israelis und Palästinenser einander so spinnefeind sind? „Warum kämpfen sie und wie können sie aufhören?“, überlegt auch Bernard Wasserstein, renommierter Historiker und Dozent an der Universität Chicago, in seiner 2003 erstmals erschienenen und für die Neuauflage auf den neuesten Stand gebrachten Publikation „Israel und Palästina“. Hier untersucht er die Geschichte und gegenwärtige Realität der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen nach vier Gesichtspunkten: nach demografischen, sozio-ökonomischen, ökologischen und territorialen, und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf vernachlässigte Aspekte der israelisch-palästinensischen Beziehungen. Dabei stützt er sich auch auf Arbeiten israelischer, arabischer, amerikanischer und europäischer Historiker, die nach seinem Dafürhalten eine nüchterne Einschätzung zukünftiger Chancen ermöglichen. Vor allem aber verbindet der Autor mit seinen Analysen die Hoffnung, auf diese Weise einer friedlichen Lösung des über hundertjährigen Konfliktes näher zu kommen. Denn nicht nur nationalistische und religiöse Ideologien heizen diesen Konflikt immer wieder an. Auch Faktoren wie Bevölkerungsentwicklung, Arbeit oder soziale Fragen spielen hierbei eine wichtige Rolle. Letztlich kämpfen sowohl die Israelis als auch die Palästinenser um klar definierte Interessen, stützen sich auf verständliche Wertsysteme und verfolgen nachvollziehbare Ziele, wie Bernard Wasserstein in fünf größeren Kapiteln unter den Überschriften „Die Menschen“, „Die Gesellschaft“, „Die Umwelt“, „Das Territorium“ und „Die Dynamik politischer Veränderung“ während der letzten knapp hundert Jahre aus einer analytischen und neutralen Perspektive klar und verständlich erläutert.

Wasserstein weist darauf hin, dass sich sowohl die Israelis als auch die Palästinenser als eine Nation von Opfern betrachten und in solipsistischer Selbstgerechtigkeit ihre gewalttätigen Methoden rechtfertigen. Bedauerlicherweise gibt es sowohl bei den Israelis als auch bei den Palästinensern noch immer eine kleine Minderheit, in deren Denken sich Religion und Nationalismus miteinander vermischen und zu einer Akzeptanz terroristischer Methoden geführt haben, obwohl keine der beiden Religionen solche Mittel gutheißt. Beide Seiten haben lange die nationale Existenz und Legitimität der anderen Seite geleugnet. Heute sind beide fast am Ende.

Zunächst diskutiert der amerikanische Historiker die Bevölkerungsfrage von Beginn der zionistischen Besiedelung Palästinas an und glaubt, dass der Staat Israel gegenwärtig durch die demografische Entwicklung bedroht sei, nämlich durch die natürliche Vermehrung der arabischen Bevölkerung und durch den Zustrom von Gastarbeitern, die weder jüdisch noch arabisch sind, während die Massenimmigration von überwiegend europäischen Juden, die sich durch den Antisemitismus in ihren Heimatländern zur Auswanderung nach Israel gezwungen fühlten, offensichtlich der Vergangenheit angehört. Viele Neueinwanderer, insbesondere jene aus den GUS und aus Äthiopien, seien keine Juden und oft auch religiös nicht gebunden. Dadurch werde das orthodoxe Monopol in Frage gestellt. Am Ende haben wir es in Israel nicht mehr mit einer homogenen und hermetisch abgeschlossenen jüdisch-israelischen Gesellschaft zu tun, sondern mit einer pluralistischen, die relativ offene Beziehungen zu ihrer Umgebung und zur Welt pflegt.

Zudem seien die beiden Gesellschaften, die Seite an Seite leben, mehr oder weniger wirtschaftlich miteinander verflochten: Israel, das kein Hebräisch sprechendes Arkadien mehr ist, sondern eine ziemlich fortgeschrittene Industriegesellschaft, in mancher Hinsicht auch eine postindustrielle Techno-Dienstleistungswirtschaft, und das in vielerlei Hinsicht von Israel abhängige palästinensische Gebiet im Westjordanland und Gaza, in dem die Landwirtschaft bei zunehmender Verstädterung immer mehr zurückgeht. Insbesondere der Wassermangel im Land sei für beide problematisch und zwinge sie, so der Autor, nolens volens ihre „Alles-oder-Nichts-Haltung“ aufzugeben und miteinander zu kooperieren.

In den letzten Jahrzehnten habe Israel versucht, immer mehr Land an sich zu ziehen. Jetzt aber komme es auf den Charakter der Grenze an. Wird sie eines Tages durchlässig werden, so dass man, ohne es zu merken, sich von einem Staatsgebiet ins andere begeben kann, oder wird es eine Grenze im Stil des Kalten Krieges sein, mit Stacheldraht, Betonmauern und befestigten Kontrollstellen, fragt sich der Autor. Unter dem Einfluss der Terroranschläge favorisiert die öffentliche Meinung in Israel zwar größtenteils einen solchen „eisernen Vorhang“ zwischen den beiden Völkern. Fraglich sei nur, ob eine solche Trennung auf die Dauer überhaupt durchführbar ist?

Wohl wissend, dass Wunschdenken keine Konflikte löst, ist Wasserstein dennoch der Ansicht, dass, wenn es zum Frieden kommen soll, dieser nur das Ergebnis eines Wandels im kollektiven Bewusstsein der Menschen sein könne. Wohl oder übel müssten beide Völker, wenn sie in ihrem gemeinsamen Heimatland überleben wollen, sich friedlich einigen. Wasserstein ist zuversichtlich, dass es eines Tages so kommt und dass Zeloten und Fanatiker den Prozess der Annäherung nur vorübergehend aufhalten, aber keineswegs für alle Zeit verhindern können.

Der mit hilfreichem Kartenmaterial, Personenregister, Anmerkungen, ausgewählter Bibliografie und einer genauen Zeittafel (1831-2008) ausgestattete Band ist ein wichtiger informationsreicher Diskussionsbeitrag zur Situation im Nahen Osten und eine sachkundige Einführung in einen der schwierigsten Konflikte unserer Zeit. Gleichwohl fragt man sich: Hat der Autor wirklich die ganze Dimension des Konflikts erfasst? Skepsis scheint geboten, da Wasserstein oft monokausale Erklärungen anbietet und suggeriert, durch die Beseitigung der von ihm aufgeführten Ursachen könne der Konflikt automatisch gelöst werden.

Titelbild

Bernard Wasserstein: Israel und Palästina. Warum kämpfen sie und wie können sie aufhören?
Verlag C.H.Beck, München 2009.
176 Seiten, 11,95 EUR.
ISBN-13: 9783406591594

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