Die Sphinx aus Plettenberg

Reinhard Mehring über Leben und Werk von Carl Schmitt

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Politikwissenschaftler Reinhard Mehring ist ein Carl-Schmitt-Kenner par excellence. Zum ersten Mal begegnete ihm das Werk von Schmitt in Seminaren vor mehr als einem Vierteljahrhundert. Offensichtlich war er von dem so angetan, dass er 1988 bei Wilhelm Hennis in Freiburg über Schmitt promovierte. Seitdem hat er sich in zahlreichen Schriften und Rezensionen mit dem umstrittenen Staatsrechtslehrer befasst. (Siehe auch die Rezensionen zu Mehrings Büchern über Carl Schmitt in „Literaturkritik“, Heft 9/2001 und Heft 3/2004.) Jetzt legt er eine umfassende Studie über Schmitts „Aufstieg und Fall“ vor, die fast nichts zu wünschen lässt.

Schmitts ereignisreiches Leben war eng mit dem Schicksal Deutschlands verknüpft. Sein Werk stand ganz im Zeichen der Zwischenkriegszeit und der katastrophalen deutschen Nationalgeschichte seit 1914. Schmitt selbst hat diese Geschichte im Rückblick nie als Erfolgsgeschichte gewertet. Auch die Bundesrepublik, die er noch dreißig Jahre mit erleben konnte, betrachtete er keineswegs als „geglückte Demokratie“. Er selbst war von einer komplexen und widersprüchlichen Persönlichkeit, die man schwerlich auf einen Nenner bringen oder, wie Mehring schreibt, „mit einem Generalschlüssel“ erfassen kann.

„Sein Leben lang empfindet er sich „als intellektuell überlegenen Aufsteiger und Außenseiter“. Zweifellos war Schmitt, meint Mehring „ein charismatischer Menschenfischer“. Viele Legenden ranken sich um die Sphinx aus Plettenberg, wie man Schmitt zuweilen genannt hat.

Früh ist seine Neigung zur Paradoxie und Pointe erkennbar. Polemische Zuspitzung, Übertreibung und Verzerrung waren seine Markenzeichen. Auch seine Rezensionen soll er „nicht ohne Zorn“ geschrieben haben.

Mittlerweile sind allerdings, nachdem der Weimarer Etatismus, Nationalismus und Antisemitismus, wie Mehring hoffnungsvoll meint, nicht mehr gefragt seien, Schmitts politische Positionen „gründlich diskreditiert“:

Fast protokollarisch, um „große Faktizität“ bemüht, und auf hohem Niveau, hat der Autor Schmitts Leben und sein recht verzweigtes Werk detailreich rekonstruiert. Gleichwohl bleiben, da der Autor auf eigene Deutungen verzichtet, Schmitts Leben und Werk auch am Ende noch vieldeutig und rätselhaft. Weit ausholend, minutiös und immer fesselnd zu lesen, geht Mehring auch auf historische und kulturelle Entwicklungen und Ereignisse ein, beschreibt haargenau jede noch so kleine Schrift und Rezension von und über Schmitt sowie einzelne Stationen seines Lebens mitsamt seinen Liebesabenteuern und unterschiedlichen Beziehungen zum anderen Geschlecht. Dabei skizziert er ebenfalls die Lebensläufe all jener Menschen, die Schmitt im Laufe seines langen Lebens getroffen hat und die für ihn wichtig geworden sind. Daneben zitiert er immer wieder Kernsätze aus Schmitts Büchern, listet seine Vortragsreisen und Vorträge auf, wobei er sogar Taschenkalender auswertet.

Geboren wurde Carl Schmitt im „Drei-Kaiser-Jahr“ 1888 am 11. Juli im westfälischen Plettenberg. Hier ist er auch im 97. Lebensjahr gestorben. Er studierte Jura, heiratete zweimal und hatte aus zweiter Ehe eine Tochter, Anima Louise (1931-1983), die nach Spanien heiratete und vier Kinder bekam.

Er war vielseitig interessiert, auch an Musik und Dichtung, und wurde von den Philosophen Edmund Husserl und Martin Heidegger, von den Rechtsgelehrten Franz Liszt und Gustav Radbruch und vielen anderen Menschen beeinflusst.

Mit Theodor Däubler war er befreundet – er hielt ihn sogar für den „größten Dichter der Gegenwart“ und viele Jahre auch mit Ernst Jünger. Schon früh war er fest in rechtsintellektuellen Kreisen verankert. Sogar mit Juden war er befreundet, dennoch hegte er die zu seiner Zeit gängigen Vorurteile über das Judentum, die sich später, insbesondere im Dritten Reich, zum Antisemitismus auswuchsen. „Der Antisemitismus ist ein dunkles Thema und ständiger Schatten“ von seinem Werk, stellt der Autor gleich zu Beginn seines Buches fest.

Schon in jungen Jahren schrieb Schmitt für Zeitschriften, hielt Rundfunkvorträge und führte im übrigen ein Leben als „Jurist und Bohemien“. Er publizierte diverse „gewichtige juristische Schriften“, zum Beispiel über den „Wert des Staates“. 1913 erscheinen die „Schattenrisse“ und einige Jahre darauf die in den letzten Kriegsjahren zwischen 1915 und 1918 entstandene „Politische Romantik“, ein Werk, mit dem er, laut Mehring, 1919 den Nerv seiner Zeit traf. Hier verwarf er die Mentalität des Bürgertums. In „Die Diktatur“ (1921) kritisierte er dann auch die objektive politische Verfassung des Bürgertums. Vor allem aber verlangte er, dass das Individuum das wollen solle, „was der Staat fordert“. Von einer Autonomie der Moral im Sinne Kant oder heutiger säkularer Ethik wollte er nichts wissen.

Mitte der zwanziger Jahre (er lehrte damals als Hochschulprofessor an der Bonner Universität) ergriff er erstmals verfassungspolitisch konkret Partei und trat exponiert als Katholik auf. Anfang 1926 kam es zum Bruch mit der Kirche, und Schmitt bekannte: „Es ist ein Glück, dass ich von den Pfaffen loskomme“. Als er 1926 heiratete, schenkte er sich bezeichnenderweise für seinen weiteren Lebenslauf „die gesammelten Werke von Machiavelli“. Sicher nicht von ungefähr, interessierte er sich doch nun mehr und mehr für den italienischen Faschismus und gab angesichts der sich zuspitzenden politischen Entwicklungen in Deutschland seine rechtsstaatlichen Überzeugungen nach und nach auf, radikalisierte sich antisemitisch und näherte sich langsam alternativlos einer Option für den ,totalen Staat‘ an.

Im Juli 1932 rückte er zum „Kronjuristen“ des Präsidialsystems auf und war als Verfassungsberater gefragt. Der Autor hält es für gesichert, dass Schmitt eine Machtübernahme Hitlers zunächst abgelehnt hat und dass er erst nach verschiedenen Enttäuschungen und Kränkungen, nach dem Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933, auf den Boden der neuen Legitimität übergewechselt und in die Partei eingetreten sei, weil er glaubte, dass er seine bisherige Rolle als Staatsrechtslehrer nur unter nationalsozialistischen Vorzeichen wahrnehmen könne. Mehring ist allerdings davon überzeugt, dass Schmitt nicht mit den Wölfen hätte heulen müssen und er im Dritten Reich „als renommierter konservativer Politiker relativ unbehelligt“ hätte leben können. Doch Schmitt war ungeheuer ehrgeizig und verstrickte sich dann immer mehr in Schuld, die er sich später kaum eingestehen wollte. Er rechtfertigte die Ermordung Schleichers 1934, befürwortete offensichtlich die „Verbrennung der Schandbücher“, hielt Vorträge im Sinne der Partei und publizierte im „Völkischen Beobachter“. An manchen Vertreibungen seiner jüdischen Freunde und Kollegen hat er aktiv mitgewirkt und sich „als nationalsozialistischer Scharfmacher“ profiliert – bis zu seinem Sturz im Dezember 1936, den diverse Gegner wie die SS-Juristen Reinhard Höhn und Karl August Eckhardt bewirkt hatten.

Als er sich nach dem Zusammenbruch in Nürnberg vor dem Gericht verantworten musste, schönte er seine Rolle im Nationalsozialismus und fühlte sich von Hitler genauso betrogen wie Jahre zuvor von seiner ersten Ehefrau. Aber selbst in der Bundesrepublik findet Carl Schmitt wieder neue junge Schüler und Gesprächspartner, wie Nicolaus Sombart, Hanno Kesting, Reinhart Koselleck, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Rainer Specht, Rüdiger Altmann, Johannes Gross und Gerhard Nebel, deren Namen noch heute einen guten Klang haben. Bis zur Gründung der Bundesrepublik hatte Schmitt Publikationsverbot. Als dieses aufgehoben war publizierte er in angesehenen Zeitschriften wie „Universitas“ und „Merkur“. Mitunter riss man sich förmlich um ihn und lud ihn zu Fernsehgesprächen und Tagungen ein. Akademisch konnte er zwar nicht mehr tätig sein, doch als politischer Denker wurde er, dank der neuen Generation akademischer Schüler, durchaus noch wahrgenommen. Mit vielen von ihnen führte Schmitt intensive geschichtsphilosophische Gespräche an seinem Geburtsort Plettenberg, wohin er sich immer mehr zurückgezogen hatte. Robert Spaemann versuchte, ihn für einen Beitrag zum Stichwortartikel „Frieden“ für Ritters „Historisches Wörterbuch der Philosophie“ zu gewinnen. Jacob Taubes wiederum bot Schmitt die Mitarbeit an der Zeitschrift „Kassiber“ an. Was den jüdischen Philosophen „an Schmitt besonders anzieht,“ schreibt Mehring, „ist die politisch ,konkrete‘ Deutung von Religion und Theologie“. Zu Hans Blumenbergs Verteidigung der „Legitimität der Neuzeit“ verfasste Schmitt ein Nachwort, das dann in den Neuauflagen nicht mehr mit aufgenommen wurde. Beide, Schmitt und Blumenberg, haben in den 1970er-Jahren Briefe miteinander ausgetauscht, die vor zwei Jahren der Suhrkamp-Verlag veröffentlichte. Hochbetagt im Alter von 97 Jahren starb Carl Schmitt am 7. April 1985 im Evangelischen Krankenhaus Plettenberg.

Fürwahr, ein voluminöses beeindruckendes Buch. Es ist reich bebildert und enthält einen ausführlichen Anhang und ein Personenverzeichnis, das trotz seines Umfangs nicht alle im Buch erwähnten Personen enthält, zumal wenn sie nur einmal oder nur wenige Male nebenbei genannt werden wie Adorno, Habermas, Heuss, Kiesinger, Walter Dirks und Arnolt Bronnen. Eine Liste von Schmitts wichtigen Lebensdaten fehlt leider auch. Aber wie gesagt: Selbst wenn man das Buch aus der Hand legt, ist man mit dem Phänomen Carl Schmitt und seiner rätselhaften Wirkung noch lange nicht fertig.

Titelbild

Reinhard Mehring: Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
750 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783406592249

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